Die große Gala für den kleinen Geschmack. Die deutsche Musikindustrie veranstaltet wieder den Musikpreis, der zu ihr passt. Nur: Genaues weiß man nix.
Viel Geplauder, wenig Substanz – aber Tim Bendzko: die Pressekonferenz zum Echo (Bild: Jessica Kassner/Echo).
Man kann das Elend hören. Es ist Mozarts “Kleine Nachtmusik”, in einer dieser scheußlichen Klingklang-Versionen aus der Steinzeit der Klingelton-Ära, eine akustische Pest, die Telefonanlagenhersteller erstaunlicherweise immer noch per Voreinstellung mitzuliefern scheinen. Willkommen in der Warteschleife des Bundesverbandes der Musikindustrie, der offensichtlich nicht willens oder fähig ist, ein klein wenig GEMA-Gebühren oder auch nur etwas Mühe in das zu stecken, was man von der deutschen Musikindustrie zu hören bekommt, wenn man zu irgendwem durchgestellt wird. Man lernt diese Warteschleife kennen, wenn man etwas über den Musikpreis Echo erfahren will. Etwas, das nicht in den euphorischen Erfolgs-Pressemeldungen steht. Ganz simple Fragen, zum Beispiel, wer denn eigentlich die “musikaffinen Partner aus Rundfunk, Presse, TV” sind, die in der Jury sitzen, nach welchen Kriterien und durch wen sie ausgewählt werden. Oder wie das funktioniert mit den ehemaligen Preisträgern, die – auch das steht etwas ungenau im Reglement – ebenfalls Jurymitglieder sein können. (Der eine oder andere Preisträger, den man gefragt hat, wurde jedenfalls noch nie in eine Echo-Jury eingeladen.)
Sie dürfe das nicht sagen, meint die ansonsten sehr nette Frau, von der man eigentlich dachte, sie wäre dafür zuständig, die Presse mit wichtigen Informationen zu versorgen. Wichtiger, als zu wissen, wer jetzt genau die Preisträger eines der – laut Selbstdarstellung – “wichtigsten Musikpreise der Welt” kürt, ist denn wohl, dass Berufsmoderatorin Barbara Schöneberger jetzt auch hier ran darf. Dass die Bühne 1.500 Quadratmeter groß ist und “multifunktional” konzipiert wurde. Dass Sponsor Köstritzer eine “360-Grad-Kampagne umsetzt”. Das sind jedenfalls Informationen, für die es Pressemitteilungen gibt. Selbstredend – und es sei vorweggenommen, dass hier tatsächlich geprotzt werden kann – werden auch die internationalen Stars beworben, die man an diesem Donnerstagabend sehen kann. Es sind wirklich große Namen, in guten Jahrgängen gibt es erinnernswerte Momente auf der Bühne oder zumindest für den Moment aufsehenerregende Premieren. Deutschland ist einer der größten Musikmärkte der Welt, da lässt man sich schonmal blicken, wenn es etwas vorzuzeigen gibt beim wichtigsten Award, den die Musikbranche des Landes zu vergeben hat.
Gehen dankenswerterweise doch mal nach Berlin: Kraftklub sind einer der Liveacts (Bild: Tim Kloecker).
Wichtig ist der Echo, weil es der erklärte deutsche Musik-Award ist. Jedes Land mit einer Musikwirtschaft, die etwas auf sich hält, hat so einen. Nur im seltensten Fall richtet sich dessen Strahlkraft auch nach außen, wie man das von den Grammys kennt, die weltweit wahrgenommen werden. Vergleichbar ist er eher mit einer Branchen-Leistungsschau, bei der man vorzeigen kann, wie toll das doch alles ist, und sich gegenseitig auf die Schulter klopfen für … ja, wofür eigentlich? Dass es bald ACTA geben wird, wofür gerade der Verband der Musikindustrie gern in die Lobbybresche springt? Dass es den allermeisten Musikern andererseits gerade Angst und Bange wird, wenn sie sich ihre berufliche Zukunft ausmalen? Dass angestammte Musikmedien in diesem Land inzwischen Lichtjahre davon entfernt sind, Trends vor anderen zu entdecken? Dass die GEMA immer noch nicht in der Lage ist, so etwas wie ein zeitgemäßes Verständnis ihrer Tätigkeit zu entwickeln? Dass – last but not least – deutsche Bands in der Welt immer noch mehrheitlich vom Goethe-Institut bezahlt werden müssen, damit man sie sich dort überhaupt anschaut?
