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25 essentielle Rockscheiben des vergangenen Jahres
Die vergangene Dekade hat musikalisch deutlich mehr Schatten als Licht zu bieten und auch 2010 erreicht die Musikindustrie einen zuweilen traurigen Höhepunkt. Oder wie erklärt man sich, dass eine derart einfallslose Plastikproduktion wie Katy Perrys “California Gurls” zum erfolgreichsten Song des Jahres wird und – für heutige Verhältnisse – gigantische 556.000 mal über die Ladentheke geht. Die Video Music Awards werden nicht nur aufgrund Lady Gagas Fleischkleid zur Krönung der Massenverblödung. Traurig, in welchem Ausmaß Auto-Tune und belanglose Castingformate die Musik- und Medienwelt dominieren. Bis jetzt ist kein Ausweg aus der Krise des Musikgeschäftes absehbar; abseits von Steve Jobs natürlich, der mit den Beatles zum Download einmal mehr triumphiert. Schon bald wird mit Spotify die nächste digitale Revolution über uns hereinbrechen und den Wertverfall von Musik und klassischen Tonträgern weiter vorantreiben. Mit dem Ableben von Pete Steele, Steve Lee und Ronnie James Dio hat die Rockmusik ebenso charismatische, wie bedeutsame Schlüsselfiguren verloren und nicht zuletzt das Loveparade-Desaster stimmt nachdenklich. 2010 ist gezeichnet von tragischen Verlusten.
Aber es gibt auch Hoffnung: MTV entscheidet sich 2011 zum Pay-TV-Sender zu werden und verschwindet zumindest in unseren Breitengraden endlich von der Bildfläche. Zudem verspricht das kommende Jahr mit Veröffentlichungen von Rush, Down, Jane’s Addiction, A Perfect Circle oder QOTSA alles andere als langweilig zu werden. Doch richten wir unseren Blick weg von der Zukunft und zurück auf 365 Tage Musik. Soundgarden-Reunion, Keith Richards veröffentlicht seine Memoiren, die Scorpions dankten ab und wurden als erste deutsche Band in den “Hollywood Rock Walk Of Fame” aufgenommen. Bret Michals ist dank und/oder trotz gesundheitlicher Krise endgültig in den Olymp des Rock’n’Roll Gossips aufgestiegen und Ozzy Osbourne liefert mit „Scream“ eine ebenso große Enttäuschung ab, wie die Hardcore/Alternative-Ikonen Helmet mit „Seeing Eye“
Dennoch gab es einige unerwartet starke Veröffentlichungen und der Dezember legt mit Seventh Void und Motörhead noch einmal kräftig nach. Doch nun Butter bei die Fische! Es folgt die Quintessenz des vergangenen Jahres, die unverzichtbaren Alben aus 2010 von Rock und Stoner, über Alternative bishin zu Hardcore und Heavy Metal. Ob Old-School, Newcomer, alte Größen, genre-entsprechend, experimentell, altbacken, geschmackvoll, innovativ oder auch nicht. Gute Musik.
Monster Magnet – Mastermind
Seine ausufernden Drogenexzesse hätten Dave Wyndorf beinahe das Leben gekostet, er dachte über die Auflösung der Truppe nach und auch das vorangegangene „4-Way Diablo“ fiel recht schwach aus. Nun meldet er sich mit „Mastermind“ in alter Stärke zurück.
Seventh Void – Heaven Is Gone
Auferstanden aus Ruinen. Nach dem tragischen Tod von Pete Steeles vermengen die überbleibenden Type O Negative-Mitglieder Kenny Hickey und Johnny Kelly ihren vertrautem Sound mit deutlichen Black Sabbath-Anleihen und dem schwermütigem Charme alter Grunge-Heroen und schaffen ein herausragendes Album, dass mit Sicherheit zu den besten Veröffentlichungen des Jahres gehört.
