Chima dürfte den meisten Musikinteressierten bereits ein Begriff sein. 2002 erschien sein langerwartetes Debüt “Reine Glaubenssache“, das er deutschlandweit auf Tour im Vorprogramm von Herbie Hancock präsentierte. Zuvor war er schon lange Jahre in der Szene aktiv gewesen und hatte sich mit der englischsprachigen Rapgruppe “Otropic T(h)ree“ bereits einen Namen gemacht. Nach der erfolgreichen Single-Auskopplung “Lass los“ performte Chima für das Kollaborationsprojekt “Brothers Keepers“ auf der Top-4-Single “Adriano“ und spielte in dieser Konstellation zahlreiche Shows im ganzen Bundesgebiet. Aber all das war gestern.

Im neuen “Rahmen der Möglichkeiten“, den sich der 32-Jährige selbst geschaffen hat, beweist Chima, dass er diesen nicht etwa als Beschränkung empfindet, sondern, wie er es in seinem einladenden Song “Haus und Heimat“ selbst singt, als Gelegenheit, Neues entstehen zu lassen. Auffallend ist, dass der erfahrene Rapper auf dem vorliegenden Langspieler über weite Strecken ausschließlich durch seine Gesangsperformance glänzt, die er über wunderbar warme und lebendig groovende Musik legt. Hierbei hat er sich aber nicht vom Rap abgewandt, es ist eine natürliche Entwicklung, die es ihm möglich macht, seine vielschichtigen, grundpositiven und hoffnungslos schönen Verse rhythmisch und melodisch in Töne zu fassen: “Ich erreich’ dich, früher oder später, Zeit ist reichlich / ich penetrier’ mit Wahrheit, bis du weich bist / werbe für das Beste, bis es Fleisch ist / und fühl’ Erleuchtung, wenn wir uns einig sind“.

Einen solchen Anspruch so unaufdringlich hymnisch rüberzubringen ist bisher kaum einem deutschen Musiker gelungen. Hier zeigt sich eines der vielen Spannungsfelder, in denen sich der Künstler Chima bewegt: Obwohl seine Musik ihre schwarzen Wurzeln deutlich erkennen lässt – Chimas Eltern und somit auch sein Name stammen aus Nigeria –, ist sie gleichzeitig typischer deutsch als viele Alben, die heute auf dem Markt sind: “Ihr sitzt heute im Prinzip im Zeugenstand / und hört neudeutsches Liedgut nach Nena und Grönemeyer / Mal Tränen in den Augen, mal Hans im Glück / spread’ ich meinen Senf aus Hoffnung und leckt mich doch“.

Ein frühes Highlight der Platte ist der Song “Wundervoll“, der als erste Single-Auskopplung im Oktober erscheinen wird. “Ich will ohne dich nicht sein / fühl’ mich ohne dich allein / ich will mein Leben mit dir teilen / Du bist wundervoll / Du brauchst kein Make-up, kein Parfum / all den Fake, um mich zu turnen / ich will dich fühlen, ich will dich hören / Du bist wundervoll“. So ohne Maske, wie diese Zeilen es besingen, ist die Musik auf Chimas Album. Chima versucht in keiner Weise, angestrengt eine Attitüde aufzubauen, konsequent durchzuziehen oder Ähnliches. Wir haben es hier mit einem Menschen zu tun, der seine eigene Ambivalenz annimmt und sich nicht scheut, alles inklusive der zwangsläufigen menschlichen Schwächen nach außen zu tragen und mit dem Publikum zu teilen.

Da dies in eingängigen, aber gleichwohl versiert-feinfühligen, an Neo-Soul erinnernden Songs geschieht, kann es dem offenherzigen Musikliebhaber wohl recht sein. Der Geschichten erzählende Titel “Lampenfieber“ handelt beispielsweise von Unsicherheit und Nervosität, die einen bei der Anbahnung von Kontakten mit dem anderen Geschlecht beschleichen können. Wohltuend, dass es dem Künstler möglich ist, dieses Gefühl zu formulieren, wo doch so viele aktuelle Songs und Musikvideos einen Fast-Food-ähnlichen Überfluss an körperlicher weiblicher Zuneigung gegenüber aktiven männlichen Musikern vorspielen.

Dass Chima diese Schüchternheit zu überwinden weiß, legen die Liebeslieder auf dem Album nahe, die Beziehungen auf unterschiedlichste Weise beleuchten. “Jetzt, wo’s vorbei ist, kann ich dich sehen / Vieles war hilflos neben dem Schönen“, singt er im Refrain der mit “Vorbei“ betitelten Trennungsballade. Am meisten aus dem Rahmen fällt “Zähneputzen“, ein Song, der die kleinen gemeinsamen Alltagserlebnisse einer Beziehung auf ungehörte Weise besingt: “Ständig von Kindern reden / zusammen Zähne putzen / du kannst kein Auto fahren / und es ist geil“.

Überhaupt sucht Chima die Lösung für das Große oftmals im Kleinen, was auch den Produktionsstil des Albums auszeichnet. Die Stücke sind lebendig, sie atmen und leben von vielen kleinen Ideen an vielen kleinen Stellen, die das Ganze dann letztendlich groß machen. Wenig ist übrig geblieben vom loopbasierten Rapgespitte, von dem Chima letztendlich kommt und auch geprägt ist, was man an der vielseitigen Rhythmik seines Gesangs unschwer erkennen kann.

Chimas musikalische Reife schlägt sich auch in der Auswahl der Gastsänger auf dem Album nieder: “Blue“ featuret den Hamburger Sänger Patrice, der in seinem unverkennbaren Style den Chorus singt, während Chima die Strophen übernimmt. Mit Xavier Naidoo besingt Chima auf “Lass es nicht aufhören“ das Erleben von Schönheit im Allgemeinen und im ganz Speziellen: “Mal ist es ein Lied, das ich hör’ / oder es ist eine Berührung, die ich spür’ / Es gibt so viele schöne Dinge, die ich fühl’ / Lass es nicht aufhören“. Hier kommt man zwangsläufig als Verfasser eines Texts über Musik an seine Grenzen, kann man doch nur versuchen, dem Leser die Empfindungen zu beschreiben, die man selbst beim Hören eines Songs durchlebt hat. Es bleibt dem interessierten Leser nichts übrig, als der Platte selbst zu begegnen, um in diese Welt einzutauchen:

“Es wirkt in leisen Tönen, ist aber nicht zu überhören
zu übersehen, zu ignorieren, weil es die Menschen fasziniert
und weil es immer zu was führt, das offen selten in Erscheinung tritt
zu ’ner Ahnung, zu ’ner Tür, zu einer Welt, wie es sonst keine gibt
denk nur, wenn du loslässt, kann sie sich dir zeigen
also, lass halt los und flieg mit uns durch die Zeit
mal kickt es soft, mal haut’s dich um, am Ende überwältigt es
Tränen und Zweifel, auch wenn’s nur für ’nen Augenblick hält, ist das
in hoffnungslosen Tagen nich’ allem Bling überlegen
wenn doch ganz offen – ohne Frage – gerade Dinge vergehen“.

promo 3p