Rätselhaft: Hans Unstern zeigt sich scheu und schafft dabei ganz großartige Collagen aus bewegtem Bild und Klang.
Foto: Danilo Rößger
Auf der Bühne hat sich ein halbes Orchester versammelt: Kontrabass, Vibraphon, Bassklarinette und Trommelwerk stehen zwischen Leinwänden, auf denen innerhalb der nächsten 90 Minuten verschiedenste Wesen zum Leben erwachen: eine Robbe kriecht durch ein Wörterbuch, Buchstaben bilden andere Buchstaben, die sich wiederum zu Worten zusammensetzen, ein schwarzes Schaf hüpft in abgehackten Bewegungen umher und ein Vogel scheint sich in einem Meer aus Zeichen zu verlieren. Zwischendurch immer wieder weißes Rauschen. Über den MusikerInnen baumeln flackernde Lampen und inmitten all dieser Utensilien zeigt sich ein dürrer, bärtiger Mann. Gebückt hockt er auf dem Boden, trägt eine Gitarre um den Hals und scannt wie im Wahn sein eigenes Gesicht. Das wiederum wird in Echtzeit auf die Leinwände übertragen. Verzerrt sieht es aus und irgendwie befremdlich. Überall kratzt, surrt, knarzt es und der sonst vertraute Raum wirkt ganz fremd an diesem Abend. Hans Unstern ist in der Stadt.
Im April diesen Jahres erschien mit „Kratz Dich Raus“ das erste Album des Berliner Liedermachers auf dem Staatsakt-Sublabel Nein, Gelassenheit, das von der mittlerweile nach Berlin umgesiedelten Gruppe Ja,Panik gegründet wurde. Was erst einmal nach einer interessanten Verbindung klingt, ist laut Hans Unstern selbst „eigentlich eine ganz langweilige Berlin-Geschichte.“ Zufällig nahmen die Musiker im gleichen Studio auf, lernten sich kennen, gingen gemeinsam auf Tour und als Unstern erwähnte, dass er noch nicht wisse, wo er sein Debüt veröffentlichen soll, äußerte man die Idee, es doch auf Nein, Gelassenheit herauszubringen. So nahmen die Dinge ihren Lauf: Durch das Video zu „Paris“ wurden einige Menschen auf den Künstler aufmerksam, das Album zog weite Kreise und Auftritte auf Festivals sowie als Support von Ja,Panik begeisterten viele.
Hans Unstern – “Ein Coversong”
Wir sitzen im UT Connewitz, einem alten Lichtspielhaus in Leipzig, in dem ab und an Konzerte stattfinden. Uns gegenüber hockt Hans Unstern. Seine Beine hat er eng an den Körper gezogen, fast eingerollt wie ein Igel sitzt er da, sieht uns an und lässt seinen Blick dabei wieder und wieder durch den Raum schweifen, als sei er auf der Suche nach etwas. Er sagt recht wenig an diesem Abend, wirkt scheu und spricht ungern über seine eigene Musik. Auf der Bühne dann scheint ein Teil dieser Scheu von ihm abzufallen. Er steht da, die meiste Zeit mit dem Rücken zum Publikum, spielt seine Lieder und liefert dabei ein Gesamtkunstwerk ab, das ganz ohne Ansagen von der Bühne auskommt. Leinwände heben und senken sich, die Band harmoniert, Projektionen tauchen den Konzertsaal in ein anderes Licht.
Foto: Danilo Rößger
Hans Unstern wirkt mitsamt seiner Songs, seiner Bilder und Videos, seinem Internetauftritt und seinen Bühnenshows wie ein großes, durchkonzipiertes Ganzes. Er selbst nennt das „großen Schwindel“ und bezeichnet sich als Sänger, Songschreiber und Trickser. Die Betonung liegt dabei auf Letzterem: „Die Tricks sind mir sehr wichtig“. Und sie funktionieren. „Kratz Dich Raus“ erscheint als stimmiges Debüt, zusammengesetzt aus eigenwilligen Stücken, die für sich allein autonom wirken und doch irgendwie in den Kontext dieser Platte gehören. Unstern versucht, uns und scheinbar auch sich selbst diese Tatsache anhand seiner Arbeitsweise zu erklären:
Auf dem Album finden sich verschiedenste Genres, nie gehörte Melodien verbinden sich mit merkwürdigen Texten, die man nur für den Moment zu verstehen scheint. Unstern singt von Lunayoga, sternlosen Zeiten, der Nase des blassen Mondes und Menschen, die anderen Menschen im Mondschein als Igel begegnen. Der Mond, die Nacht oder die Dunkelheit sind fast in jedem seiner Lieder präsent, wie stille Begleiter scheinen Himmelskörper stets hinter dem Künstler zu stehen. Dabei ist ihm das scheinbar gar nicht wirklich bewusst:
Foto: Danilo Rößger
Ja, Panik veröffentlichten zu ihrer dritten Platte „The Angst And the Money“ das „Programm in sechs Punkten“, in dem sie unter anderem fordern: „Schneidet die Penisse aus der Popkultur“. Auch auf Hans Unsterns Debüt häufen sich derartige Zeilen. „Kratze den Mann aus dir raus / Verrate die Väter deiner Länder“ oder „Wie sie ihrem Ziel entgegen jagen / wie sich auf der Überholspur Penisse jagen“ heißt es dort. Doch auch auf die Frage, wie er zur Männerdominanz in der Popkultur steht, sagt Unstern wenig:
Über seine eigenen Texte zu reden fällt dem Künstler schwer und ohnehin scheint er nur wenig sagen zu wollen über das, was er tut, indem er Töne und Zeilen aneinanderreiht und daraus Soundkonstrukte schafft, die merkwürdig visuell wirken. Erst in der Live-Show gehen sie vollkommen auf. Dabei spricht Unstern stets mehrere Sinne gleichzeitig an und schafft es, bewaffnet mit Musik, collagenhaften Bildern und Videos sowie ein wenig Technik, Räume für eine gewisse Zeit völlig verändern.
Wer Hans Unstern in aller Fülle erleben möchte, muss selbst ran: Zuhören, aufpassen und nicht immer unbedingt begreifen. Das tun wir ja ohnehin den ganzen Tag. Oder, um es mit seinen eigenen Worten zu sagen: „Es ist ja eh alles so durchgecheckt, durchgeplant und inszeniert.“
Lydia Meyer
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