Was ist Musik? Und kommt Kunst tatsächlich von Können? Jarvis Cocker lässt die Antworten offen und stellte seine Musik stattdessen aus.

Vor sieben Jahren zog Jarvis Cocker nach Paris. Mit seiner Frau und dem Versprechen auf den Lippen, eine musikalische Schaffenspause einzulegen. Inzwischen veröffentlicht der Ex-Pulp-Sänger mit “Further Complications” sein zweites Soloalbum, das er in der französischen Haputstadt eine Woche lang vor- und ausstellte, um der Frage nachzugehen, was Musik eigentlich bedeutet.

Ihr habt eine Woche lang in der Galerie Chappe geprobt, Musik für Yoga-Gruppen gemacht und mit Kindern musiziert. Deine Zwischenbilanz?
Jarvis Cocker: Es war merkwürdig als wir die Kinder hier hatten. Keines von ihnen wollte singen. Wir hatten ein Mikrophon mit Echo, für gewöhnlich lieben Kinder es – meinen Sohn eingeschlossen – damit Geräusche zu machen. Weil so viele anwesend waren, haben sie sich ein wenig geziert ein klassischer Fall von Gruppenzwang – niemand wollte herausstechen.

Den meisten Bands ist ihr Proberaum heilig, ihr habt euren in den letzten Tagen öffentlich gemacht. Wie ist es auf einmal vor anderen Leuten zu proben?
Jarvis Cocker: Du darfst dir die Leute nicht als Publikum vorstellen. Wenn du sonst in eine Galerie gehst, rechnest du ja auch nicht damit, dass die Bilder extra ihr Aussehen für dich verändern. Es kann hier total langweilig sein, weil wir uns um technische Dinge kümmern müssen oder vielleicht gerade Kaffee trinken. Selbst wenn wir spielen, kann der Song langweilig sein. Aber die Leute haben die Möglichkeit vorbeizukommen, wann immer sie wollen und es sich ansehen.

Sind alle Musiker gleichzeitig Künstler?
Jarvis Cocker: Ich versuche nicht versnobt zu sein, was das betrifft. Um Weihnachten herum gab es in England eine interessante Situation: Die Gewinnerin der Castingshow The X Factor veröffentlichte “Hallelujah” von Leonard Cohen als erste Single, was die Öffentlichkeit unheimlich aufzuregen schien. Es gab Kritik von mehreren Seiten. Es ist doch eine befremdliche Idee, dass bestimmte Menschen gewisse Lieder nicht singen sollten. Ziemlich faschistisch, oder? Ich war schon immer für Demokratie, auch in der Kunst.

Auch was die Verbreitung von Kunst und speziell Musik angeht?
Jarvis Cocker: Heutzutage kaufst du eine Zeitung und bekommst eine DVD dazu oder zum Beispiel das neue Prince Album. Es gibt diesen Film namens “The Wicker Man” – ein Kultfilm als ich jung war – der vielen Menschen eine Menge bedeutet hat. Wann immer er im Fernsehen lief, war das aufregend für uns und dann, vor vier Jahren, lag er ebenfalls als DVD einer Zeitschrift bei. Ein Teil von mir war erfreut darüber, weil ihn nun alle Leute sehen könnten. Andererseits fühlte sich nicht gut an – es hatte keinen Wert mehr.

Jarvis Cocker – “Running the World”

Das heißt, du würdest deine Musik also nie so vertreiben wie beispielsweise Radiohead es getan haben?
Jarvis Cocker: Es war eine wirklich gute Idee, aber ich weiß nicht. Den Song “Angela” habe ich verschenkt und jeder, der will, kann ihn sich runterladen. Man sagte mir, dass sei modern und ich bin gern modern: Super Idee, also.

Du hast vor dreißig Jahren angefangen Musik zu machen. Würdest du noch einmal gern mit den jungen Bands von heute tauschen?

Jarvis Cocker: Leute sollten keine Bands gründen um Erfolg zu haben, sondern weil sie etwas Kreatives schaffen möchten. Popmusik hat mich immer begeistert und ich habe sie dem Rock vorgezogen, weil sie eine gewisse Ehrlichkeit inne hatte und sich selbst nicht so wichtig nahm. Aber nein, heutzutage wird Popmusik von Castingshows ausgeschlachtet. Es geht den Leuten nur darum, prominent zu werden. Natürlich sind solche Sendungen unterhaltsam. Wenn ich in England bin, gucke ich sie auch. Machen wir uns nichts vor, man sieht sie nicht wegen des künstlerischen Anspruchs. Wir werden an den persönlichen Geschichten beteiligt und warum es für die Teilnehmer so wichtig ist zu gewinnen. Das ist wie eine Seifenoper.

Auch dir ist die Presse vor einigen Jahren sehr nah gekommen und wollte Teil an deinem persönlichen Leben haben.
Jarvis Cocker: Ja und ich bin nach Paris geflohen….

Ina Göritz