Das Leben von Popstar Amy Winehouse war im Guten und noch mehr im Bösen öffentliches Gut. Ein Nachruf.
Es brauchte keine Hellseherei, dieses Schicksal vorauszusagen. Wohl keine Suchtkarriere der Popgeschichte wurde bis dato so medial ausgebreitet, wurde mit derart vielen furchtbar anzuschauenden Bildern und Videos gnadenlos und nahezu in Echtzeit dokumentiert. Das Leiden von Amy Winehouse war ein in weiten Teilen gierig begutachtetes und oft genug hämisch kommentiertes öffentliches Gut. Es war kein begleitender Umstand ihrer Karriere, sondern wurde als elementarer Bestandteil begriffen. Ihre Berühmtheit wuchs nicht trotz sondern wegen ihrer offensichtlichen Ohnmacht, ein weniger kaputtes Leben zu führen. Oder es wenigstens in den schlimmen Momenten den stets präsenten Scheinwerfern und Handykameras zu entziehen.
Im September 1983 wurde Amy Winehouse in London geboren, sie soll schon als Kind wild und unzähmbar gewesen sein, probierte Theater aus, fand schnell zur Musik, trat als Jugendliche in Clubs auf. Vom Fleck weg, mit 18 Jahren, wurde Amy Winehouse mit einem Plattenvertrag ans Traditionslabel Island gebunden, „Frank“, ihr Debüt sorgte 2003 für gehöriges Aufsehen in einer sich gerade zunehmend rückwärts orientierenden Musikszene, deren Retro-Versessenheit mit Amy Winehouses Leidenschaft für klassischen Rhythm’n’Blues und Soul zusammenfiel. Der Nachfolger war drei Jahre später „Back To Black“, produziert wurde das furiose Album großteils vom englischen Hip-Produzenten Mark Ronson, in dessen Soundkosmos sich ihre eigenwillig eingefärbte Soul-Stimme perfekt einpasste. Es dauerte ein wenig mit dem weltweiten Durchbruch, über zwei Jahre hinweg entwickelte sich dann aber ein mächtiger Sog, der – auch weil es keinen Nachfolger mehr gab – bis heute vorhielt. Dass ausgerechnet „Rehab“, die Anti-Entzugs-Hymne schlechthin und schon bald als unverschleierte Selbstbeschreibung gedeutet, der größte Hit des Albums wurde, passt zur fatalistischen Tragik der Abwärtsspirale, von der sie sich buchstäblich ums Verrecken nicht abhalten ließ.
Amy Winehouse – „Back To Black“ (live 2008)
27 Jahre wurde Amy Winehouse gerade mal. Es gehört zur Mythenbildung der Popgeschichte, das mit einer überhöhten Bedeutung zu verknüpfen, dem Eintritt in jenen legendären „Forever 27 Club“, dem vermeintlich besonders viele Borderline-Stars angehören. Es ist ein zynischer Mythos, aber es sind solche Mythen, die dem Rock’n’Roll das ewige Leben verleihen, der vom Scheitern seiner Protagonisten mindestens ebenso zehrt wie von ihrem Werk. Mit 27 starben Brian Jones, Janis Joplin, Jimi Hendrix, Kurt Cobain und natürlich Jim Morrison. „Keiner kommt hier lebend raus“ ist der Titel der wichtigsten Biografie über ihn; es ist eine Textzeile aus dem Doors-Song „Five To One“, Morrison soll bei der Aufnahme stocktrunken gewesen sein. Aber niemals stimmte dieser Satz mehr als für die Entertainment-Industrie von heute. Es war ausgerechnet das soeben als absolut gewissenlos entlarvte und eingestellte Boulevardblatt News Of The World, das vor drei Jahren per Gespräch mit einem „Freund“ spekulierte, dass Amy Winehouse sich in jenen Club 27 wünschte. Sie war eines der dankbarsten Themen des heuchlerisch-mitfühlenden Schmierlappenvoyeurismus in Print und TV, der uns täglich am sonst so fernen Schrecken der Promi-Welt teilhaben lässt. Eine der größten und wichtigsten Künstlerinnen der letzten Dekade sei sie gewesen, tönen sie jetzt noch lauter als alle anderen.
Man kann sich – unter Musikliebhabern – trefflich darüber streiten, ob Amy Winehouse tatsächlich so grandios war als Sängerin, als Songwriterin, als Performerin. Wie unterschätzt dabei der Anteil ihres Produzenten war oder der ihrer fabelhaften Band. Aber das tut sowieso nichts mehr zur Sache und in ihren guten Momenten war sie wirklich beeindruckend. Man hatte gehofft, dass es die noch einmal dauerhaft geben könnte. Dazu ist es nicht mehr gekommen. Die Erinnerung, die bleibt, ist zwiespältig. Man sollte vor allem ihre Musik im Gedächtnis behalten.
Augsburg
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