Die wirklich spannenden Themen sind beim Echo natürlich die Ausnahme, vielleicht gibt es wieder ein paar Spitzen von Michael Mittermeier oder irgendeiner der Laudatoren traut sich wirklich mal etwas Freches – es ist die Ausnahme bei dieser Friede-Freude-Eierkuchen-Veranstaltung, die deutsche Popmusik repräsentieren will und allen Ernstes ein Album von Helene Fischer als “Album des Jahres” nominiert hat , einen Pietro Lombardi als “Künstler National Rock/Pop” und einen Chris de Burgh als “Künstler International Rock/Pop”. Die alljährlichen Pfeifkonzerte des Saales für die Preisträger der Schlager- und Volksmusik-Kategorien sind legendär – seltsam nur, dass sie darauf beschränkt bleiben. Denn die Kategorien des Echo werden oftmals mit Künstlern bestückt, die man auch bei weitgefasstem Verständnis für einen Massengeschmackskonsens nicht unbedingt als irgendwie preiswürdig einstufen möchte.
Nur, damit motor.de ihn auch mal drin hat: Pietro Lombardi ist nominiert als “Künstler des Jahres”. Ehrlich! (Bild: Nikolaj Georgiew.)
Es muss einem nicht peinlich sein, wenn man eigentlich einen Gutteil der Nominierten für diesen wichtigsten Musikpreis des Landes gar nicht kennt, selbst als jemand, der sich durchaus professionell mit Popmusik beschäftigt: all die Sarah Engels, Zaz, Sunrise Avenue, Nockalm Quintett, Die Priester. Die anderen kennt man hingegen entweder zum Überdruss oder wäre gar froh, wenn man sie aus dem Gedächtnis wegblitzdingsen könnte: Guetta, Grönemeyer, Maffay, Söhne Mannheims, Nickelback, Adoro. (Hier wäre der Moment für einen beliebigen Skrillex-Running-Gag, aber der wiederum wird wohl erst im nächsten Jahr dabei sein.) Es ist ein bisschen wie die ins richtige Leben gesprungenen Otto-Katalog-Charts – wenn es die denn geben würde. Grund sind die Vergabekriterien der wichtigsten Kategorien. Die richten sich strikt nach Verkaufszahlen; was gut geht im Jahr, bekommt das dann durch eine Echo-Nominierung einfach nochmal zertifiziert. Sollte dieses Verfahren wirklich mit rechten Dingen zugehen – man weiß es wie gesagt nicht wirklich – kann man verstehen, warum Deutschland so etwas wie der ungeliebte reiche Stiefsohn der internationalen Musikszene ist: Viel Geld, aber null Geschmack.
Nie erfahren wird man vermutlich auch, ob denn nun etwas dran ist, an den Gerüchten, es wäre durchaus hilfreich, vor Ort zu sein, um einen der Preise dann auch wirklich zu bekommen. Statistisch gesehen ist dieser Vorwurf jedenfalls kaum von der Hand zu weisen und es wäre sicher hilfreich, wenn man einfach mal jemanden fragen könnte, der in einer der Jurys sitzt, die innerhalb der Nominierungen ja doch irgendwas bestimmen können sollen. Man könnte die allerdings auch bestechen, wenn man ihre Namen wüsste. Wiegelt die nette Dame von der Pressestelle ab und irgendwie erinnert man sich gleich wieder an die Neunziger, als es wirklich noch um viel Geld ging im Musikbusiness, als Goldene Schallplatten noch einige Hunderttausend Stück mehr verkaufen mussten als es heutzutage der Fall ist und als bei Labelpartys Koks automatisch zum Prosecco gereicht wurde. Heute – und da sind wir mit dem Echo natürlich d’accord – geht es im Musikbusiness nicht mehr um Erlöse, sondern um Aufmerksamkeitswerte. Dazu passt eine der Informationen, die man problemlos erhält: Der rote Teppich ist in diesem Jahr erstmals überdacht. Damit die Stars nicht im Regen stehen. Fast möchte man sagen: Zu spät.
Augsburg
Der Echo 2012 wird am 22. März vergeben. motor.de wird bis dahin mit einem ECHO-Dossier einen genaueren Blick auf die Organisation, die Nominierten und Preise sowie die Modalitäten werfen – und auch gleich ein paar eigene Vorschläge für die “richtigen” Kategorien und Nominierten machen. Live-Lästern inklusive!
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