Alles neu macht bekanntermaßen der Mai. Doch bevor dieser sich anstrebt, bestehende Dinge zu verändern und Raum für Neues zu entfalten, wird noch einmal beim Alten Inventur betrieben. In gewohnter Manier haben wir uns durch all die April-Veröffentlichungen gewühlt und legen den Fokus, wie zuletzt auch im März, auf all jene Langspieler, die es verdient haben, Erwähnung zu finden.
Parallel zum frühlingsbedingten Blütensprießen, wuchs auch der Berg an Alben, welche die motor.de-Redaktion erreichten, kontinuierlich an. Darunter so lang erwartete Werke, wie das Solo-Debüt von Bluesrocker Jack White, die Rückkehr der Shoegazer Spiritualized und natürlich das neue Werk von Deutschlands Vorzeige Punk-Rockern Die Ärzte, welches bei uns nicht nur Freude auslöste. Dann schon eher das hochgelobte Debütalbum der Alabama Shakes, das neue Werk der deutschen Indie-Band Super700, sowie den wundervollen Erstling von Nigel Wright, der uns trotz junger Jahre und dank reduzierter Folk-Balladen ins Staunen versetzte. Genauso wie die neuen Werke der deutschen Gruppen Frames und Marbert Rocel. Außerdem traf sich motor.de in diesem Monat mit Enno Bunger zu einem ausführlichen Interview und widmete sich einmal ausführlicher den aktuellen Veröffentlichungen des renommierten Labels m=minimal. Doch wie immer konnten wir dadurch natürlich nicht alle Facetten der aktuellen Neuerscheinungen im gleichen Maße vorstellen.
Aufgrund der Vielzahl an Neuerscheinungen und vor allen Dingen talentierten Musikern wollen wir euch jedoch nicht nur die jeweiligen Peaks eines Monats vorstellen. Unser Platten-Sammelsurium macht es sich jeweils zum Monatsende zur Aufgabe, noch ein paar kurze Worte zu all den Alben zu verlieren, welche wir zwar auf dem Tisch liegen hatten, die aber stellenweise unter selbigen fielen – unabhängig davon, ob sie ein solches Schicksal verdient haben. Wir wünschen erneut viel Vergnügen beim Stöbern.
Doctorella — “Drogen und Psychologen
(30.03., Zick Zack)
Wenn Dirk von Lowtzow ‘nen Sack Reis umschmeißt: Zeilen, wie “Ich hol dich aus dem Irrenhaus / ich pflück dir einen Blumenstrauß” machen dank seiner Beteiligung auch nicht gleich Sinn. Für Toco-Fans dürfte das Album ohnehin zu nah am “eins zu eins” sein, was ja seit dem Weißen Album “jetzt vorbei” ist.
Aka Aka & Thalstroem – “Varieté Remixed”
(06.04. Burlesque Musique)
Auf den 32 Tracks haben sie die Créme de la Créme des Elektros vereint – u.a. Phonique, Marek Hemmann, Dapayk, Piemont und Moonbotica entwickeln auf den drei Platten der Remix-Box den passenden Soundtrack zu jeder Stimmungslage. Dabei halten die Initiatoren das hohe Niveau beständig, so macht Techno Spaß!
(06.04. Fontana)
Wie der Name schon vermuten lässt, ist das sechste Album der Kratzstimme ein Sammelsurium an Coversongs – u. a. wurden My Chemical Romance, Radiohead und Metallica von der Mittvierzigerin durchgenudelt. Gut, dass sie bereits Grammy-Besitzerin ist, denn den hätte sie sich hiermit sicher nicht verdient.
Nicki Minaj — “Pink Friday: Roman
Reloaded”
(06.04., Universal)
Ob sie einfach eine gepitchte Version von Jay-Z ist? Wissen wir auch nicht. Nicki gibt sich auf ihrem Re-Release gewohnt abtrünnig und versucht krampfhaft Gaga-Attitüden zu dramatisieren. Über alte Kamellen, wie “We ship platinum / them bitches are shipping wood” gelangt sie dabei aber nur selten hinaus.
(06.04., Rykodisc)
Man kann von Orbital – den großen Rave-Pionieren – nun alles Mögliche erwarten, wirklich Neues allerdings ganz sicher nicht. Acht Jahre Album-Pause und dennoch alles wie gehabt: atmosphärisch durchflutete, stilistisch konsequent in Szene gesetzte Ambient-Rave-Hymnen. Sympathisch aber sehr, sehr oldschool.
Peasant – “Bound For Glory”
(6.04., Schnitzel Records)
Hinter dem Künstlernamen des Kleinbauern steht der amerikanische Sänger und Gitarrist Damien DeRose, der mit seinem vierten Langspieler wieder mal locker-flockigen Folk-Pop verbreitet. Die Melodien wirken entspannt, die Arrangements sind minimalistisch – das ist lässige Musik ohne viel Tammtamm.
