Man kann doch auch als Popstar in Würde altern. Warum macht das eigentlich in Deutschland keiner?


Schon immer wegweisend peinlich: Scorpions

Man entkommt ihnen gerade nicht. Sie sind ausgebrochen aus den Chart-Show-Einspielern, Otto-Katalogen, Boulevard-Magazinen oder Wetten-dass-Sendungen, machen sich plötzlich da breit, wo man sie eigentlich nicht auch noch sehen möchte. „Party 50“ heißt die omnipräsent plakatierte in Kürze beginnende Tour von Nena und man muss das große als Geburtstagsfeier bezeichnete Promotionspektakel dafür auf RTL gar nicht gesehen haben, weil die Resonanz darauf bis in die Feuilletonseiten sonst eigentlich ernstzunehmender Medien reicht – gleich neben völlig ernst gemeinten Nachrufen auf die Scorpions, getränkt mit Versöhnungswillen und verklärten Reminiszenzen an alte Zeiten, die ja wohl ganz offensichtlich nicht gut gewesen sein können, wenn sie eine derartige Band zur weltweit erfolgreichsten dieses Landes gemacht haben. Auch die Scorpions gehen demnächst auf Tour, die Hallen sind praktisch die gleichen wie bei Nena, oft jene Mehrzweckfunktionshallen für etliche tausend Besucher, die man heutzutage halt so als „Eventarena“ baut.

Vielleicht ist es nur eine Frage der medial vermittelten Wahrnehmung im eigenen Land, nichtsdestotrotz erscheint es einem aber irgendwie symptomatisch für das popkulturell immer noch durch und durch provinzielle Deutschland, dessen Biederkeit sich gerade in den Altersmodellen seiner Protagonisten ausmachen lässt. Die sind – auch in der Art ihrer Peinlichkeit – grundverschieden. Nena ist der hyperaktive, immerfröhliche, dem körperlichen Verfall trotzende und selbstverständlich grundsympathische Familienkonsens mit „Kids Area“ vor der Bühne und Werbeverträgen für Weißer Riese oder den Otto-Katalog. Musikalisch selbstredend ebenso belanglos wie die Hannoveraner Altrocker, allerdings clever und flexibel genug, sich zeitgemäßen Soundwelten anzupassen – zumindest aus Sicht derer, die ihr Publikum darstellen. Die Scorpions bedienen dagegen eine unerschütterliche Gestrigkeit, von deren absolut distanzfreier Ironielosigkeit man sich zu jedem Mauerfall-Jubiläum zwangsweise erneut überzeugen lassen muss.


Kauft man eigentlich wegen Nena nicht bei Otto oder wegen Otto nichts von Nena?

Mit so etwas wie würdevollem Altern und künstlerischem Reifen hat das nichts gemein und es mag einem im Moment eigentlich so gar niemand einigermaßen Berühmter einfallen zwischen all den Grönemeyers, Lindenbergs, Westernhagens, Maahns, Kunzes, Niedeckens, der das hierzulande auch nur im Ansatz hinbekommen hat. (Und wenn sogar Gunter Gabriel jetzt einen auf gebrochenen Granden macht, kommen einem zu Recht die Tränen.) Für immer jung zu bleiben oder wenigstens früh genug zu sterben, ist eines der Gründungsversprechen der Popkultur, die sich naturgemäß nicht erfüllen konnten, weil viele Protagonisten sich einfach weigern, die Bühne zu verlassen. Man muss das nicht in jedem Fall bedauern, denn natürlich gibt es herausragende Beispiele dafür, wie man sich hochanständig aus der Affäre zieht. Johnny Cashs Alterswerk wird auch in diesem Jahrzehnt noch unverzichtbar sein für jeden, der sich halbwegs für songorientierte Musik interessiert. Einem Bob Dylan zuzuhören, wie er Musik macht oder seine Lieblingsmusik im Radio spielt, ist zweifelsfrei eine enorm spannende Sache. Zumindest jedes dritte Album von Neil Young ist immer noch großartig. Sogar ein Bruce Springsteen lässt Pete-Seeger-Songs aufleben und macht damit alle Ehre. Ein, zwei Generationen später sind Paul Weller oder Morrissey unantastbar, könnten es die Beastie Boys sein, die sich nicht auf Peinlichkeiten einlassen werden. Die Aufzählung ließe sich mühelos fortsetzen.

Hoffnung besteht also schon. Anderswo. Hierzulande ist ausgerechnet Udo Jürgens das noch am ehesten akzeptable Auslaufmodell – der war Zeit seines Lebens ein Schlagersänger. Die breite Wahrnehmung auf die deutsche Popkultur haben hingegen längst die Boulevardmedien übernommen, die Revival-Shows, die Echo-Verleihungen oder die Anbiederungen vom Schlage eines Jan Delay. Lebendige Popgeschichte ist das ohnehin nicht, eher hemmungslose Leichenfledderei. Und auch wenn sich die Scorpions jetzt endlich auflösen, werden wir sie garantiert nicht loswerden. Spätestens in viereinhalb Jahren können wir sie wieder pfeifen hören.

Augsburg