I Heart Sharks-Frontmann Pierre über die Vor-und Nachteile als Band in der Techno-Metropole-Berlin zu leben, das diesjährige Melt!-Festival und seine Vorstellung vom im Ufo davonschwebenden Brian Eno.
I Heart Sharks sind Pierre, Simon und Georg (v.l.n.r.)
Berlin ziehrt sich bekanntlich nie zu postulieren, wie viel die Stadt doch von ihrem hohen Migranten-Anteil profitiert. Auch musikalisch bedarf es erst der Zuwanderung des Briten Pierre, um eine Band wie I Heart Sharks ins Leben zu rufen. Denn während unsere Hauptstadt quasi im Akkord neue Elektro-DJs hervorbringt, hinken erfolgreiche Bandgründungen zahlenmäßig noch etwas hinterher. Im Interview mit motor.de erklärt der I Heart Sharks-Frontmann, wie man es mit Hilfe von ein paar Tricks und Kniffen doch schaffen kann, in Berlin eine Band zu gründen, erzählt, weshalb er das diesjährige Melt!-Festival gemieden hat und stellt uns die Bands vor, die seinen destruktiven Musikhör-Habitus bis heute überlebt haben.
motor.de: Pierre, du bist wieder in Berlin?
Pierre: Ja, ich sitze gerade vor meinem Computer, schneide Live-Videos von uns zusammen und werde langsam wirklich wütend, weil es so schön sonnig draußen ist…
motor.de: Dabei beschwerst du dich auf dem Twitter-Account doch ständig über die Hitze…
Pierre: Jetzt gerade würde ich lieber am Müggelsee sein, dort ist es wunderschön.
motor.de: Stattdessen musst du aber mit deinen I Heart Sharks-Kollegen in einem DDR Studio in Berlin schwitzen – richtig?
Pierre: (lacht) Ja, zur Zeit nehmen wir ein paar neue Ideen als Demos auf. Wir sind die Art von Band, die sehr sehr viele Songs schreibt, von denen dann aber ungefähr nur 1% wirklich zu gebrauchen sind. Die Sache ist, dass man die Schlechten meistens erst erkennt, nachdem man sie aufgenommen hat. Deswegen werden wir nachher auch noch ein bisschen weitermachen…
motor.de: Und wie kann man sich dieses Studio vorstellen?
Pierre: Ich glaube es ist ein altes DDR-Radiostudio in der Nähe vom Ostkreuz. Es ist ein riesengroßes Gebäude, das, Berlin-typisch, natürlich leer steht. Ein paar Leute haben sich dort ihre Studios eingerichtet, unter anderem ein Freund von uns, Ed von Chikinki, bei dem wir jetzt einige Songs aufnehmen. Besonders cool ist diese unechte Holzvertäfelung aber natürlich gibt es auch dort keine Klimaanlage.
motor.de: Ich muss mich an der Stelle für meine Stimme entschuldigen. Das Melt! hat sie leider etwas angeschlagen…
Pierre: Und wie war’s?
motor.de: Sehr gut, warst du nicht da?
Pierre: Nein, ich war die letzten beiden Jahre dort, aber dieses Jahr war das Line-Up ein bisschen zu „cool“ für mich – wenn du verstehst was ich meine. Ein Haufen Bands, die ich für keine sonderlich guten Live-Acts halte. Ich schätze Friendly Fires und Massive Attack waren definitiv gut, aber ich finde, das Melt! sollte mehr Bands auftreten lassen, bei denen man alles ,was man hört, auch auf der Bühne nachvollziehen kann. Keine Typen, die einfach nur ihr MacBook aufstellen und auf Play drücken.
motor.de: Eurem Sound nach zu urteilen, hätte ich vermutet, dass dir Bands wie Delphic zusagen würden.
Pierre: Oh ja, die habe ich letztes Jahr auch gesehen und sie waren unglaublich. Aber jetzt mag ich sie irgendwie nicht mehr. Ich mache nämlich ganz schlimme Sachen mit Musik. Ich kaufe mir ein Album und höre es so lange rauf und runter, bis ich es nicht mehr hören kann. Auf diese Weise zerstöre ich mir sehr viel gute Musik.
motor.de: Darf man sich das bildlich vorstellen?
Pierre: Ich versuche mich da im Zaum zu halten (lacht). Dennoch gibt es nur wenige Alben, die diese Hörprozedur überleben. Vielleicht sollte ich anfangen, mir mehr Alben auf einmal zu kaufen, um einfach keine Zeit mehr zu haben, die Songs tot zu hören.
motor.de: Jetzt interessiert mich aber, welche Alben deinen Zerstörungswahn überlebt haben.
Pierre: Ich könnte zum Beispiel jeden Tag The Knife hören, weil ich immer wieder neue Sachen in ihren Liedern entdecke. Friendly Fires höre ich auch immernoch gerne, wahrscheinlich weil sie ziemlich viel Tiefe in ihrer Musik besitzen und David Bowie. Vor allem die Sachen, die er in Berlin geschrieben hat. Dort hat er angefangen, mit Brian Eno zusammenzuarbeiten. Dadurch sind auf den Songs all’ diese kleinen Details, sodass man immer wieder etwas neues heraushören kann.
motor.de: Hast du von der Reunion von Brian Ferry und Eno gehört?
