Das European Rich Kid, sein Penis, sein Protest – Andreas Spechtl und Stefan Pabst von der Gruppe Ja, Panik im Interview mit motor.de.

Mit ihrem aktuellen Album “The Angst & The Money” avancierte die Wiener Gruppe Ja, Panik vom Geheimtipp zum Liebling der Anhänger einer einst in Hamburg ansässigen Szene.
Moses Schneider, der ja durch dieZusammenarbeit mit Künstlern wie Tocotronic, Turbostaat oder den Fehlfarben oft genug den richtigen Riecher in Sachen deutsch-sprachige Pop-Musik bewies, produzierte auch das dritte Album des österreichischen Quintetts.
Ob via Musikvideo, auf Platte oder in Booklets: Ja, Panik feiern die Protest-Kultur. Sie versorgen uns in Songtexten und Pamphleten mit Parolen wie “Alles Geld, alles Angst alles Hin,Hin, Hin”, fordern auf: “Speit jeden Tag auf den Altar eurer Männlichkeit!” und warnen vor dem “solide mittelmäßigen European Rich Kid” oder “der allmächtigen Liäson von Penis und Kapital”. Wer die Band dabei immer bierernst nimmt, ist selbst schuld, denn auch die “over-sophisticated Pop-Diskursler” kriegen ihr Fett weg. Ja, Panik wissen: “Eure Ideen sind bankrott, ihnen fehlt der Humor”.

motor.de: Waren die Aufstände an den Universitäten Österreichs im Sinne der Gruppe Ja, Panik oder handelte es sich dabei eurer Meinung nach nur um den wohlerzogenen Protest westeuropäischer Rich Kids?

Andreas: Aufbegehren und Lärm finden wir ja grundsätzlich gut. Kleine Aufstände – da sind wir a priori dafür.
Stefan: Das haben wir ganz grundsätzlich unterstützt, gar nicht unbedingt die Pläne im Detail. Anfangs war da auch nichts ausdifferenziert.

motor.de: Was haltet ihr von den Ergebnissen der Proteste?

Andreas: Das Angenehme war ja anfangs, dass es keine Forderungen und keine Führung gab, sondern nur eine große Masse, die sich dagegen gestellt und gemeinsam artikuliert hat: „Nein, so geht’s nicht weiter!“. Erst im Nachinein hat sich dann wer durchgesetzt, einen Forderungskatalog geschrieben und bestimmt, was da drin stehen soll. Dadurch hat sich das alles so kurzsichtig und so ärgerlich entwickelt. Am Ende mussten sie die Uni räumen, weil schon mehr Bettler drin waren als Studenten. Was heißt “räumen”, die Studenten haben gesagt: „Jetzt geh’mer“.
Dabei raus gekommen ist letztendlich nur ein Hilfeschrei danach, besser fit gemacht zu werden, um sich nachher trotzdem aus der Universität auf den Markt zu schmeißen. Ich sag das jetzt absichtlich so: Wenn ein paar Streber danach lüsten, besser ausgebildet zu werden, um in diesem ganzen Umfeld bestehen zu können, ist das ja eigentlich nur im Sinne derer, gegen die da protestiert wird. Wenn die, die Gelder kürzen mal richtig drüber nachdenken würden.
Das Ganze ist mir einfach zu sehr in dem Universitäts-Zusammenhang verhaftet geblieben, so nach dem Motto: „Ich möcht eigentlich nur genug Platz haben und nicht gestört werden.“ Sich in dem ganzen Wahnsinn eine Oase zu schaffen, finde ich ein bisschen verlogen.

motor.de: Wart ihr bei den Demonstrationen auch mit dabei?

Andreas:
Nein, wir haben zu der Zeit schon in Berlin gewohnt und waren außerdem auf Tour. Am Anfang haben wir aber mal vor der Uni gespielt.

motor.de: Inwiefern haben denn die European Rich Kids überhaupt noch eine Chance aus ihrer, ihr sagt es im Video zu “Alles Hin, Hin, Hin” so schön, „hirnlosen Geborgenheit“ zu entkommen ?

Andreas:
Die European Rich Kids sind im Grunde schon verloren. Die vegetieren grad noch so dahin und werden bald ein letztes Lebenszeichen von sich geben. Die European Rich Kids waren schon immer sehr wenige, jetzt gibt es nur noch ein einziges European Rich Kid.

motor.de: Aha. Wer ist es denn? Und was wird aus dem Rest, wenn es das letzte Rich Kid nicht mehr gibt?

