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Aber hier leben, ja danke!

Dieses Land ist vielleicht doch besser als sein Ruf – zumindest in Sachen Popmusik. DJ Hell kommt nach Hause. 

Eigentlich ist es nur eine weitere Compilation von verschiedenen Musikstücken in einer Reihe, die ein deutsches Label seit einigen Jahren als eine Art gehobene Variante von Chillout-Musik herausbringt. Der gemeinsame Nenner ist „Coming Home“, das meint eigentlich „Herunterkommen“, das Heimkommen nach einer Partynacht, also den Moment, wenn man noch ein wenig beruhigende Musik benötigt, um das Nervenkostüm in einen entspannten Status zu bringen. Was allerdings DJ Hell jetzt abgeliefert hat, dürfte die Labelchefs erstmal ein wenig ratlos gestimmt haben. Denn statt Entspannung liefert er mal eben eine sehr persönliche Sicht auf deutsche Popmusik-Geschichte. Und die ist tatsächlich bemerkenswert.

Hell – mal mit, mal ohne den Zusatz „DJ“ – ist eine der schillernderen und zweifelsfrei auch interessanteren Persönlichkeiten der nicht eben mager bestückten deutschen DJ-Jetset-Liga. „Mein Coming Home war nach vielen Jahren des Herumreisens in der Welt als DJ die Rückkehr nach Deutschland.“ Hell reist seit zwanzig Jahren mit seinen Sets durch die Lande, es ist ziemlich unberechenbar, was er auflegt; wer Pech hat, bekommt eine Nacht lang Italo-House um die Ohren und das ist nicht wirklich ein Spaß auf dem Dancefloor. Vor zwei Jahren jedoch, mit seinem letzten Album, hatte er sich der deutschen Technogeschichte gewidmet, „Teufelswerk“ war ein brillanter, wenn auch rücksichtslos wildernder Streifzug durch die teutonische Electronica-Szene von Krautrock und Kraftwerk bis hin zu den quasigesetzlosen Tagen der Berliner Technokultur im deutsch-deutschen Mauerfall-Niemandsland, das sich für eine kurze Zeit im legendären Club Tresor am intensivsten manifestierte.

Rheingold – „Dreiklangsdimensionen“

Die Auseinandersetzung mit der deutschen Heimat ist – zumindest in einem ernsthaften popkulturellen Kontext – erstaunlich rar gesät, Terrorgruppes „Mein Skateboard ist wichtiger als Deutschland“ war die immerhin wirklich witzige Speerspitze der ansonsten meist drögen Deutschpunk-Antis, „aber hier leben, nein danke“ sangen Tocotronic in typisch windelweicher Halbherzigkeit. Die weltweit erfolgreichste deutsche Band, Rammstein, hat sich ihren Status mit vollendet inszenierter Karikatur-Teutonik erspielt. Die Mehrheit des Landes sieht sich in Europa von einer seltsam denglishenden Lena und ihren mehr oder weniger belanglosen Songs offensichtlich ganz gut repräsentiert. Da tut es gut, mal den Blickwinkel von Hell einzunehmen.

„Coming Home“ eröffnet Hell natürlich mit Kraftwerk, es ist „Ohm Sweet Ohm“ keiner der „Hits“, aber ein hintergründig tiefenwirksamer Track aus der „Radio-Aktivität“-Phase der Düsseldorfer, in der sie Deutschland überhaupt erst auf die Pop-Weltkarte setzten – als kühl kalkulierende Ton-Ingenieure, die schon 1975 musikkulturell vorwegnahmen, was heute auch in England als Werbeslogan ohne Übersetzung funktioniert: „Vorsprung durch Technik“. Wie nah unter der kaltblitzenden Oberfläche deutscher Rationalität der Wahnsinn liegt, wurde nie deutlicher als bei der heute im Retrosammelbegriff „Neue Deutsche Welle“ verhunzten kurzen Genialitäts-Explosion von originär in Deutschland verortetem New Wave. „Dreiklangsdimensionen“ steuerten damals Rheingold bei, kaum jemals erreichte eine Band deutscher Provenienz eine derartige Punktlandung zwischen Funk-Verständnis und repetitiver Eindringlichkeit, lapidare Textzeilen wie „Sequenzen ohne Grenzen“ lassen sich ohne Weiteres als hellsichtige Vision des späteren Techno-Deutschlands interpretieren, die sich auch heute noch sehr gut in Hells DJ-Sets macht.

„Was ich haben will, das krieg ich nicht. Und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht.“ So verzweifelte Fehlfarbens Peter Hein zeitgleich in „Paul ist tot“, dem besten Song auf „Monarchie und Alltag“, dem vielleicht besten deutschen Pop-Album aller Zeiten. Es ist eine wütend-ratlose Reise durch Städte-Grauheit, Post-Wirtschaftswunder-Depression und „Teenage Angst“, auch einer dieser markanten Begrifflichkeiten neben „Kindergarten“ und „Blitzkrieg“, die sich im englischen Sprachraum durchgesetzt haben. Jenseits der Mauer hatte Verzweiflung keinen offiziellen Platz. Auch nicht im Pop, der in seiner Spielfarbe „Ostrock“ über 25 Jahre ein irres Versteckspiel zwischen Zensur und Selbstzensur trieb und sich in – heute gern als „poetisch“ verklärte – Verschwurbelung flüchtete. „Dies ist mein und es ist nur durch dich. Klagt ein Vogel, ach auch mein Gefieder nässt der Regen … “ mussten City erstmal texten und einen Vogel als Handlungsträger einführen, um ein „… flieg ich durch die Welt“ unterzubringen, ein immer noch verblüffendes Versagen der Kulturoberen, die derlei Anspielungen eigentlich hätten unterbinden müssen. Dass „Am Fenster“ allerdings der „Soundtrack zur Wende“ gewesen sei, wie Hell meint, zeigt auf, wie man in München, Hells Heimat, den Osten wahrscheinlich bis heute wahrnimmt – als eine seltsame Gegend, auf deren territorialen Anschluss man sicher auch hätte verzichten können.

City – „Am Fenster“

Es gibt noch eine ganze Menge absolut großartiger und gelegentlich verblüffender Songs in Hells Sammlung, D.A.F. sind dabei, Westberlin bekommt seine gebührende Rolle als Gebiet ständigen popkulturellen Ausnahmezustandes; Blumfeld und DJ Koze, Hildegard Knef und Reinhard Mey loten Befindlichkeiten aus und am Ende erteilt ein unwiderstehlich irrer Klaus Kinski Hausverbot. Es ist – und das muss man erstmal schaffen – ein Blick auf Deutschland, der es einem ein bisschen leichter macht, dieses Land zu akzeptieren. Oder es sogar zu lieben … irgendwie.

Augsburg

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