Eigenvertrieb und Angebote für jede Brieftasche: Radiohead agieren wieder mal vorn am Independent-Zeitgeist. 

Gucken gewohnt trotzig und agieren gewohnt clever: Radiohead. 

Man war ja schon einiges gewohnt von der Band aber das war dann doch noch ein echter Coup: Am Ende der Woche werde ein neues Album von Radiohead erhältlich sein, verlautbarte die Band unvermittelt auf ihrer Homepage am letzten Montag. Es war prompt die Topmeldung aller auch nur halbwegs relevanten Musikmedien. Freitag, noch einen Tag eher als angekündigt, war es tatsächlich soweit: Für 7 Euro – schnell bezahlt mit Paypal oder Kreditkarte – konnte man sich die acht neuen Stücke holen. Genutzt haben das vermutlich sehr, sehr viele Fans, zumindest wenn man annimmt, dass es eine relativ stabile Server-Infrastruktur war, die zeitweise in die Knie gezwungen wurde.

Radiohead gelten spätestens seit dem „Wunschpreis“-Angebot ihres letzten Albums als Katalysatoren für die Entwicklung des Geschäfts mit der eigenen Musik. Für den Download von „In Rainbows“ konnte man vor vier Jahren eine Zeitlang einfach zahlen, was man wollte, also auch gar nichts. Diesmal gibts „The King Of Limbs“ zum Festpreis, dafür aber praktisch ohne Vorab-Promotion, sonst Usus für Veröffentlichungen dieser Größenordnung und integraler Bestandteil der Veröffentlichungsstrategien von Plattenfirmen. Aber Radiohead kommen für derlei Aktionen ohne Plattenfirma aus, „Eigenvertrieb“ heißt das im Fachjargon, das kannte man früher nur von Bands, die noch auf der Suche nach einem Label waren, am Anfang ihrer Musikerkarriere standen. Heute ist das weitgehende Ausschalten herkömmlicher Vertriebsstrukturen ein probates Mittel für einige gestandene Weltstars, die man allerdings allesamt im „Alternative“-Bereich verorten kann. Umgangen wird so nicht nur der mitunter schwierige Umgang mit immer noch im analogen Gestern verhafteten Plattenfirmen, was nicht nur uneingeschränkte künstlerische Freiheit mit sich bringt oder Kontrolle über die Terminierung und die Konditionen der Veröffentlichungspolitik, sondern selbstverständlich auch einen höheren Eigenanteil der Verkaufserlöse erzielt. Außerdem hebelt die Geschwindigkeit der Veröffentlichung zumindest zum Teil die sonst fast unvermeidliche Gefahr eines – naturgemäß illegalen – „Leaks“ aus und bietet andererseits gerade dem eigenen Fan eine legale und – angesichts des sehr moderaten Preises – obendrein faire sofort nutzbare Besitzoption.

Seine Nine Inch Nails, seine Musik, sein Gewinn: Trent Reznor. 

Die ersten sind Radiohead damit nicht. Vorgemacht, wie ein komplett unabhängiges Vertriebsmodell funktioniert, wenn man auf eine ausreichend große Fanbasis bauen kann, hat Trent Reznor mit seinem Projekt Nine Inch Nails. Der hat den Trick mit dem Blitz-Release schon 2008 erfolgreich probiert, als er aus dem Nichts ein Doppelalbum zum Download bereitstellte. Dabei bediente er sich eines ausgefeilten Systems von verschiedenen Möglichkeiten, die von der Umfangs-reduzierten Kostenlosversion, über ebenfalls fair ausgepreiste Downloads in verschiedenen Audioformaten bis hin zum extrateuren limitierten Boxset mit allerlei Bonusmaterial inklusive handsigniertem Artbook reichte. Die 2500 Exemplare waren sofort vergriffen.

Dieses Modell hat sich seitdem fast schon als eine Art Standard für alternative Vertriebsmodelle durchgesetzt, zumindest bei etablierten Musikern der vergleichbaren Liga. Auch Radiohead schieben dem schnell verfügbaren Download eine reguläre Veröffentlichung auf CD und Vinyl nach, sowie – noch ein bisschen später – eine aufwendige Deluxe-Edition, die wiederum mit dem spektakulär anmutenden Begriff „Newspaper-Album“ spannend gemacht wird. Moby, Konsens-Raver und so etwas wie das personifizierte gute Gewissen der Musikszene, hat dieser Tage seine Vorabsingle einfach mal verschenkt. Die ist ein Vorgeschmack auf sein Album im Mai. Das erscheint auf seinem eigenen Label, in den üblichen „physischen“ und „nonphysischen“ Formaten – und als Bestandteil eines großformatigen Bildbandes mit Tourfotografien.

Mal eben schnell kostenlos runterladen – und später vielleicht das teure Fotoalbum kaufen: Moby. 

Natürlich schaut man in der Branche – je nach Interessenlage mehr oder weniger erfreut – ganz genau hin, wer da wie agiert und was das konkret bringt. Perspektivisch befördert das die eh schon deutliche Entwicklung von großen Allround-Plattenfirmen hin zum reinen Dienstleister für einige ausgewählte Aspekte in der Vertriebspalette, um zum Beispiel ein Album auch in die Regale der Musikmarkt-Ketten zu bringen, im Zweifelsfall eben auch weltweit. Alles andere können inzwischen auch kleine Bands entweder gleich selbst übernehmen; vom Individualvertrieb per Paypal-Zahlung und Dropbox-Download bis hin zum – sowieso am sympathischsten – Verkauf am eigenen Merchandise-Stand. Oder man passt sich in kleiner und zielgenauer aufgestellte Independentlabel-Strukturen ein, die über das notwendige Knowhow für die eher lästigen unkreativen Aspekte verfügen und das Rückgrat haben für eine tatsächlich wirksame Parallelentwicklung von künstlerischem und geschäftlichem Potenzial einer Band. Dass diese Kreativität auch bei der Selbstvermarktung immer selbstverständlicher wird, heißt allerdings noch lange nicht, dass die Zeiten weniger hart würden, gerade für Newcomer, die nicht die Gelegenheit hatten, sich in den Neunzigern eine ausreichend große und treue Fangemeinde aufzubauen. Für die bleibt Musikmachen im Normalfall ein Verlustgeschäft.

Augsburg