Die schottische Alternative-Rock-Kapelle Biffy Clyro sprach im Interview mit motor.de über den Einfluss ihrer Heimat, Touren mit Dave Grohl und den Vorwurf des Ausverkaufs.
Biffy Clyro gelten spätestens seit ihrem 2009er “Only Revolutions” als einer der heißesten Live-Acts, vor allem auf der Insel, wo sie vom NME als beste Live-Band prämiert wuden. Dort gipfelte die Biffy-Mania im Dezember 2010 auch in einem Konzert vor 10.000 Leuten in der Wembley-Arena, welches die Band professionell mitschneiden ließ. Mit dem Ergebnis, dass seit letzten Freitag die erste Live-DVD der Bandgeschichte in den Läden steht. Anlässlich der Premiere im Kino in den Hackeschen Höfen in Berlin, weilte das Trio für ein exklusives Akustik-Set nach der Vorführung in Deutschland. motor.de traf sich mit Drummer Ben und Bassist James, um ein wenig über den jüngsten Karriere-Sprung und die Zukunftspläne der sympathischen Schotten zu reden. Sänger Simon Neil musste seine Stimme schonen, deshalb überließ er dem Brüderpaar Johnston den Rede-Part.
motor.de: Willkommen zurück in Deutschland! Ihr wart die letzte Zeit auch in Amerika unterwegs. Wie liefen denn die Shows, wie werdet ihr dort aufgenommen?
James: Die liefen sehr gut.
Ben: Ja. Wir haben dort schon mit den Foo Fighters gespielt, was schon immer ein Traum für uns war. Wir hatten aber auch ein paar Headliner-Shows und es war wichtig zu sehen, wo wir als Band dort stehen. Auch wenn das relativ kleine Gigs vor ein paar Hundert Leuten waren, haben wir’s sehr genossen. Hat uns ein bisschen daran erinnert, wie es war, als wir angefangen haben, was ja noch gar nicht so lange her ist. Und kleine, verschwitzte Clubs haben ja auch was für sich.
motor.de: Wenn du schon von den Foo Fighters sprichst: Wie kam das Engagement eigentlich zustande?
James: Ich glaube, das geht zurück auf die Tour mit Queens of the Stone Age. Damals haben wir auch auf einem Festival in Norwegen zusammen gespielt und nach unserem Konzert kam Dave (Grohl; Anm. d. Red.) auf uns zu und hat uns zu unserer Show gratuliert. Damit fing’s wohl an. Ist schon irre. Denn die müssen ja nicht eine Band engagieren, nur um mehr Tickets verkaufen zu können. Sie holen sich die Leute ins Vorprogramm, die sie selbst cool finden. Also hoffen wir einfach, dass sie uns gefragt haben, weil sie uns gut finden. Und da sie schon mit einer Menge großartiger Bands gespielt haben, sehe ich uns da einfach mal in derselben Tradition (lacht). Spaß beiseite, wir können uns einfach glücklich schätzen. Wir sind nicht nur Fans, die Foo Fighters sind auch ein großer Einfluss.
motor.de: Nicht zu vergessen, dass ich mir eine Tour mit Dave Grohl auch äußerst unterhaltsam vorstelle?
Ben: Allerdings. Das hat beinahe etwas Familiäres. Am ersten Abend, den wir gemeinsam auf Tour waren, kam er zu uns in die Umkleide und stellte sich gleich jedem vor, von den Crew-Mitgliedern bis zur Security – “Hey, ich bin Dave!” Er quatscht einfach mit jedem, setzt sich, trinkt erstmal einen Kaffee und haut eine Geschichte nach der nächsten raus.
James: Dabei versucht er aber gar nicht krampfhaft cool zu sein, oder sich einzuschleimen. Obwohl er musikalisch gesehen Großartiges geleistet hat, sieht er sich selbst nicht als jemand Besonderes.
Ben: Und abgesehen davon, dass er wirklich immer was zu erzählen hat, kann er auch mal den Mund halten und anderen zuhören, weil es ihn wirklich interessiert, was sie zu sagen haben. Er ist einfach echt ein netter Typ.
motor.de: Ihr seid derzeit auch ein bisschen auf Promotion-Tour für eure DVD “Revolutions // Live From Wembley”. Heute Abend gibt’s noch ein kleines Akustik-Set?
James: Genau. Das Gegenteil zur DVD. (lacht)
Biffy Clyro – “Mountains” (acoustic)
motor.de: Wie sind denn die Reaktionen auf die DVD so bisher?
James: Naja, wir haben bisher nur Feedback von Leuten bekommen, die sowieso mit der Band arbeiten und das war natürlich positiv. Die erzählen uns ja nicht, dass wir scheiße sind. Wir sind jedenfalls sehr zufrieden damit. Ist cool, diesen Moment jetzt auf DVD gebannt zu haben, für den Fall, dass wir nie wieder die Chance bekommen, so eine Show zu spielen. Und für die Fans, sowohl die, die da waren, vor allem aber für die, die nie die Chance bekommen, uns live zu sehen, ist es natürlich auch schön.
