Dirk Jahrens’ Stationen haben ihre Spuren hinterlassen. Von der Ostberliner Platte am Rande der Stadt in den späten Achtzigern (also lange bevor sie ‘chic’ wiedergeboren wurde) hinein in das international duftende London – dem Zentrum der britischen, vielleicht sogar europäischen Musikkultur. Bevor Dirk Jahrens in das dann wiedervereinigte Deutschland zurückkehrt und als Photonensurfer sein Debütalbum “Neue Weltordnung” veröffentlicht, lebt er für beinahe ein Jahrzehnt in der Hauptstadt des Vereinigten Königreichs. Dauerpleite nimmt er zahlreiche Jobs an, um sein Hobby, die Musik, finanzieren zu können, nebenbei ergattert er mit seinem Kumpel Thorsten Rehmet, ebenfalls Exil-Ostberliner in London, einen Beinahe-Deal bei dem Indie-Liebling ‘Mute’ (der dann eben doch platzt) und erlebt die Hochphase des Brit-Pops in der Hauptstadt desselbigen. Dirk Jahrens alias Photonensurfer über Udo Lindenberg bei Kerzenlicht, Lost in Translation in London und Radiohead-Getuschel hinter vorgehaltener Hand.

Dirk, Wo lebst du momentan?
(Lacht) In Berlin. Kreuzberg.

Aufgewachsen bist du ja im anderen Teil der Stadt, im dauerhippen Ostberlin. Wie war das damals?
Ich war der… (lacht) Rebell. Ich hatte meine eigenen politischen Ansichten, für die ich natürlich abgestraft wurde, und mir war daher auch schon relativ früh klar, dass ich da unbedingt raus musste.
Wie alt warst du damals?
Das erste Mal, als ich das geäußert habe, war ich zwölf oder vielleicht sogar noch jünger. Ich bekam keine zufriedenstellenden Antworten mehr. Und außerdem war es unglaublich grau und eintönig damals, das war mir schon sehr früh bewusst. Ostberlin war nicht ganz so abgetrennt von der Welt, man empfing ja immerhin West-Fernsehen und konnte schon sehen, was da anders lief. Beispielsweise (lacht) man konnte man Werbung von Süßigkeiten sehen, die man in der DDR damals nicht kannte.

Wie war das musikalisch für dich in der DDR?
Ich habe die Musik der DDR ziemlich ausgeblendet, weil alle Bands ja ihre Texte vorlegen mussten, die dann überarbeitet wurden. Somit war auch schon ganz früh klar, dass das eigentlich alles nur eine Farce ist. Wesentlich interessanter waren da natürlich die Underground-Bands in Ost-Berlin. Die Ostberliner Punk-Szene etwa, zu der ich allerdings nie dazu gehörte. Da war ich nur als Zuhörer dabei. Dieses “Punk”-Ding in Ostberlin ist natürlich rückblickend interessant. “Punk” wollte “laut denken” in einem System, die DDR, das vor allem dieses “laut denken” verhinderte.

Was Alben angeht, hat dich also wahrscheinlich eher Musik aus dem Ausland interessiert? Welche Platten haben Dich denn umgehauen?
Also in erster Linie Udo Lindenberg! Mit dem hat es angefangen. Udo haben wir inszeniert, da saß man dann mit Kerze und Freundin und hörte Udo. Irre, oder? Na ja, und dann hatte man im Intershop ja auch die Möglichkeit an englischsprachige Musik heranzukommen, an Neil Young und AC/DC, aber auch an die ganzen Instrumente aus dem Westen. Ich werde nie meine erste Begegnung mit diesen Mini-Casio-Samplern vergessen… (Macht Sampler-Geräusche nach)

Vermisst du denn aus heutiger Sicht irgendetwas?
Überhaupt nichts. Ich bin ja auch noch vor der Mauer-Öffnung aus der DDR weg. Habe mich dann kurz in West-Berlin aufgehalten und wollte auch aus West-Berlin nur noch weg Richtung London. Als die Mauer fiel, war ich schon in London.

Quasi mit dem Mofa nach England?
Ja, wir, also mein Kumpel Thorsten und ich sind unserem Wunsch gefolgt, unbedingt nach London zu gehen um dort Musik zu machen. Wir versetzten in West-Berlin alles, was wir hatten, und konnten und stürzten Richtung England. West-Berlin war sowieso nur als Zwischenstopp eingeschoben.

Konntet ihr denn Englisch sprechen?
Kaum. Wir haben uns dann gezwungen, auch untereinander Englisch zu sprechen. Dadurch ergaben sich aber ziemlich lange Redepausen und furchtbares Gestammele, weil wir nach englischen Wörtern suchten und sie nicht fanden. Auf Engländer muss das ziemlich grotesk gewirkt haben, wenn wir uns auf Englisch unterhielten, und es würde mich auch nicht wundern, wenn sie sich bei dem Gestotter dachten, wir seien totale Freaks.

