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Mit teilweise traumhaftem Wetter, einem hochkarätigen Line-up und trotz organisatorischer Mängel sind wir glücklich vom Greenville Festival nach Hause gekommen. Mit der Premiere im Havelland ist ein Event ins Portfolio gerutscht, das – eine Stunde von Berlin entfernt – zu einem Klassiker werden könnte.
Bisher liegt eigentlich nur das Berlin Festival vor unserer Haustür, jetzt wo die Redaktion in die Hauptstadt gezogen ist. Wusstet ihr noch nicht? Im Winter kommt MotorFM wieder zurück. Genug der Schleichwerbung, denn es trifft sich gut, dass am Wochenende das Greenville Festival im Brandenburgischen Paaren/Glien Premiere feierte. Doch aller Anfang ist schwer: Mit der Regionalbahn von Berlin zum Bahnhof Brieselang – kein Problem. Angekommen suchen wir die Abfahrt des Shuttlebusses. Rund 100 Leute irren mehr oder weniger verzweifelt umher, von links nach rechts, fragend schauen wir uns um, wo sich der Mob hinbewegt. Problem Nr. 1: “Es kann doch nicht so schwer sein, einen beschissenen A4-Zettel anzubringen, um die Leute zum Shuttlebus zu leiten, oder?”, pöbeln uns zwei stark schwitzende Mädels an. Sie wollen auf das Gelände. Wir auch. Aber trotzdem laufen wir die ersten Minuten nur dumm hin und her.
Letztlich haben wir Glück und finden ihn. Nachdem der Shuttlebus uns zum Gelände gefahren hat, heißt es erstmal Bändchen holen. Problem Nr. 2: Der Bus fährt nur zum Tor 1. Wir müssen zu Tor 3, heißt es. Bei Tor 3 sagen uns die schwitzenden Sicherheitstypen, dass wir falsch sind. Tor 6, da müssen wir hin. Bedeutet im Klartext: als Pressemensch muss man zunächst einmal zu Fuß um das komplette Gelände laufen, um seine Bändchen zu bekommen. Jaja, alles Meckern auf hoßhem Niveau, schon klar. Dennoch, nicht auszumalen, wenn das Wetter am Freitag nicht derartig prächtig gewesen wäre, aber was solls. Die Sonne scheint, wir freuen uns auf den Abend. Dennoch: komplikationslose Logistik sieht anders aus.
Was einem zuerst ins Gesicht springt: die Farbe grün. Klar, Greenville. Hier ist der Name Programm. Im Havelland herrscht eine idyllische Atmo. Das Gelände ist überschaubar und die Grünflächen tun ihr Übriges, um den Großtstadtstress hinter sich zulassen. Frei nach Rainald Grebe: Zurück zur Natur. Es ist der erste Tag, doch sicherlich haben die Veranstalter mit weitaus mehr Publikum gerechnet. Offizielle Zahlen zu bekommen, fällt schwer. Die Berliner Morgenpost spricht von 10 000 Besuchern, halten wir für stark übertrieben. Sollten es insgesamt 5000 Besucher gewesen sein, wäre das schon großzügig aufgerundet. 4500 sind realistisch.
Vor der Main Stage beginnt für uns das Festival mit SELIG. Vor der Bühne stehen, sitzen und liegen maximal 300 Menschen. Es ist klein, das Greenville. Charmant und heimelig irgendwie. Die Hamburger Rockband ist trotzdem guter Laune, Jan Plewka hat sichtlich Spaß am Auftritt. Es ist ihr Tourabschluss und trotzdem spürt man die Energie der Fünf. “Wir sind Selig und hoffen ihr seid es auch”, haucht Plewka der Menge entgegen. Wir schmunzeln und rufen: Ja. Selig hat’s gefallen, uns auch. Man wolle nächstes Jahr wiederkommen. Gut so.
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Abkühlung war erstmal nötig bei schwülen 30°. Ein Bier für drei Euro (allerdings nur im Tausch gegen Token – nein, das sind ist Währung aus Herr der Ringe, sondern Marken, die man für Geld bekommt. Doof nur: Umtausch nicht möglich) oder einen Mojito für 7 Euro – Preise liegen im Festivalstandard. Der Mojito hat gewonnen. Und da das Festival sich als Öko-Festival preist, gibt es eine Bratwurst aus Eberswalde dazu.
Wie leiten wir jetzt zu BODI BILL über? Naja, wir versuchen es erst gar nicht. Die notorischen Vielschwitzer haben es schwer, da zu ihrem Auftritt die Sonne tief steht, doch das tut dem gewohnt eigensinnigen Tanzeinlagen der Berliner keinen Abbruch. Sänger Fabian gibt sich wortkarg, wirft sich mal wieder die trashigsten Kleider von Federkostüm bis zu Flavor-Flav-Gedächtnisuhr um. Wir haben die Herren fast schon einmal zu oft gesehen und doch schunkeln und zappeln wir freudig mit, während der Sonnenuntergang unsere Seelen küsst. Verstärkung bekam das Trio vom Ter Haar-Frontmann Philipp Koller, durch dessen Adern wohl die gleiche Portion Freakness rinnt.