Ben: Ich glaube, was Deutschland angeht, ist das sogar die Premiere? Also werden die Leute heute Abend die Ersten sein, die sie zu sehen bekommen. Wir haben sie ja selbst noch nicht einmal gesehen. Nur, was man eben so im Schnittprozess und bei den Kommentar-Aufnahmen mitbekommt.
motor.de: Mir ist aufgefallen, dass Mike Vennart von Oceansize bei dem Konzert dabei war, wie auch bei einigen Shows in letzter Zeit. Wessen Idee war das?
James: Ich glaube, das war eine kollektive Entscheidung. Biffy Clyro waren bisher eigentlich immer nur wir drei. Einfach, weil wir uns schwer damit getan hätten, jemanden dabei zu haben, den wir womöglich kaum kennen. Auch in diesem Fall hätten wir wohl anfangs nicht gedacht, dass es so gut laufen würde. Aber wie du sicher weißt, kann Mike so ziemlich alles an der Gitarre. Da ist er einfach umwerfend, sicher einer der besten Gitarristen, die ich bisher in meinem Leben in Aktion erlebt habe. Sehr musikalisch, noch dazu technisch versiert. Aber vor allem hat er als Person einfach reingepasst. Er hat uns geholfen, den Sound wirklich rund zu gestalten. Gerade die Songs unserer letzten Alben sind dahingehend etwas herausfordernd in der Live-Umsetzung.
motor.de: Er wird aber nicht zu einem festen Mitglied, jetzt wo Oceansize Geschichte ist, oder zumindest auf Eis liegt?
James: Darum mach ich mir eigentlich keine Gedanken. Wir drei spielen einfach schon so lange zusammen, dass es vielleicht seltsam wäre, daran jetzt etwas zu ändern. Aber mit jedem Tag auf Tour wird er wohl mehr und mehr zum Teil der Band.
motor.de: Ich kann mir vorstellen, dass es einige Fans sehr glücklich gemacht hat, dass ihr bei dem aufgezeichneten Konzert auch viele eurer älteren Sachen gespielt habt. Habt ihr irgendeine Präferenz, spielt ihr lieber neueres oder älteres Material?
James: Also zunächst einmal war es schnell klar für uns, dass wir sowohl alte als auch aktuelle Songs spielen. Wir waren uns bewusst, dass viele der Leute bei der Show uns vor fünf Jahren wohl noch nicht gehört haben und wollten deshalb die neuen Songs entsprechend präsentieren. Wir verstehen aber auch die Angst einiger Fans, dass Stücke wie beispielsweise “There’s No Such Thing As A Jaggy Snake” aus unserem Repertoire verschwinden könnten. Deshalb haben wir diese Sachen ebenfalls integriert. Im Ganzen präsentiert die Setlist einfach verschiedene Seiten der Band. Wir haben jedenfalls keine Songs, die wir nicht gerne spielen.
Ben: Und ich muss sagen, dass es schon sehr geil war, beispielsweise “Jaggy Snake” vor 10.000 Leuten zu spielen. Ich weiß nicht, ob es überhaupt schon jemanden gab, der das getan hat: einen dermaßen seltsamen Song vor so vielen Leuten zu spielen. Da waren sicher einige darunter, die sich dachten: “Was zur Hölle war das denn jetzt?” (lacht)
James: Das war irgendwie auch der Reiz. Den jüngeren Fans, die uns vielleicht seit “The Captain” oder “Many Of Horror” kennen, diese andere Seite der Band zu zeigen.
Biffy Clyro – “Booooom, Blast and Ruin”
motor.de: Ich frage auch deshalb, weil viele der neuen Songs um einiges pop-orientierter sind, würdet ihr da zustimmen?
James: Sicher, klar. Sie sind in vielerlei Hinsicht simpler. Aber ich verstehe Leute nicht so ganz, die meinen, dass wir jetzt etwas ganz anderes machen, als auf unseren ersten Alben. Ich finde, dann haben sie die nicht richtig gehört, denn Songs wie “Justboy” sind auch pure Pop-Songs. Heute können wir unsere Stücke nur komplexer arrangieren. Wir sind ja zum Beispiel auch Fans von den Beach Boys und einigen anderen Bands, die manch einer “uncool” finden könnte. Viele Leute tun einfach so, als ob Pop-Musik eine Schande wäre, was sie keinesfalls ist.
motor.de: Wo wir gerade über den stärkeren Pop-Appeal eurer letzten Platte sprechen: Stört euch der böse “Sell-Out”-Vorwurf, den man hier und da vernehmen kann?
James: Nein. Ich schätze, wenn man zu lange darüber nachdenkt, könnte es anfangen einen zu stören. Einfach, weil wir uns unseren Fans nicht überlegen fühlen und nicht wollen, dass sie so über uns denken. Aber man muss da wohl auch ein Stück weit egoistisch sein und darf sich nicht immer darum kümmern, was andere davon halten. Natürlich wäre es uns lieber, wenn dieses Urteil nicht so gefällt werden würde aber wir wissen ja, dass wir glücklich mit dem sind, was wir tun.