Motörhead – The World Is Yours
Wenn es in der Welt des Rock’n’Roll eine Konstante gibt, dann heißt sie Lemmy Kilmister. Mit seinen nunmehr 65 Lenzen sind die schroffen Kneipenweisheiten noch ebenso dreckig, kernig und verlässlich, wie die Qualität des nunmehr 21. Studioalbums.
Black Label Society – Order Of The Black
Kein leichtes Jahr für Zakk Wylde. Erst aufgrund von Blutgerinnseln im Krankenstand und dann verzichtet Ziehvater Ozzy Osbourne erstmals seit zwei Dekaden auf die Qualitäten des unverwüstlichen Bartträgers. Keine weise Entscheidung, denn „Order Of The Black“ hat alles, was „Scream“ vermissen lässt. Der aktuelle Silberling groovt mächtig und fällt im Vergleich zum Vorgängerwerk etwas düsterer aus, was den ruhigeren Songs mit Pianobegleitung besonders gut steht. Trotz aller Rückschlage hat Zakk ein weiteres Mal Kontinuität und seinen hohen Qualitätsstandard unter Beweis gestellt.
Volbeat – Beyond Hell/Above Heaven
Die Dänen sind ganz klar einer der stärksten Aufsteiger der letzten Jahre. Kein Wunder angesichts konstant starker Alben und energetischer Liveshows. Der Mix aus Rockabilly, Metal und Punk geht auch diesmal voll auf.
Armored Saint – La Raza
Schlechte Verkaufszahlen, Verlust des Plattenvertrags und der Leukämie-Tod des Gitarristen Dave Prichard. Die Bandgeschichte von Armored Saint ist gebrandmarkt von Rückschlägen und Tiefpunkten – der kommerzielle Durchbruch bleibt aus. Nach fast einem Jahrzehnt Studioabstinenz kehren die Kalifornier mit solidem Songwriting, kernigen Hooks und John Bushs unverkennbarer Stimme zurück. Armored Saint haben sich ein weiteres Mal erfolgreich reanimiert.
Warpaint – The Fool
Keine Spur von Hype – Die All-Girl-Band aus Los Angeles wird völlig berechtigt als der heißeste Newcomer des Jahres gehandelt. Schwebende Klangsphären, tiefgründige Melancholie und eine gewisse Verletzlichkeit prägen ein anti-kommerzielles Debütalbum selten erreichter Klasse.
Heaven Shall Burn – Invictus
Eine der ganz wenigen Gruppen, die dem Metalcore-Einheitsbrei entstammt und doch einen individuellen und hochkarätigen Stil entwickelt hat. Durchgängig erstklassiges Songwriting und eine druckvolle Produktion, die trotz modernen Sounds zu keiner Zeit steril klingt. Brutal, technisch anspruchsvoll und dennoch überraschend melodisch wird die sechste Langspielplatte zum bisherigen Höhepunkt ihrer Diskographie.
Rob Zombie – Hellbilly Deluxe 2
Teil zwei einer Erfolgsgeschichte zu schreiben funktioniert nur in Ausnahmefällen und wird gerne mal zum Armutszeugnis. Doch Rob Zombie steht nicht länger im Schatten vergangener Glanzzeiten. Auch wenn das Original unerreicht bleibt, meldet sich der Zottelkopf endlich wieder mit starken Songs zurück.
Throwdown – Deathless
Weg von den Hardcore-Wurzeln bewegte man sich in der Vergangenheit hin zur überdeutlichen Pantera-Hommage. Mit “Deathless” finden die Kalifornier die perfekte Balance zwischen messerscharfem Stakkoto-Riffing, kühlen Trigger-Drums und großen Gesangsmelodien zwischen Godsmack und Phil Anselmo. Eigenständig treffen die Straight-Edger die ideale Schnittmenge zwischen Tradition und Moderne, ohne in Genre-Klischees abzudriften.