Wir müssen ehrlich sein: der einzige Grund, warum wir am Freitag zum Greenville gefahren sind, waren die FLAMING LIPS – und unsere Erwartungen wurden sogar noch übertroffen. Wer die Band um Wayne Coyne live noch nicht gesehen haben sollte, muss ihren Namen auf die Liste “Bands I have to see live, before I die” schreiben. Schon zu Beginn der 80 Minuten heißt es: Lasst uns alle Kinder sein. Riesige Luftballons, minutenlanges Konfetti-Inferno und dazu eine einladende Mischung aus Progressive und Psychedelic Indie-Rock – Endorphine noch und nöcher. “Wie ein visueller Orgasmus”, kommt es einem über die Lippen. Nah an der Reizüberflutung, doch mit einem Auftritt zwischen Show und Wahnsinn: nackte Frauen auf der Leinwand, zehn tanzende Damen in Miniröcken auf der Bühne, präparierte Gitarren und ein riesiger aufblasbarer Ball für Coyne zum Durch-Die-Menge-Surfen. Eklektisch, intergalaktisch, Nimmerland liegt für diesen Abend in Brandenburg.
GOGOL BORDELLO auf der zweiten Bühne langweilten uns bereits nach den ersten Tönen. Gypsy- und Polka-Funk? Ach, bitte. Na gut, zur ihrer Verteidigung muss man sagen: nach den Lips zu spielen, ist halt auch undankbar. Wir zogen uns zurück zur Main Stage und gönnten uns ein paar Minuten Auszeit, bevor DEICHKIND die Regie übernahmen. Die Electro-Hopper waren wohl bei Detlef D! Soost in der Choreo-Schule, derart einstudiert kommt ihre Performance daher. Mit Müllsack-Kostümierung und aufblasbarer Hüpfburg verwandelten sie das Greenville zum ausgelassenen Tollhaus. Die obligatorische “Wollt ihr mit uns ans Limit gehen?”-Frage wurde dann standesgemäß mit Remmi Demmi beantwortet. Fazit: alles irgendwie wie einen Tick zu vorhersehbar, zu party-verpflichtend und im Endeffekt doch mehr Organisation als improvisiertes Chaos. Aber es geht ja nicht um uns, richtig? Die Menge feierte die Hamburger. Ach ja, und GEMA: fick dich!
Der zweite Festivaltag beginnt für uns reichlich spät. Ausschlafen darf ja wohl erlaubt sein. Im Ernst, wir wären auch gerne früher aufs Gelände gekommen, nur sind wir Freitagnacht den infrastrukturellen Mängeln zum Opfer gefallen. Schon irrwitzig, dass der letzte Shuttlebus bereits um halb neun fährt. So mussten wir bis vier Uhr auf dem Gelände bleiben, gelangweilt und müde in der Brandenburghalle vegetierend. Dort, wo ein paar spätpubertierende DJs ihre “Skills” unter Beweis stellten. Klar, das Play-Drücken muss natürlich mit jeder Menge Arme-In-Die-Luft-Posen und Headbang-Einlagen zelebriert werden. ‘Ey, jetzt baller ich noch ein wenig Bass dazu, ist das nicht irre? Klar, man kann die Stimme vom Hives-Sänger nicht mehr hören, aber ich feier das hier trotzdem total, die Leute sind ja eh betrunken.’ Ähh, ja. Sind wir zu alt oder die zu schlecht?
Zurück zum zweiten Festivaltag: die Jungs vom YOUNG REBEL SET nehmen uns beschwingt in den Samstag mit. Es ist ein solider Auftritt der Briten, die über zerstörte Beziehungen und Gefühlsduseligkeiten singen. Irgendwie tut das keinem weh, aber Ekstase schreibt man eben nicht mit YRS. Auch wenn das die Oasis- und Brit-Pop-Jünger auf die Palme bringen sollte, großes Plus: das Septett klang nur selten richtig britisch, aber trotzdem wie eine rockigere Variante von Mumford And Sons. Nur eben nicht so mitreißend. Erwähnten wir schon das Wort solide?
Die Hip-Hop-Soul-Funk-Rock-Jazzer THE ROOTS erinnerten uns daran, wie geil handgemachte Musik sein kann. Ein junger Blogger neben uns ist sich nicht sicher, wie viele Roots-Mitglieder auf der Bühne sind und verliert sich im Zählen. “Ist der Song vom letzten Album oder dem davor?”, Generation Praktikum will halt alles richtig machen, uns ist der Protokollierwahn ohnehin zu anstrengend, da beobachten wir doch lieber, wie im Minutentakt die Joints kursieren. Es tanzt sich gleich ganz ungeniert, wenn das THC im Blut vibriert. Wir genießen das Treiben und feiern unsere eigenen Turf Dance und Krumping-Moves (nicht öffentlich zeigbar, Scham-Alarm). Tuba Gooding Jr., ein äußerst entspannt groovender Questlove und Rapper Black Thought brillierten mit einem großen Aufgebot an American Classics. Da wird nicht nur James Brown ins Set gestreut, auch Kool & The Gang und selbst Guns N’ Roses werden neuinterpretiert. Was für eine Band, was für eine unshowige Show. 1,2,3 Gute Laune.
