Josephine hat sich mit ihrem neuen Album "Potrait" unverrückbar einen Platz in der Singer-Songwriter-Riege erspielt. Zwar haben wir sie auf motor.de bereits in einer Review berücksichtigt, trotzdem denken wir, dass die Sängerin aus Manchester am besten selbst über ihre Musik sprechen kann. Gesagt, getan. Das ausführliche motor.de-Interview exklusiv für euch.


(Fotos: John Sauter)

motor.de: Du bist gestern hier am Spreeufer aufgetreten, wie war es für dich?

Josephine: Das war ein wundervoller Ort, um aufzutreten. Es war das erste Mal, dass ich in Berlin gespielt habe. Gestern habe ich auch gleich ein Wort gelernt… wie hieß es noch… Lam, Lamp…

motor.de: Lampenfieber? Warst du aufgeregt?

Josephine: Ja. Es war für mich echt schwer, da alles sehr ungewohnt war: Dieses Setting und dieser Ort waren neu, also wusste ich nicht, was passieren würde. Aber es hat geklappt.

motor.de: Du performst gerade nur Tracks deines neuen Albums oder auch ältere Stücke?

Josephine: Ich versuche immer, einen guten Mix hinzubekommen, so dass ich zwischen 40 Minuten und eine Stunde füllen kann. Cover-Versionen baue ich gern mal zwischen den regulären Tracks ein.

motor.de: Du hast gestern gesagt, dass du deine Single unbedingt immer auf Platz drei im Set spielen willst, weil dir das jemand empfohlen hat. Wer war das?

Josephine: Mein Gitarrist, der mich auf größeren Gigs begleitet. Er sagte: "Spiel die Single immer an dritter Stelle, das funktioniert." Er hat diesen Tipp wiederum von einem Musikerkollegen.

motor.de: Warum an dritter Stelle?

Josephine: Ich weiß nicht genau. Vielleicht ist das eine Sache der Aufmerksamkeit. Vielleicht ist das die ultimative Stelle, an der die Leute richtig ins Set reinrutschen. Bei Track eins sind vielleicht noch gar nicht alle da, stehen noch am Eingang. Aber bei Track drei hören schon alle zu.

motor.de: Gibt es viele Personen in deinem direkten Umfeld, die dir Tipps für die Show geben?

Josephine: Ja… Jeder, wirklich jeder ist ein Musikkritiker, haha. Es kommen aber wirklich viele gute Tipps. Sogar als ich auf einem Festival in Kent aufgetreten bin, kam ein alter Mann aus dem Publikum, der wirklich schon viele Konzerte gesehen hatte, und sagte: „Der Gig war sehr gut – aber ich habe ein paar Tipps für dich.“

motor.de: Gestern konnte man dich allein auf der Bühne sehen, hast du in der Vergangenheit eher Soloauftritte oder Band-Auftritte absolviert?

Josephine: Die meiste Zeit habe ich allein gespielt. Doch mit der Zeit kamen immer mehr Musiker dazu. Auf der zurückliegenden Europatour waren wir zu zweit. Für die nächste Tour wird eine größere Band dabei sein.

motor.de: Wie findest du Musiker, die zu deinem Sound und deinem Stil passen?

Josephine: Es passiert viel im Freundeskreis. Oft frage ich einfach Leute, die ich kenne und denen ich vertraue. Mein Gitarrist ist zum Beispiel jemand, den ich schon jahrelang kenne. Er kommt aus Manchester, wie ich.

motor.de: Die Gitarre, die du mithast, ist das deine einizge, dein Liebling, den du immer spielst – oder sammelst du?

Josephine: Oh… Ich habe viele, viele Gitarren. Das hier ist eine akustische von Gibson. Außerdem habe ich eine E-Gitarre von Gretsch, eine von Peerless – die ist gerade neu und… ich habe wirklich sehr viele Gitarren.

motor.de: Du hast vorhin die neue Vokabel „Lampenfieber“ erwähnt. Woher kommt dein Selbstvertrauen, so wie gestern, allein mit einer Gitarre und einer wirklich sehr kleinen PA vor so vielen Leuten aufzutreten? Das war ja wie ein Street-Gig.

Josephine: Ja, das hat mich etwas verängstigt. Ich meine, da bist nur du, keiner sonst, nicht der Producer, kein anderer Gitarrist. Nur du und das Publikum. Aber gerade dann ist es oft so, dass dir die Leute sehr genau zuhören, sehr aufmerksam sind. Es ist eine große Herausforderung unter solchen Umständen jederzeit gut zu sein. Aber das macht dich stärker. Du hast gesehen, es lief…

motor.de: Ich nehme an, du bist diesen langen Weg durch kleine Club-Gigs gegangen. Hast du eigentlich auch Straßenmusik gemacht?

Josephine: Ich habe sehr viel in Clubs gespielt. Straßengigs nie. Manchester ist eine sehr musikoffene Stadt, das heißt, du findest immer einen Club zum Spielen. Das Fokussieren auf Clubs ist vor allem gut gewesen, weil ich viele wichtige Supports gespielt habe, und dadurch den Leuten ein Begriff wurde.

motor.de: Hast du zeitig mit dem Live-Spielen angefangen?