Wie war die erste Zeit in London?
Hart. Ich bin ständig umgezogen. In einem Jahr sogar zwölf Mal. Das ist in London gang und gäbe. Ich hatte viele Jobs, um mich über Wasser halten zu können.

Was war dein miesester Job?
Eklige Sachen habe ich nie gemacht, aber beinahe alles ausprobiert, was Geld brachte. Ich betrieb mal ein Café auf einer Go-Kart-Bahn-Bahn, dann arbeitete ich im Hotel und irgendwann war ich in einer leitenden Position in einer Marktforschungsfirma. Wenn man einen Job macht, um das Hobby finanzieren, dann macht man ja eigentlich alles, quält sich mit allem durch.

Nebenbei habt ihr also immer Musik gemacht?
Ja, unsere erste Band hieß “New”, dann folgte “Third Kind”. Als “Third Kind” – heyhey – hatten wir damals einen Internet-Radio-Nummer-Eins-Hit. Was noch die totale Seltenheit war, so Mitte der Neunzigerjahre. Der Song war eine ziemliche Schnulze.

… in der Hochzeit des Brit-Pops…
Genau, Mitte der Neunziger war ganz London verrückt nach Oasis und Blur…

…was uns zur elementarsten Frage aller führt: Oasis oder Blur?
Damals Oasis, heute Blur.

Wie war denn die Stimmung im Brit-Pop-infiltrierten London?
Großartig. Viele Künstler zog es nach London, wir kannten schon einige Musiker und lernten durch diese immer mehr kennen. Unser damaliger Bassist Jiles lebte zum Beispiel mit Nigel Godrich zusammen, der gerade an Radioheads “Ok Computer” Hand anlegte. Mit Nigel habe ich dann immer darüber gesprochen, wie er diese oder jene Klänge auf dem Album hinbekommen hat. Wenn man ausgegangen ist, kamen auch oft Leute aus dem Radiohead-Umfeld mit und man sich immer gefragt, wo die wohl heute sind, man tuschelte ein bisschen.

Wie war dein Blick von London damals auf Deutschland?
Tja, mit der Zeit, das ist glaube ich sehr normal, fängt man ja an, die Heimat zu schätzen. An der ehemaligen DDR gab es aber nicht viel zu schätzen und daher beschränkt sich das auf eher banale Dinge, was man so vermisst…

…beispielsweise Brot – ich spreche aus Erfahrung!
(Lacht) Ja! Brot, das stimmt. Oder auch Frühstücken im allgemeinen, das können die Engländer nicht so.

Du bist dann zurückgekommen nach Deutschland…
Ja, aus familiären Gründen bin ich dann 2000 zurückgekommen, es war nicht geplant gewesen. Ich habe dann hier wieder angefangen zu musizieren und auch auf Deutsch zu singen.

Hast Du London vermisst?
Oh ja. London war schon meine Heimat, hatte meine Freunde dort. Mein Leben war dort. Ich wusste ja außerdem über Westdeutschland nicht viel, weil ich beinahe direkt aus der DDR nach London gezogen bin. Ich vermisse aber auch heute noch die Leichtigkeit, mit der man in London Leute von überall her kennen lernt. Ich glaube, ich hatte zig Adressbücher voll mit Namen und Telefonnummern… Das Essen vermisse ich hingen nicht so sehr (Lacht).

Hier hast Du dann Photonensurfer gegründet?
Genau. Ich habe ein paar Kumpels zusammengetrommelt und Thorsten Rehmet angerufen, der auch wieder mitmacht.

Dein Bandname klingt interessant…
Ja, ohne jetzt zu sehr in die Eso-Schublade gesteckt zu werden, aber die Biophotonik interessiert mich schon sehr, und da stammt der Name auch her…

…Biophotonik? Hilf mal.
Ja, ich stolperte über einen Artikel des Forschers Fritz-Albert Popp, der darin davon spricht, dass alle Lebewesen Licht ausstrahlen und so miteinander kommunizieren.

Ich muss auch gestehen, ich dachte erst, es würde sich bei “Photonensurfer” um so ein Elektro-Ding handeln…
Naja, besser als Photonenrocker, oder?

Ja, allerdings! Dein Album heißt “Neue Weltordnung” – ist das eine Art Ansage?
Oh nein, ich habe mich auch erst gesträubt, das Album nach einem Titel darauf so zu nennen, weil ich mir schon dachte, dass das auch falsch verstanden werden könnte. Also zum Richtigstellen: Ich bin alles andere als ein Prophet!

Ich habe zwei interessante Vergleiche zu deiner Musik gelesen: einerseits Muse, andererseits behaupten böse Zungen du würdest so klingen wie Peter Maffay…
Muse-Vergleiche gerne, Maffay…. Nun, Es trifft mich nicht. Ich bin mir auch bewusst, dass unsere Musik und vielleicht auch mein Gesangsstil polarisiert, es gehört zu diesem Business dazu. Immerhin habe ich in London Musik gemacht, da werden auch gerne Vergleiche gezogen, Bands gehypt und gehasst.

Text: Heiko Reusch