Rich Bitch und Evil Boy – grandioses Schauspiel oder kompromisslose Überzeugung? Die Antwoord und ihr Versuch des perfekten Understatements.

Es gab und gibt immer wieder diese großen Phänomene in der Popkultur, die die Gemüter kräftig strapazieren und vor allem spalten, da ein Urteil nur zwei Extreme zulässt: Liebe oder Hass. Die Antwoord sind eben so ein Phänomen und werfen zudem eine weitere Frage auf, der aktuell sogar noch mehr Aufmerksamkeit zu Teil wird als ihrer Musik: Meinen die das wirklich ernst?

Mehr als sieben Millionen Mal wurde ihr Video zu „Enter The Ninja“ bereits aufgerufen, mit den sozialen Netzwerken waren Die Antwoord ein absoluter Selbstläufer. Jeder ambitionierte Internetnutzer kennt das Trio schon seit einigen Monaten – über den Clip wurden sie berühmt. Wenig später gab es das Album „$o$“ kostenlos auf ihre Webseite, jetzt ist ihr Debüt auch offiziell erhältlich. Zehn Tracks und fast eine Stunde Spielzeit verbergen sich dahinter. Dem geneigten Hörer werden entgegen der Schlussfolgerung aus ihrem Erscheinungsbild professionell produzierte Beats serviert, die gut durchdacht, abwechslungsreich und clever arrangiert durch das gesamte Album drücken: Ein Ausflug mit allen Stationen vom klassischen Hip-Hop („In Your Face“) über kitschige Popeinlagen („Enter The Ninja“), energetischen Rave („She Makes Me A Killer“), bis hin zu fast technoiden Klanglandschaften („Beat Boy“).


Hinter Die Antwoord verbergen sich Ninja, Yo-Landi Vi$$er und DJ Hi-Tek. Sie kommen aus Südafrika, genauer gesagt aus Kapstadt. In einem schäbigen Vorort mit Häuserreihen wie aus dem Fertigbaukasten feiert das Trio die Herrschaft des Zef – der südafrikanischen Version des White Trash. Ein von Knast-Tätowierungen übersäter, spargeldünner Rapper in den ulkigsten Fetzen säumt den Vordergrund. An seiner Seite bewegt sich eine ebenso skurril wirkende Blondine von schmächtiger Gestalt, die ihn in zeitweilig glasklarem Sopran unterstützt, wenn er von Männlichkeit, dem Gangster-Habitus und jeder Menge Respekt rapt. Doch auch sie ist nicht auf den Mund gefallen, präsentiert sich mit starkem Slang und ausgeprägtem Afrikaans-Akzent als gute Partie an seiner Seite, ihre passagenweise kräftig gepitchte Stimme komplettiert die Symbiose der Beiden. Für den dazugehörigen Beat bester Bauart ist ein Dritter zuständig, er agiert jedoch eher im Hintergrund.

Yo-Landi Vi$$er (links) und Ninja (rechts)

Es wird dick aufgetragen und zwar an allen Ecken und Enden. Zusätzlich schaffen sich Ninja und Yo-Landi einen eigenen Kosmos, ihre Antwort, ihr Level, auf das man sich entweder einlässt, oder nicht:

If you love it, we love you too. And if you hate it, it’s because you’re not on my level.“

Erklärungen gibt es nicht, Interviews sind unbeliebt. Simpel gestrickte und klar adressierte Texte, ein überschwänglich von sich selbst überzeugtes Auftreten – bewusste Provokation, das Spiel mit den Grenzbereichen: das Spezialgebiet von Ninja. Mit bürgerlichem Namen heißt dieser übrigens Watkin Tudor Jones und ist in Südafrika kein Unbekannter. In seiner Vergangenheit bewies er bereits mehrfach, dass Charakterwechsel und Schauspiel eines seiner leichtesten Übungen sind. „Max Normal“, „Mc Totally Rad“ oder „Yang Weapon“ – in der Hip-Hop-Szene seiner Heimat hat Ninja einen Namen und zwar nicht erst seit seinem neuesten Projekt. Angeblich hat er mit Partnerin Yo-Landi eine Tochter, das wird selbstverständlich dementiert und ist eigentlich auch uninteressant.

Die Antwoord – “Evil Boy”

Die Überzeichnung aller Vorurteile gelingt diesen Exoten hervorragend. Genau das ist die Stärke der Band, das Ziel des Projekts, wahrscheinlich das Level von dem sie reden. So lächerlich und sinnentleert die Texte und das Mysterium um die Mitglieder auch wirken mögen – ihr Understatement ist perfekt. Sie sind kompromisslos in ihrem Auftreten, lassen sich von keinem Journalisten aus der Ruhe bringen, präsentieren sich in ihrer Konsequenz gar ähnlich wie Deutschlands bestes Exportgut Rammstein, von denen sie sich in diesem Punkt tatsächlich nur unwesentlich unterscheiden. Ihr Projekt ist wasserdicht und „$o$“ ein abwechslungsreiches und sehr gelungenes Album, das den anerkannten Stars im Genre kräftig ans Bein pinkelt. Ob man dieses nun liebt oder hasst, ob man nun lachen oder weinen möchte – das muss im Endeffekt jeder für sich selbst entscheiden. Wer jedoch diese Damen und Herren bierenst nimmt und sich über ihren Habitus echauffiert, der hat gar nichts verstanden.

Alex Beyer

VÖ: 08.10.10

Label: Universal

Tracklist:
01. In Your Face
02. Enter The Ninja
03. Wat Kyk Jy?
04. Evil Boy
05. Rich Bitch
06. Fish Paste
07. $copie
08. Beat Boy
09. She Makes Me A Killer
10. Doos Dronk