Zwischen Busfahrt und Backstage-Raum: das deutsch-schweizerische Songwriter-Duo BOY wird auf einer Welle der Sympathie durch ihre aktuelle Tour getragen — im motor.de-Interview setzen sich die Damen mit dem Erfolg und seinen Folgeerscheinungen auseinander.
(Foto: Benedikt Schnermann)
Mit dem Gefühl des Erfolgs im Nacken lassen sich die üblichen Tourstrapazen sicher angenehmer aushalten – die langen Busfahrten, fremde Duschen, endlose Soundchecks, das lange Warten, diverse Catering-Spezialitäten und was sonst noch anfällt. Valeska Steiner und Sonja Glass sind auf ausgedehnter Konzertreise durch die Republik und freuen sich einfach nur über verschiedene Dinge. Die Duschen im Backstage-Bereich der Theaterfabrik in Leipzig sind beispielsweise wesentlich weniger furchtbar, als bei anderen Locations. Doch es ist nicht nur das angenehme Ambiente des Ortes, das die beiden Songschreiberinnen augenblicklich ins Strahlen versetzt. Seit der Veröffentlichung ihres Top-Ten-Albums “Mutual Friends” im September reiten die Musikerinnen auf einer Welle des mittelschweren Erfolgs und haben die Sympathien von Kritikern und Konzertbesuchern gleichermaßen auf ihrer Seite. Das deutsch-schweizerische Duo hat sich für die sein Debüt lange Zeit gelassen, den anschließenden Erfolg kann man da natürlich weniger genau planen. BOY reden mit uns über den Umgang mit dem positiven Feedback, das Tourleben, ihre Arbeitsweise und der fragwürdigen Ehre einer ECHO-Nominierung.
motor.de Angesichts der überaus positiven Resonanz in den letzten Monaten auf euch als Band und der Musik drängt sich mir natürlich die Frage auf, wie oft ihr eigentlich morgens aufwacht und euch denkt “Hilfe, wie ist das denn passiert?”
Sonja: (lacht) Oft!
Valeska: Auf jeden Fall. Wir sind ja grad mittendrin und es läuft jeden Tag sehr viel und wir haben gar nicht so richtig die Zeit, überhaupt darüber nachzudenken. Also, alles was in den letzten Monaten so passiert ist, hätte ich in der Form nicht erwartet und wenn ich einmal die Zeit finde darüber nachzudenken, dann bin ich wirklich sehr glücklich und dankbar.
Sonja: Ich tu mich noch manchmal schwer damit, weil ich das noch gar nicht richtig greifen kann und das ja auch so gewachsen ist und man das Ausmaß oft gar nicht begreifen kann.
Valeska: Gerade jetzt auf Tour sind das so die Momente, wo ich das wirklich mitbekomme und ich dann vom Bus aus die riesige Schlange sehe von all den Menschen, die auf das Konzert wollen. Das ist für uns auch viel konkreter, als Plattenverkäufe oder ähnliches. Das freut uns sehr!
motor.de: Ihr habt euch ja beim Popkurs in Hamburg kennengelernt und im Anschluss musikalisch zusammengefunden. Damit steht ihr ja in einer Reihe mit anderen deutschen Bands wie Fotos oder Wir sind Helden. Was hat euch dieses Event damals konkret gebracht?
Sonja: Es gibt zwar auch vereinzelte Angebote, die man warnehmen kann, aber primär ist das eine Art Kontaktbörse und es geht darum, dort mit anderen Menschen zusammenzuspielen und Projekte zu finden, bei denen man sich denkt “Hier hätte ich gern Lust, mitzumachen.” Es ist also nicht wie bei der Popakademie, wo man drei Jahre lang Kurse hat, sondern eher informativer Natur, beispielsweise über die GEMA.
motor.de: Die Songs auf “Mutual Friends” sind allesamt keine Schnellschüsse, ihr tragt sie bereits seit geraumer Zeit durch die Welt, seid mit ihnen getourt.
Valeska: Das stimmt, wir haben das Album über einen längeren Zeitraum parallel aufgenommen, während wir häufig auch auf Tour unterwegs waren. Mit den Aufnahmen haben wir ja bereits Ende 2008 angefangen, das heißt es gibt sie wirklich verhältnismäßig lange.
motor.de: Denkt ihr, diese Vorlaufzeit war auch nötig, um die Lieder reifen zulassen, um sie dann in dieser vorhandenen Form auf das Album zu bekommen?
Sonja: Ja, beziehungsweise war das ja auch unser Ziel, dass wir sagen, die Songs sind erst dann fertig, wenn sie wirklich fertig sind. Und das hat bei uns einfach eine Weile gedauert, weil wir – ohne das negativ zu sehen – halt sehr detailverliebt sind und es uns wichtig war, dass wir und unser Produzent gleich glücklich mit der Platte waren. Das ist dann bei drei Leuten vermutlich einfacher als bei sechs, aber in jedem Fall eine ziemliche Aufgabe (lacht).
BOY – “Waitress”
motor.de Euer Album dreht sich thematisch viel um Neuanfänge, Veränderungen und den Wunsch nach Beständigkeit. Denkt ihr, das Werk kommt vielleicht auch deshalb so gut an, weil viele Menschen unserer Generation sich genau das wünschen?
Valeska: Also, ich glaub auf jeden Fall, dass das viele Geschichten sind, die Menschen in unserem Alter beschäftigen. Und mir war das beim Texten sehr wichtig, das offen zu halten und den Leuten Raum für ihre eigenen Geschichten zu lassen. Ich glaube, das ist ja sowieso wichtig bei Musik, dass sich die Menschen darin wiedererkennen und ich denke, bei diesem Album kann das auch passieren.
motor.de: Ihr habt ja dieser Thematik auf dem Langspieler auch einen schönen Rahmen gegeben. “This Is The Beginning” makiert den noch etwas ungewissen Neuanfang und “July” makiert am Schluss sozusagen die angestrebte Zufriedenheit. Seid ihr jetzt auch in eurem Leben angekommen oder wähnt ihr euch zumindest auf dem richtigen Weg?