Andreas: Da wird man bald drauf kommen, wer das ist. Der Rest ist nur so ein Anhängsel, Schmarotzer. Die zehren noch an dem letzten Bisschen Richness.
Stefan: Also ich gehöre ja zum Rest, aber das letzte European Rich Kid ist sehr zäh, das wird nicht so schnell zu Grunde gehen. Ich kenn es ja.



motor.de: Ihr deklariert ja als möglichen Ausweg die Massenpanik, sprecht aber durch eure Art und Weise eigentlich nur einen kleinen, elitären Kreis an. Wie soll es denn so zu einer Massenbewegung kommen?

Andreas: Das ist natürlich ein großes Problem. Dazu sagt man „Preaching To The Converted“, denn man kann annehmen, dass die Leute, die zu einem Ja, Panik-Konzert gehen, alle ähnlich ticken. Ich muss aber auch ehrlich sagen, dass es uns mehr darum geht, sich mit Dingen zu beschäftigen und auf etwas hinzuweisen. Wir sind keine Prediger. Es wär auch blöd zu glauben, dass so eine lächerlich-schrammelige Indie-Band irgendwas ändern kann. Da braucht man sich nichts vor zumachen.
Mit der Massenpanik beziehst du dich, schätze ich mal, auf das „Alles Hin, Hin, Hin“-Video. Das Nachfolgevideo schlägt aber zum Beispiel eine ganz andere Kerbe. Es gibt nicht nur die Ja, Panik, die da stehen und predigen, wir funktionieren auch auf einer anderen, verspielten Ebene.

motor.de: Manchmal wünscht man sich aber auch, dass man mit dem, was man macht, eine Bewegung lostreten kann, oder?

Andreas: Wenn die Leute drüber sprechen oder irgendwer drüber schreibt, kann sich das ja auch verselbstständigen. Dagegen hätten wir natürlich nichts. Uns ist aber schon klar, dass wir mit unserer Art und Weise nicht in die Wohnzimmer von irgendwelchen Bürofachkräften kommen und die dazu bewegen werden, eine wie auch immer geartete Revolution zu starten. Diese Leute werden wir so nicht erreichen.
Aber man kann sich ja mal drüber Gedanken machen, vielleicht führt es irgendjemand weiter. (grinsend) Wir hätten ja auch gar keine Zeit dafür, schließlich müssen wir Konzerte spielen. Wir können nur Ideen-Geber sein.

motor.de: In euren Stellungnahmen geht es auch immer wieder um die Auflösung bestehender Ordnungen. Im Gegensatz dazu macht ihr aber ziemlich strukturierte Musik.


Stefan:
Findest du? Naja, die Strukturen brauchen wir als musikalische Dilettanten, um uns daran fest zu halten. Ohne eine Struktur wären wir verloren. Rein technisch.
Andreas: (lächelnd) Für uns ist das schon sehr anspruchsvoll und für mich ist das Vertrackte auch eher in den Texten zu Hause. Text und Musik sind ja nicht trennbar und eines von beiden muss der Träger sein. Um mich auf einen Text einlassen zu können, brauche ich irgendeine Ordnung. Ich würd komplett verwirrt und aufgelöst da sitzen und mich gar nicht mehr auskennen, wenn die Musik so wäre, wie viele Texte sind. Und – da brauchen wir uns ja nichts vormachen – das ist Pop-Musik, was wir machen, das ist eh klar. Aber wir können halt nichts anderes.

motor.de: In den Texten sowohl das Englische als auch Deutsche zu nutzen, ist das ein Versuch Struktur aufzulösen oder benutzt du eher aus Reflex beide Sprachen?

Andreas: Früher ist es mir eher irgendwie passiert, da ist mir aus einer Unentschiedenheit heraus oft noch viel auf Englisch eingefallen. Bei „The Angst & The Money“ habe ich das schon als Stilmittel eingesetzt. Ich hab gemerkt, dass ich’s nicht ganz weg kriege und man versucht ja auch immer ein Original zu sein. Der Deutsch-Englisch-Mix ist jetzt eben die Form eines Ja, Panik-Textes. Ein Text, bei dem man sofort merkt: “Das sind Ja, Panik”. Grundsätzlich ist das meiste was wir machen da, um Verwirrung zu stiften, ich würde mich da also nicht speziell auf die englischen Texte festlegen.


