Die Idee war gut, doch die Welt noch nicht bereit: John Cage ist nicht die Nummer eins der britischen Charts. 

Ruhe bitte! Oder, um es mit John Cage zu sagen: Tacet!

Es war eine wundervolle Idee und irgendwann, nachdem sie unversehens mächtig Fahrt aufgenommen hatte, konnte man fast daran glauben, dass sie eine echte Chance hätte: John Cages „4’33’’“ als diesjährige Weihnachts-Nummer-eins der besonders symbolträchtigen britischen Singlecharts. Letztes Jahr war der Coup gelungen, ein Alternative-Smash-Hit von Rage Against The Machine wurde per koordiniertem Facebook-Handstreich an die Spitze gekauft, verdrängte den eigentlich gesetzten X-Factor-Sieger von der Spitze. Die Macht des gnadenlos belanglosen Casting-Mainstreams schien zumindest für einen Moment gebrochen und schon träumte man auf der Insel davon, diesen Erfolg zur Dauerinstitution zu machen. Gleich mehrere Aufrufe gab es in diesem Jahr. Am meisten ambitioniert: die Neuaufnahme des „stillen“ Werks vom Avantgarde-Altmeister. Eine ebenso bestechende wie absurde Vorgabe, die Stille Nacht einfach wörtlich zu nehmen und eines der abstraktesten Werke der Neuen Musik in die Popcharts zu hieven. Zumal es sich um den zweiten „schweigenden“ Song innerhalb weniger Wochen handeln würde; „2 Minute Silence“ hieß ein Charity-Projekt zum englischen Volkstrauertag.

In der Ruhe liegt die Kraft – diesmal auch im Studio.

Cage Against The Machine startete erwartungsgemäß als eine Art popmusikalischer Insiderjoke, ein paar zehntausend Facebook-Follower würden wohl kaum ausreichend Konsumentenpower beisteuern können, um die Charts zu stürzen. Aber in der britischen Musikerszene wurde man auf das Projekt aufmerksam, die Liste der Unterstützer mit prominenten Namen wuchs täglich. Billy Bragg, UNKLE, Kooks, Madness, Orbital, Enter Shikari, Imogen Heap, Adam F, Crystal Fighters und viele weitere ließen sich begeistern. Proppevoll war das Londoner Studio am 6. Dezember zur Aufnahme mit Starproduzent Paul Epworth. Das Ergebnis ist – naturgemäß – atmosphärisch aufgeladene, angespannte Ruhe, gerade mal ein kleines Hüsteln lässt sich vernehmen. (Kleine Soundhörspiele hingegen sind die sieben „Remixe“ dazu, jedes für sich eine interessante Fingerübung zum Thema Umweltklang, bekanntermaßen ein Steckenpferd von John Cage.) Erschienen ist das Werk schließlich auf dem schwer renommierten Indie-Label Wall Of Sound.


Das Making Of zur Recording Session von … nichts. 

Eine kleine aber punktgenaue Medienkampagne von Guardian über die BBC und XFM-Radio sprang der Aktion bei, von Kultmoderator Zane Low bis La Roux reichte der Musikszene-Promi-Twitter-Support. Als weit reichenden kollektiven Schulterschluss gegen die Verwahrlosung des Popmusikgeschmacks konnte man das deuten, als Aufbegehren der eigentlichen Basis gegen die Belanglosigkeit der jährlich austauschbaren, gesichtslosen Durchlaufstars der Entertainmentindustrie.

Proppenvolles Studio, gute Laune – und die Hoffnung stirbt zuletzt. 

Umso desillusionierender ist das Ergebnis ausgefallen. Wer sich die aktuellen UK-Charts anschaut, findet Cage Against The Machine auf Platz 21, weit unter den hoffnungsvollen Erwartungen also. Platz eins geht ganz planmäßig an den X-Factor-Sieger – diesmal: ein gewisser Matt Cardle –, der cleverer- oder, je nach Sichtweise, eben dreisterweise keine Allerweltsschnulze anschleppte sondern ausgerechnet einen Coversong der angesagten britischen Alternative-Rockband Biffy Clyro. Die sind mit ihrem Original gleich mitgezogen auf Platz acht. Besonders bitter: ausgerechnet die weit weniger avancierte Konkurrenzinitiative konnte sich mit dem Uralt-Gaga-Hit „Surfin Bird“ auf drei – einsortieren.

Am Ende gewinnt eben immer die Bank. Oder – wenn man den Rahmen etwas größer anlegt – das System. Es lässt sich vielleicht einmal überlisten und es wäre deutlich übertrieben, zu sagen, es würde zurückschlagen, da es ja einfach nur immer weiter macht. Um die Erfahrung einer Schlappe schlauer und ein klitzekleinwenig angepasst, um auch der neuen Lage wieder Herr zu werden. Das System der britischen Charts heißt Simon Cowell. Der „X-Factor“-Pate bestimmt die Jahresend-Charts. So ist es nunmal, zumindest solange der Protest zersplittert und der Konsument offensichtlich nicht wirklich mündig ist. Zumindest eins ist damit jedoch bewiesen und letztendlich hat auch das einigen Charme: Für Mehrheiten ist John Cage auch mit größtmöglichem Support immer noch nicht tauglich.

Augsburg