Ben: Ich schätze, dieser Vorwurf ist auch ziemlich lächerlich. Die meisten Menschen verkaufen sich jeden Tag, indem sie Jobs machen, die sie verdammt noch mal hassen, einfach nur um Geld zu verdienen. Das ist für mich “Ausverkauf”. Wir spielen bei Biffy Clyro nicht in erster Linie, um Geld zu verdienen. Also stören uns diese Kommentare nicht so.
motor.de: Nachdem ihr jetzt die DVD vorstellt, arbeitet ihr denn parallel schon an neuem Material? Euer letztes Album “Only Revolutions” ist auch schon wieder zwei Jahre her.
Ben: Ja, klar. Wir haben etwa zwanzig alte Songs, an denen wir momentan arbeiten. Wir müssen nur irgendwann mal die Zeit finden, nach Hause und in den Proberaum zu kommen, um an ihnen zu feilen und dann ein paar Demos aufzunehmen. In nächster Zeit stehen eben noch die Konzerte mit den Foos, sowie einige Festivals an. Danach haben wir uns aber vorgenommen, an den neuen Songs zu arbeiten. Unser letzter Release ist wirklich schon eine Weile her, deshalb sind wir selbst heiß drauf. Das ist auch immer einer der besten Punkte in diesem Kreislauf, in den man sich als Band begibt, finde ich: Wenn man anfängt an neuem Material zu arbeiten.
motor.de: Gibt es schon eine Idee, wohin sich euer Sound entwickeln wird? Was das angeht, habt ihr ja doch eine ganz schöne Entwicklung hinter euch.
James: Nein. An diesem Punkt haben wir zwar ein paar Songs aber es wäre zu früh, da Prognosen abzugeben. Das ist auch das Coole an dieser Band, das wir uns nicht im Vorhinein limitieren, sondern uns fast alles erlauben. Ich meine, wir werden sicher kein Reggae-Album aufnehmen aber innerhalb einer Art von generellen Sound, den wir als Band entwickelt haben, gibt’s da eigentlich keine Begrenzung für uns.
Ben: Wir werden sicher nicht die Gitarren in die Ecke schmeißen und nur noch Keyboards benutzen, wir sind immer noch Biffy Clyro. Aber wir werden hoffentlich klingen wie, keine Ahnung. Biffy Clyro 1.0. Oder besser 6.0. (beide lachen)
Biffy Clyro – “Justboy”
motor.de: Es gibt derzeit eine Menge, auch junger Bands aus Schottland, jedenfalls wie ich das sehe. Habt ihr noch die Verbindung zu dieser lokalen Szene?
James: Ich wollte dich gerade fragen, an wen du da denkst? (lacht) Denn wir haben da etwas den Blick für verloren, einfach weil wir nicht mehr so viel zu Hause sind.
motor.de: Na, mir fallen etwa There Will Be Fireworks ein oder auch The Twilight Sad, We Were Promised Jetpacks…
Ben: Von There Will Be Fireworks hab ich neulich was gehört aber leider nur den Namen.
James: Es gibt schon einige Bands. Twin Atlantic sind da derzeit wohl die bekanntesten. Und wie du schon sagtest: We Were Promised Jetpacks, die auch schon in Amerika getourt sind. Aber wahrscheinlich gibt es immer gute Bands, auch abseits der Aufmerksamkeit. Schottland ist zwar ein kleines Land aber wir reden nicht nur viel über’s Wetter und solche Sachen, das hat auch wirklich einen Einfluss auf die Art, wie die Menschen dort sind. Wenn es regnet, bleibt man einfach drinnen und macht Musik. Zuletzt haben wir beispielsweise mit The Unwinding Hours geprobt, die großartig sind. Ich weiß, dass Iain (Cook, Gitarrist bei Aereogramme und The Unwinding Hours, Anm. d. R.) derzeit an einem neuen Album arbeitet.
Und der hat wirklich was auf dem Kasten.
motor.de: Das letzte Album hieß “Only Revolutions”, die DVD “Revolutions” – also, was ist los mit euch? Werdet ihr plötzlich politisch?
(beide lachen)
Ben: Wir sind doch nicht Rage Against The Machine.
James: Keine Angst. Abgesehen davon, dass “Only Revolutions” an das Buch (von Mark Z. Danielewski; Anm. d. Red.) angelehnt ist, geht es uns wohl eher um eine persönliche Art von Revolution. Sicher haben wir auch unsere Meinung zu politischen Themen aber da haben wir nicht das Bedürfnis drüber zu singen. Das ist ein gefährliches Spiel, denn wenn man das tut, dann sollte man auch Ahnung davon haben.
Ben: Gib’ uns ein paar Jahre und vielleicht fangen wir dann an, alberne Brillen zu tragen und über Politik zu reden.
motor.de: Ja, ihr übernehmt dann Bono’s Rolle.
Ben: Yeah, genau.
James: (lacht) Ein gutes Beispiel für das, was ich eben meinte.
motor.de: Ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für eure Zeit und maximalen Spaß heute Abend, und natürlich mit den Foo Fighters!
James: Ja, gern geschehen und vielen Dank. Den werden wir sicher haben.
Interview: Henning Grabow
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