Pierre: Tatsächlich? Das wird sicher gut. Ich dachte Eno würde irgendwo in einer kleinen Hütte wohnen. Oder ich stelle ihn mir vor, wie er in einem Ufo davonfliegt.
I Heart Sharks – “Wolves”
motor.de: Ihr beschreibt euch als „One English Boy. One German Boy. One Lost Boy.” Du bist offensichtlich der “English Boy”, und euer Bassist kommt aus Deutschland oder wie ist das?
Pierre: (lacht) Eigentlich haben wir gar keinen Bassisten. Naja, irgendwie bin ich der Bassist, aber das versuchen wir geheim zu halten. Wir haben uns gegen einen richtigen Bassisten entschieden, denn meistens sind sie die Uncoolen in den Bands.
motor.de: Ich dachte immer das wären die Schlagzeuger…
Pierre: Schlagzeuger? Nein, dass sind die Merkwürdigen. Er ist bei uns übrigens der Deutsche. Unser Gitarrist ist in vielen Ländern großgeworden, deshalb haben wir ihn Lost Boy getauft.
motor.de: Wo treffen sich drei Menschen, die aus drei verschiedenen Ländern kommen.
Pierre: Das Ganze ging in Berlin los. Wir sind früher viel weggegangen, vor allem ins Berghain, und dann standen wir in der Panoramabar, hörten uns wirklich gute House-Musik an, haben uns gegenseitig die Texte vorgesungen und das war irgendwie der Moment, in dem wir anfingen Musik zu schreiben.
motor.de: Dann scheint ihr Glück gehabt zu haben. Es ist verdammt schwer in Berlin Leute für eine Band zusammenzukriegen.
Pierre: Die Sache ist, dass Berlin keine wirkliche Live-Szene hat. Was du tun musst, ist die Leute auszutricksen, indem du vorgibst, Electro und Techno zu machen und sie dann einfach zwingst, es auch live zu spielen. Auf diese Weise denken sie, sie machen elektronische Musik, sind aber eigentlich in einer Live-Band – so habe ich es jedenfalls gemacht. Ich denke trotzdem, dass diese riesige Techno- und House-Szene in Berlin einen positiven Einfluss auf unseren Sound hat. Es gibt auch diese merkwürdigen Kneipen in Kreuzberg oder Neukölln, in denen Free Jazz gespielt wird – auch da kann man hingehen und sich beeinflussen lassen. Letztendlich würde ich sagen, dass wir eben Pop-Musik spielen. Und Popmusik führt bei uns eben alle Einflüsse zusammen, die wir lieben.
motor.de: Du hast ja vorhin schon gesagt, dass du poppige Sounds wie zum Beispiel David Bowie magst. Wie sieht es mit düstereren Einflüssen aus, zum Beispiel DAF oder New Order?
Pierre: Ich liebe DAF, aber ich glaube zu viel davon macht dich schnell aggressiv. New Order mag ich auch, aber ich muss zugeben, dass ich doch eher ein Pop-Freak bin. Ich gehe musikmäßig gerade durch eine sehr uncoole Phase, sodass ich schon anfange, das vor Leuten zu verstecken. Ich bin gerade total in tanzbare Musik der 90er vernarrt und schätze auch, dass das auf unserem Album durchkommen wird.
motor.de: Klingt interessant. Wann wird das zu hören sein?
Pierre: Zur Zeit basteln wir noch an einem Konzept. Es wird zwar kein Konzept-Album, aber meiner Meinung nach, sollten die Lieder auf einem Album irgendwie zusammenpassen.
motor.de: Und bis dahin gibt es ja noch eure EP mit der Single „Wolves“ und drei Remixen, unter anderem von Dadajugend Polyform, mit denen ihr gemeinsam eure Record Release Party im Magnet Club gefeiert habt.
Pierre: Richtig. Die hören sich übrigens an wie New Order! Es ist schade, dass sie gerade hauptsächlich im Süden Deutschlands spielen, ich finde sie sollten mehr hier in den Norden kommen. Eine großartige deutsche Band!
Interview: Laura Gertken
“Wolves EP”
VÖ: 30.07.2010
Label: LaserLaser
Trackliste:
01. Wolves
02. Wolves Pleasure Ryland Remix
03. Wolves Dadajugend Runs With The Pack Remix
04. Wolves Florian Pühs (Herpes) Remix
Tourdaten:
24.07.2010 Hafen2 Festival, Offenbach
04.08.2010 Lido (DJ-Set), Berlin
09.09.2010 Summerize Festival, Berlin
11.09.2010 Odonien, Köln
15.10.2010 K4 Nürnberg
05.11.2010 Waschhaus, Potsdam
13.11.2010 Projekt 7, Magdeburg
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