Sonja: Ankommen würde ja bedeuten, dass man aufhört (lacht).
Valeska: Der Erfolg war ja auch nicht unser Hauptziel. Aber ich weiß noch, als ich mir das Album damals nach der Fertigstellung noch einmal angehört hatte, da war “July” für mich schon am richtigen Ort. Da habe ich wirklich nochmal alles rekapituliert und festgestellt, dass das gut für uns gelaufen ist, auch mit der Dauer der Aufnahmen und dem Finden der richtigen Plattenfirma. Aber insgesamt glaube ich, dass wir noch nicht endgültig da angekommen sind, wo wir hinwollten.
motor.de: Die aktuellen Lieder existieren also schon eine Weile, doch wie sieht es mit neuem Material aus? Seid ihr eine Band, die auch nebenbei auf Tour bereits akribisch an neuem Stücken arbeitet?
Sonja: Nein, nicht wirklich. Wir schreiben halt relativ langsam und brauchen auch unseren Raum, um die Ideen der Songs zu entwickeln. Und speziell ich brauch dazu halt meine Instrumente, meinen Computer um das alles schön aufzunehmen. Keine Ahnung, ob da vielleicht auf dieser Tour etwas anders läuft, aber wir schreiben auch nicht so, dass wir dasitzen und auf der Gitarre rumschrammeln – dazu sind wir zu detailverliebt. Aber Valeska sammelt vermutlich jetzt schon Eindrücke für die neuen Texte.
Valeska: (lacht) Genau. Hauptthematik Bus, Bus und nochmal Bus.
Sonja: (lacht) Oder Duschen in Clubs.
motor:de: Oder Qualitäts-Unterschiede beim Catering.
Valeska: Ja, in jedem Fall ein wichtiges Thema.
motor.de: Verspürt ihr denn da bereits jetzt einen gewissen Druck, was neue Songs angeht?
Valeska: Nein, also wir haben natürlich auf jeden Fall Lust zu Schreiben.
Sonja: (schmunzelt) Es ist uns sozusagen ein inneres Bedürfnis…
Valeska: … aber wir glauben nicht, dass es da Sinn macht, sich Stress zu machen. Wir sind ja noch bis Mitte April unterwegs und freuen uns auch, uns auf das Live-Spielen zu konzentrieren. Wir haben aber eine neue Idee schon im Vorfeld in Hamburg konzipiert und so skizziert, dass wir uns freuen können, sie jetzt schon zu spielen. Das war uns ein wichtiges Anliegen. Wir werden uns aber, denke ich, für das zweite Album auch so lange Zeit lassen, wie nötig.
motor.de: In euren Anfangstagen wart ihr oft allein zu zweit unterwegs, jetzt habt ihr eine komplette Begleitband dabei. Welchen Einfluss hat das auf eure Songs?
Sonja: Jetzt ist es glücklicherweise so, dass wir die Lieder auch live so präsentieren können, wie sie auf Platte klingen. Wir sind aber auch froh, dass die Songs auch prinzipiell im akustischen Gewand funktionieren würden. Das gibt uns viel Freiheit und Vielschichtigkeit.
BOY – “Skin” (Akustik)
motor.de: Glaubt ihr, dass diese neue Band-Erfahrung auf der Bühne vielleicht auch Einfluss auf die Aufnahmen für das zweite Album haben wird?
Sonja: Nein, ich glaube wir werden wieder in so einem kleinen Kern arbeiten. Ich meine, jeder aus unserer Live-Band hat ja bereits einen Beitrag auf dem Album geleistet und ich denke, das wird wieder so sein.
Valeska: Das funktioniert auch besser so, gerade weil es schon zu zweit recht schwer ist, da die Geschmäcker auf einen Punkt zu bringen. Mit sechs Leuten dauert es dann vermutlich auch sechs Jahre (lacht).
motor.de: Vor kurzem habt ihr ja den renommierten europäischen Nachwuchspreis EBBA erhalten, mit dem Bands gewürdigt werden, welche auch außerhalb der eigenen Heimat Erfolge feiern können. Nun seid ihr im Rahmen der “Video National”-Kategorie auch beim deutschen ECHO nominiert. Ist das für euch eine ehrliche oder eher zweifelhafte Ehre?
Sonja: Ja, aber diese Kategorie ist ja ein Publikums-Preis mit Voting und wir sind da nur eine Band von, glaub ich, zwanzig Nominierten.
Valeska: Dieser Preis beruht ja sozusagen nur auf blanken Verkaufszahlen, da zeichnet sich ja der Gewinner schon vorher ab. Da finde ich so etwas wie den EBBA schon besser.
Sonja: Das ist auch musikalisch einfach wesentlich vielschichtiger. Die Bands vom ECHO haben halt einfach wahnsinnig viel verkauft und die breite Masse konnte sich einfach drauf einigen. Aber gut, ich müsste dann jetzt auch erstmal da gewesen sein.
motor.de: Plant ihr da aufzutauchen?
Valeska: Nein, wir sind nicht da, wir spielen eine Show. Man kann aus meiner Sicht diese beiden Festivals eh nicht vergleichen, da sie auf ganz unterschiedlichen Qualitäten basieren. Der ECHO ist halt eher ein Preis der Masse, aber zum Glück gibt es auch andere Plattformen, die andere Sachen auszeichnen.
Norman Fleischer
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