Kid Rock – Born Free
Man mag von Kid Rock halten was man will – Sicherlich bieten das kommerziell-stumpfsinnige “All Summer Long” oder sein großkotziges Posergehabe berechtigterweise Anlass zur Kritik. Doch “Born Free” ist schlicht, ehrlich und hat ‘Soul’. Es scheint als sei der selbsternannte ‘American Badass’ endlich erwachsen geworden. Mit erdigen Countryklängen offenbart Rick Rubin den unterschätzten Musiker hinter den sonst so aufgeblasenen Überproduktionen.
Killing Joke – Absolute Dissent
Eine Legende kehrt zurück. Nach nahezu drei Dekaden meldet sich das stilprägende Quartett aus London in Originalbesetzung zurück und legt ein melodisch-bombastisches Meisterwerk vor, dass keine Wünsche offen lässt.
Stone Sour – Audio Secrecy
Abseits von Slipknot, die dieses Jahr den Tod von Bassist Paul Gray zu verkraften haben, präsentieren sich Corey Taylor und James Root mit dem Nebenprojekt Stone Sour stets auf ruhigeren Pfaden. “Audio Secrecy” klingt gereift und lebt von balladeskem Songwriting und eingängigen Melodien. Streckenweise etwas glatt, aber weitaus musikalischer als die alberne Clownstruppe.
Stone Temple Pilots – Stone Temple Pilots
Scott Weiland ist nicht nur ein bekanntermaßen ziemlicher Exzentriker, sondern bleibt vor allem Aufgrund seiner anhaltenden Drogenproblematik unberechenbar. Velvet Revolver trennten sich von dem umstrittenen Frontmann, aber konnten bislang keinen adäquaten Ersatz finden. Das selbstbetitelte Comeback-Album macht klar, warum. Denn eines ist unstrittig: Das gewaltige Stimmpotential Weilands. Mit diesem Opus knüpfen die Stone Temple Pilots durchaus an alte Zeiten an.
Slash – Slash
Der Mann mit Zylinder, Lockenmähne und Fluppe im Mundwinkel ist längst Kult. 2010 wird er im Rahmen des Sunset Strip Music Festivals von der Stadt West Hollywood geehrt. Zudem beglückt uns der 44-Jährige endlich mit seinem ersten Solo-Album und legt eine Scheibe vor, die sich sehen lassen kann: Statt selbstverliebten Instrumental-Orgien erwarten den Hörer eine Vielzahl von Gastsängern, deren Palette von Urgestein Iggy Pop bis hin zur attraktiven Fergie von den Black Eyed Peas reicht. Die Songs sind perfekt auf den jeweiligen Künstler zugeschnitten und beweisen die Wandelbarkeit und Vielseitigkeit des Gitarrenhelden. Der bescheidene Slash spricht sich bewusst frei vom Ego-Wahn seiner Kollegen und versteht es umso mehr songdienlich und reduziert zu spielen – Zweifelsohne eines der gelungensten Alben des Jahres.
Scorpions – Sting In The Tail
Nach vier Dekaden Erfolgsgeschichte werden die Scorpions als erste deutsche Band auf dem Hollywood Rock Walk verewigt und machen erneut klar, welchen Stellenwert sie für die deutsche Rockmusik haben. Mit ihrem 17. Studioalbum haben die Herren um Klaus Meine und Rudolf Schenker absolut würdevoll abgedankt.
Danzig – Deth Red Sabaoth
Nach zahlreichen Klassikerwerken beginnt 1996 der musikalische Abstieg der Düsterrock-Ikone. Elektronikelemente führen zu einem Stilbruch, der die Band zunehmend in die Versenkung drängt. Längst totgeglaubt kommt mit dem neunten Album das überraschende Comeback Glenn Danzigs. So hätte Danzig V klingen müssen. Beinahe schafft er es, den Glanz längst vergangener Tage einzufangen.