The Cornshed Sisters – “Tell Tales”
(13.04., Memphis Industries)
Die vier Sirenen von The Cornshed Sisters erzählen auf dem Debüt “Tell Tales” mit glockenheller Stimme und Piano- und Akustikgitarren-Begleitung bitterböse und trotzdem süße Geschichten von Kuchen aus Menschenfleisch, Selbstmorden und märchenhaften Welten. Musik zum darin versinken.
Jack Johnson – “Jack Johnson & Friends: Best of Kokua Festival”
(13.04., Universal)
Wie man zu Jack Johnsons Gitarren-Pop in ekstatische Jubelschreie abdriften kann, bleibt ein Rätsel. Dass es wohl doch geht, zeigt der surfende Hawaiianer auf dem Live-Album im Beisein seiner Freunde Ziggy Marley, Eddie Vedder und Willie Nelson. Aufregen kann man sich über den Singsang trotzdem nicht.
Mariee Sioux – “Gift For The End”
(13.04., Almost Musique)
Zartfühlende Folk-Balladen, mit fragiler aber wunderschöner Stimme, die sich in verträumten Melodien entfalten. Bei der Musik von Mariee Sioux schmelzen selbst die hartgesottensten Cowboys dahin. Ein unscheinbares, aber mächtiges Juwel intimer Songwriting-Kunst für alle Freunde akustischer Entspannung.
Gemma Ray – “Island Fire”
(20.04., Bronzerat Records)
Wenn der psychedelische Folk einer Anna Calvi auf den Pop-Appeal von Florence And The Machine trifft. Melodramatisch, sinister aber irgendwie auch eingängig. Diese Dame könnte demnächst in Feuilleton und Formatradio gleichzeitig funktionieren. Solange sie sich nicht für eine Seite entscheidet.
Human Don’t Be Angry – “Human Don’t
Be Angry”
(20.04., Chemikal Underground)
Nicht nur “Mensch ärgere dich nicht”-Freunde dürften ihren Gefallen am neuen Solo-Ausflug von Arab Strap-Gitarrist Malcolm Middleton finden. Basierend auf dem Brettspiel schafft der Musiker vielseitige und experimentelle, oft instrumentale Popwelten, bei denen es Einiges zu entdecken gibt.
Philip Bader — “Wishful Thinking”
(20.04., Highrade Records)
Philip Bader samplet Vogelgezwitscher und romantisches Geflüster. Dahinplätschernde Beats und luftige Ambient-Flächen machen den wahrscheinlich dunkelsten Frühlingssoundtrack perfekt. Die Songs gehen zwar zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder raus, das macht dennoch Hoffnung auf mehr im Sommer.
The Dandy Warhols – “This Machine”
(27.04., Naive)
So richtig abschreiben möchte man die eigentlich feingeistig Britpop-geschulte US-Band nicht – trotz oder gerade wegen dem Überhut “Bohemian Like You”. Erholt haben sie sich davon immer noch nicht. Das Album liefert zwar eingängigen aber auch großteils belanglosen Gitarrenpop, dem die (Neu-)Inspiration fehlt.
Mutiny On The Bounty – “Trials”
(27.04., Redfield Records)
Die Luxemburger Math Rocker Mutiny On The Bounty haben ihre Hausaufgaben ein Stück zu gut gemacht. So entrumpeln sie auf dem Zweitling “Trials” ihren Sound, doch mit der Klarheit und der exakten Stimme Nicolas Przeors wirkt das Werk so ernüchternd wie die Berechnung der Quadratur des Kreises.
Slagsmålsklubben – “The Garage”
(27.04., Golden Best Records)
Wer hat die Ecstasy in die Smartiesdose gepackt und auf dem Kindergeburtstag verteilt? Weird, laut, knarzig, macht Spaß – Slagsmålsklubben! Album Nummer Vier, bleibt aber dem 8-Bit Elektro-Pop nicht treu und so tanzt man diesmal ohne Super Mario den Veitstanz.
(27.04., Warp Records)
Die Schnittmenge zwischen James Blake, Toro Y Moi und Samu heißt Kwes. Der 24-jährige Brite entwirft auf seiner EP genau das, wofür Warp einst stand und immer noch steht: Experimentierfreude. Der Soul ist sanft, der R‘n‘B fern ab vom Exhibitionismus und die Effekte flirrend. Kurzum: forward thinking Free Pop.
(27.04., Monkeytown)
Das Duo aus San Francisco kredenzt ihren Bass-Kuchen mit einem futuristischen Detroit-Boden. Die Garage- und HipHop-Cremé wird mit Wobble-Einlagen und Vocoder-Fetzen glasiert. Sahne-Musik, die in die Zukunft blickt. Cybotron des 21. Jahrhunderts quasi. Spektrale Bassmusik für Gegenwartseskapisten. Und Feinschmecker.