Josephine: Ja, schon als ich 15 war. Schon damals war es meistens akustisch, also ich und meine Gitarre. Durch die phantastische Gig-Szene in Manchester kamen immer mehr Auftritte dazu. Bei jedem Gig gab es immer mindestens eine Person, die meinte, ich könne da und da nochmal auftreten, oder dass ein Bekannter was regeln könnte. Kurz bevor ich zwanzig wurde, habe ich angefangen, sehr viele Songs selbst zu schreiben. Manchester hat mich da sehr beeinflusst, weil dort in der Gitarrenmusik so viel passiert. Außerdem wirken natürlich die großen Bands wie die "The Stone Roses", "The Smiths" und "Oasis" noch immer nach.

motor.de: Welche Bands haben dich direkt beeinflusst?

Josephine: Ich war natürlich immer sehr beeinflusst von Gitarrenmusik. Das betrifft die genannten Bands ebenso wie Sachen von Nirvana. Was das Songwriting betrifft, so waren in meiner Jugend Leute wie Bob Dylan, den ich jeden Tag hörte, und Joni Mitchell ein starker Einfluss – auch Covermusiker wie Johnny Cash, in seinen Interpretationen bringt er so viel Neues, so viel Seele in die Musik. Meine Familie hat mich beeinflusst. Meine Mutter ist aus Liberia und zuhause lief viel westafrikanische Musik wie zum Beispiel von King Sunny Adé.

motor.de: Ich nehme an, auch dein Viertel Cheetham Hill hat dich sehr geprägt.

Josephine: Es ist vielleicht nicht so bekannt für seine Musikszene, doch es fließen dort sehr viele Kulturen zusammen. Es ist der Ort, an dem viele Immigranten ankommen. Es gibt eine große jüdische Community, einen großen afrikanischen Bevölkerungsteil – weswegen sich meine Mutter entschlossen hatte, dort hinzuziehen – und viele Leute aus Polen. Cheetham Hill war und ist immer noch ein Anlaufpunkt, an den die Leute zuerst kommen, erst später erkunden sie die Stadt.

motor.de: Ich höre da heraus, dass das Nachhausekommen immer noch sehr schön für dich ist.

Josephine: Ja. Es ist immer fantastisch. Gerade weil ich viel reise – die Promotermine, die Auftritte – ist es wunderbar, nach Hause in mein Viertel zu kommen.

motor.de: Hast du eigentlich Haustiere? Du hast bei deinem Gig gestern den Hund im Publikum gelobt, dass er so chillig ist.

Josephine: Hahaha, wenn ich ein Haustier hätte, dann wäre das ein Fisch. Der ist einfach zu handhaben und rennt nicht weg, haha. Da muss ich mir nicht ständig Sorgen machen. Aber leider ist das mit Haustieren nicht möglich, weil ich niemanden habe, der auf sie aufpassen würde, wenn ich ständig auf Tour bin.

motor.de: Ich habe auf Youtube ein Video mit dir und deiner Band gesehen, wie ihr für die BBC performt. Was hast du lieber: mit einer großen Band zu spielen oder die Shows alleine?

Josephine: Es gibt klare Gründe, die jeweils für beide Möglichkeiten sprechen.

motor.de: Das Krasse an deinem Album ist, dass jeder Song wirklich wie ein Unikat klingt, das ist selten bei Singer-Songwriter-Material so. Das hast du auch durch die Band-Instrumentierung geschafft – oder?

Josephine: Ja, das empfinde ich auch so.

motor.de: Gibt es einen Producer-Mastermind hinter der Scheibe?

Josephine: Leo Abrahams. Er hat schon mit Brain Eno, Grace Jones und vielen anderen gearbeitet. Allein diese großen Namen zu sagen… Es war schon toll, mit ihm zu arbeiten. Er hat viele Songs stark beeinflusst. Manchmal bin ich nur mit einem Chorus gekommen, den ich schon lang im Kopf hatte, und er hat mir beim Rest geholfen, oder es war umgekehrt, ich hatte schon den ganzen Song als Idee im Kopf, er dann eine Hook-Idee, und ich konnte mich darauf konzentrieren, den Song fertig zu schreiben. In der Regel bin ich schon mit fertigen Songs ins Studio gegangen. Aber Leo hat viel mit den Arrangements zu tun. Es ist, wie du schon sagtest, diesen Style bloß mit Gitarre… das auf Platte rüberzubringen ist schwer, und so war es großartig, mit einem Producer und einer Band zusammenzuarbeiten. Selbst wenn mal was zu ähnlich klang, hat es Leo geschafft, es so hinzubekommen, dass jeder Song seinen eigenen Charakter hat.

motor.de: Mein Lieblingstrack auf dem Album ist „House of Mirros“. Dort singst du „I try to find familiar faces, but they fade“. Viele deiner Tracks haben mit Einsamkeit zu tun. Wie nah stehen sich lyrisches Ich und deine Realperson?

Josephine: Die Songs sind alle über mich oder Dinge, die ich gesehen und erfahren habe. Es ist schwer, eine Songwriterin zu sein, ohne die sehr persönlichen Elemente einzubringen.

motor.de: Da ist sehr viel Schmerz in deiner Stimme.

Josephine: Ja. Ich versuche aber, nicht zu übertreiben, es sind vielleicht mehr die Worte, die das reflektieren. Jeder, der schreibt, weiß, dass das ein sehr einsamer Job ist. Wenn es um Kreativität geht, bist du immer auf dich allein gestellt. "House of Mirros" ist auch mein Lieblingssong.

John Sauter