Ja, Panik mit Obst in Dresden.

motor.de: Im “Programm in sechs Punkten” zu eurer Platte “The Taste & The Money” schreibt ihr: “Schneidet die Penisse aus der Pop-Kultur!”. Wer hat denn eurer Meinung nach momentan den größten Penis in der deutschsprachigen Pop-Kultur?

Andreas und Stefan:
(angestrengt nachdenkend) Puh, hm. In der deutschsprachigen Pop-Kultur den größten Penis…
Stefan: Da gibts einige Kandidaten. Ist immer ein bisschen schwierig mit Namen nennen.
Andreas: Nein, das ist eigentlich nicht schwierig. Aber ich muss grad echt abwägen.

motor.de: Das ist ja etwas, das ihr selbst kritisiert. Ihr fordert unter anderem auch: “Defragmentiert euer Geschlecht, stülpt es nach innen!” Ich dachte ihr kritisiert damit auch den metaphorischen Penis an euch selbst.

Andreas: Ja, aber wir kritisieren ja nicht die Größe des Penis, sondern seine Übermacht, der wir ja aber eigentlich selbst zuträglich sind. Wir sind ja auch fünf Penisse auf der Bühne. Du kannst den Mann nicht von seinem Penis lösen, nicht von dem, was im Kopf statt findet. Wenn man seinen eigenen Penis kritisiert, kritisiert man seine Männlichkeit an sich und das ist schwierig.
Im Musikbusiness ist eben alles sehr durchdrungen von so einem männlichen Hormonschwachsinn. Da geht es gar nicht nur um die Bands, da geht’s auch um die Techniker und, ja, praktisch den ganzen Betrieb. Und es geht auch nicht um die Größe. Die nimmt ja entgegengesetzt proportional zu, ne? Die Größe und die Größe.
Stefan: Da wird viel kompensiert.

motor.de: Nervt euch das?

Andreas: Schon. Viele Tontechniker gehören einfach zu einem der schlimmsten…
Stefan: … Menschenschläge.
Andreas: Die nehmen ja nicht mal uns für voll. Die merken schon beim Soundcheck, dass wir natürlich nicht genau wissen, wie man den Verstärker einstellt und dass wir nicht die schnellsten Gitarren-Solos spielen und denken sich: „Was sind denn das für Schwuletten da, für dünne?“
Unser Schlagzeuger spielt aber zum Besipiel noch in einer Band mit zwei Damen und das geht einfach überhaupt nicht. Denen wird gar nicht erst zugetraut, dass sie überhaupt wissen, wie man ein Kabel einsteckt. Und wenn irgendwas nicht funktioniert, dann sind erst alle anderen dran Schuld, bevor der hinter dem Mischpult was falsch macht.
Das ist uns früher so auch ziemlich oft passiert. Wir sind auf dem Land aufgewachsen und da gab es immer eine Menge Metall- und Punkbands – und eben uns, die Schwulen. Die meisten Rockbühnen sind immer noch in der Hand von Schweiß, Schwänzen…
Stefan: …und Testosteron.
Andreas: Und die muss man erstmal zurück gewinnen. Im Vergleich dazu sind mir unsere kleinen, niedlichen Penisse eigentlich ganz recht.
Stefan: Ja. Die großen Penisträger tarnen sich zwar mit Mittelscheitel und engen Hosen, das nützt aber meistens nichts. Die werden trotzdem entlarvt.
Andreas: Der Penis ist also eher ein Pars pro Toto.
Stefan: Ein Stilmittel, wie das Schwert für die Armee, das Dach fürs Haus oder der Bug fürs ganze Schiff. Wenn ein Teil von etwas fürs Ganze steht. So ist das auch mit dem Penis. Der steht eben nicht nur für sich, sondern für das, wozu er gehört.
Andreas: Wenn unser Latein-Lehrer jetzt hier wäre…

motor.de: Wäre „Tauben Vergiften Im Park“ ein angemessener Zeitvertreib für die Gruppe Ja, Panik?

Andreas:
Ne, so grauslich sind wir dann doch nicht.
Stefan: Wir sind ja eine sehr lebensbejahende Band. Wir schätzen das Leben an sich, in allen Ausführungen. Und so eine Taube ist sogar eine ganz nette Ausführung.
Andreas: Aber ins Backstageraum-Bier von irgendwelchen Penisträgern würden wir schon mindestens rein spülen.

motor: Puh. Allumfassend tolerant seid ihr also nicht?

Andreas: Nein nein, aber Tiere, Tiere haben wir gern.

Interview: Sophie Bischoff