Da wir am Sonntag krank im Bett liegen, bleibt uns leider nichts anderes übrig, SCOOTER als letzte Band zu erwähnen, die uns das Greenville bescherte. Ja, der Sonntag fand leider ohne die motor.de-Redaktion statt. Und jetzt mal ehrlich, wie sollen wir den kurzen Teil beschreiben? Wir reden hier von Scooter, dem “Special Guest”. Klar, das Trio spielt natürlich nichts vom Band ab, alles live versteht sich. H.P. düste die Bühne hoch und runter, als ob der Herr noch in den Zwanzigern stecken würde. Harder, Faster, Scooter brüllte er uns entgegen, “Hyper Hyper” gab es nur als Portiönchen und “How Much Is The Fish” wurde gar nicht erst gespielt. Immerhin, die Anlage bretterte gut nach vorne. Spätestens seitdem Baxter Kurzgeschichten von Thomas Bernhard für ein Hörbuch eingesprochen hat, werden wir kein falsches Wort über den Blondie verlieren. Nützt ja alles nichts.
Musik: Insgesamt ein breites Programm, mit wahren Headlinern (Roots, Deichkind, Iggy & The Stooges, Flaming Lips) und einer großen Meute an jungen und entdeckungswürdigen Newcomern (Cro, Deep Sea Diver, Zoe.Leela). Dennoch fehlte der Premiere ein wenig der Mittelbau, hier darf 2013 ruhig mehr aufgefahren werden, vielleicht einen Headliner weniger.
Publikum: Klar, die Festival-Knallchargen (Kategorie: Auf gehts, ab gehts, drei Tage wach) sind immer dabei. Beim Greenville aber erstaunlich angenehm in der Minderheit. Vor allen Dingen einige ältere Herrschaften konnten die Veranstalter anziehen. Auch wenn die große Masse ausblieb, war das Publikum sehr heterogen. Friedlich, harmonisch, erfreulich.
Organisation: das Streitthema. Die Laienhaftigkeit beim Shuttlebetrieb ist ein großer Fleck auf der Weste, dafür aber schnell und einfach abzuschalten für das kommende Jahr. Warum der Shuttlebus-Transport Geld kostet, das im Bus eingesammelt wurde (hin ja, zurück nein), macht nur wenig Sinn – dann doch lieber auf die Tickets verlagern. Die einzelnen Checkpoints sollten sinnvoller zusammengelegt werden. Wenn nicht, sollte der Transport besser organisiert sein. Großes Plus: die kleinen Wege und der sehr intelligent geplante Timetable. Interessant: sehr laxer Umgang mit Taschenkontrollen. Eigentlich ja zu wünschen (more freedom to the people), aber der Schmuggel von Pyro, Glasflaschen oder Raketen wäre kein Problem gewesen.
Festival-Drumherum: Neben einem Amnesty-International-Bus und Gegen-Rechts-Initiativen war eine illustre Mischung aus Temporary-Tattoo-Ständen sowie Kauf-Dir-Eine-Prollige-Brille-Butzen gegeben. Zahlreiche Fressstände waren aus dem regionalen Umfeld und die Preise für ein Festival human. Schade, dass das angekündigte Label-Camp ausgefallen ist, oder auf dem Gelände einfach nicht zu finden war. Sehr schön, dass hier nur wenige Product Placement-Deals bzw. sonstige Ihr-Bekommt-Kostenlose-Tic-Tacs die Stimmung trübten. Allerdings hemmte der geringe Publikumsandrang bei einigen die Laune. O-Ton der Dame vom Eberswalder Würstchenstand: “Uns wurden mehr Besucher versprochen, das Wochenende ist beinahe ein Verlustgeschäft für uns. Wir müssen wirklich darüber nachdenken, ob wie im kommenden Jahr wiederkommen”.
Was in Erinnerung bleibt: Logisch, die 80 Minuten Flaming Lips. Der Busfahrer, der Freitagnacht trotz starker Regengüsse die Fenster im Bus nicht schloss. Die traumhaft öde und deswegen idyllische Landschaft im Havelland. Die peinliche DJ-Crew in der Brandenburghalle. Der Gitarrist der Roots. Die inoffizielle, dritte Stage: die Cocktail-Bar (Electro/Techno/House). Trockenfrüchte können doch lecker sein.
Summa Summarum: ein tolles Festival mit einem erstaunlich breiten Line-up für die Premiere. Sicherlich sind die organisatorischen Mängel unnötig, doch für das erste Mal durchaus verkraftbar. motor.de freut sich auch 2013 auf das Greenville Festival.
Fotos & Bericht: Sebastian Weiß
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