Sick Of It All – Based On A True Story
Das New Yorker Quartett legt auf ihrer 13. Langspielplatte ein explosives Gebräu aus druckvollem Groove und knallharter Aggression hin. Schlichtweg ehrlicher Hardcore mit metallischem Einschlag. Altbewährtes Erfolgsrezept schnörkellos umgesetzt.
Deftones – Diamond Eyes
Seit über zwei Jahren liegt Bassist Chi Cheng nach einem schweren Autounfall im Koma. Trotz des Schicksalsschlags erscheint mit “Diamond Eyes” das sechste Studioalbum, wenn auch erstmals ohne Chi am Tieftöner. Die Alternative-Rocker aus Sacramento klingen entschieden gereift und überzeugen mit sphärisch-melancholischen Melodien. Der legitime „White Pony“-Nachfolger.
The Dead Weather – Sea Of Cowards
Jack White ist ein Phänomen, das stetig zwischen Genie und Wahnsinn pendelt. Der sperrige Minimalismus, der sich durch die wirren Arrangements zieht, wirkt gleichermaßen zufällig wie höchst ausgeklügelt und macht schnell klar welches Potential jeder der hochkarätigen Musiker besitzt. Höchst kreativer und hörenswerter Mix aus Garage, Alternative, Blues, sozialkritischen Lyrics und einer kräftigen Portion des eben erwähnten Wahnsinns.
Black Country Communion – Black Country Communion
Noch eine Supergroup. Angesichts von Glenn Hughes, Bonham Junior, Derek Sherinian und Gitarrengott Joe Bonamassa erweckt diese sogleich enorm hohe Erwartungen, denen sie zu jederzeit gerecht werden. Ehrlicher Blues bzw. Hard Rock, starkes Songwriting und trotz anspruchsvoller Instrumentalarbeit verfallen diese Ausnahmemusiker zu keiner Zeit in die Selbstbeweihräucherung der eigenen technischer Raffinesse. Astreiner 70’s Rock made in 2010.
Motorjesus – Wheels Of Purgatory
Herrlich straight und kraftvoll feuern die Mönchengladbacher durch “Wheels Of Purgatory” – Die Scheibe hat genau das, was das Cover verspricht. Da sinkt der Fuß ganz zwangsläufig ins Gaspedal. Die deutsche Antwort auf amerikanischen Stoner Rock kann sich mit diesem Zweitwerk problemlos mit Genregrößen messen.
Accept – Blood Of Nations
Deutscher Export-Rock stand dieses Jahr wohl hoch im Kurs, denn mit Accept ist eine der dienstältesten und bedeutsamsten Heavy Metal-Bands zurück. 14 Jahre nach der Auflösung erschien nun das zwölfte Studioalbum, welches zugleich das Erste ohne Udo Dirkschneider am Mikrofon darstellt. Ein Schritt, der zum Scheitern verurteilt schien. Doch die Band schafft, womit keiner gerechnet hat und knüpft tatsächlich an alte Glanztaten an.
Kylesa – Spiral Shadow
Melodisch, noisy, psychedelisch. Ein wuchtiger Trip durch komplexe Klangsphären, die kaum vielschichtiger sein könnten. Die Gruppe aus Georgia scheint vor Kreativität förmlich überladen zu sein und wird dem Begriff Avantgarde im positiven Sinne gerecht. Ein fesselndes Sludge-Meisterwerk.
Smoke Blow – The Record
Das Kieler Sextett ist bekannt dafür, sich mit jedem Album spielend zwischen den Genres hin- und herzubewegen. Auf ihrer bislang härtesten Langspielplatte setzen sie auf einen höchst explosivem Mix verschiedenster Spielarten und verschmelzen dreckiges Black Metal-Riffing ala Entombed mit eingängigem Hardcore der Machart Sick Of It All. Das Ergebnis klingt entsprechend gewaltig, und die Burschen aus dem hohen Norden nie besser.
Matthias Ziegenhain
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