Jens Friebe über musikalische Müllskulpturen, die Genialität der Vengaboys, verzerrte Gitarren, wilde Klaviere und seinen legendären Auftritt im ZDF Morgenmagazin. Die Welt erklärt in 20 Minuten- ein Versuch von Jens Friebe.
Am 8. Oktober erschien mit „Abändern“ das dritte Studioalbum des Liedermachers Jens Friebe. Auf der Platte bewegt er sich weg von der Gitarre hin zu klavierlastigen Stücken, die voller Verweise stecken. Im November startet die Tour zur neuen Scheibe, gerade erst war Friebe mit dem Goethe Institut im Irak unterwegs. Motor.de traf ihn kurz vor Abflug im Berliner Café Schönbrunn und lies sich die Schönheit des Trash, die Gefahren des Bundesvision Songcontest und die Geschichten hinter seinen Songs erklären.
Motor.de: In Paris ist im modernen Museum gerade eine Ausstellung, wo Designer aus Abfall und Schrott krasse Skulpturen basteln – da muss man unweigerlich an dich und deine neue Scheibe denken. Die steckt ja voller Verweise nicht nur auf beeindruckende Personen, sondern auch oft ganz einfach auf eine Menge Trash. Ich habe gelesen, dass „Abändern“, der Titel deines neuen, vierten Albums, dem Vengaboys-Song „Up And Down“ entlehnt ist und in „Verbotene Liebe“ fühlt man sich an Dieter Bohlen und Thomas Anders erinnert. Inwiefern spielen solche Verweise für dich eine Rolle?
Jens Friebe: Frank Zappa hat mal gesagt, er produziere musikalische Müllskulpturen, aber ich hasse Zappa. Man hört seiner Musik die Arroganz gegenüber dem Material an, das er verwendet. Das ist Popmusik, die von jemandem gemacht wurde, der Popmusik verachtet. Bei mir ist das anders. Ich mochte „Up And Down“ immer. Für mich hatte das auf irgendeine Weise immer auch was Punkiges. Im Grunde ist das doch so ähnlich wie bei „Da Da Da“ von Trio und von der Einfachheit her auch ziemlich nah an den Ramones dran. Wie da aus dieser ganz stumpfen Zeile mit diesem total funktionierenden Beat ein solcher Hit gebaut wurde, dem man sich gar nicht entziehen kann, fand ich schon damals einfach super.
Bei Dieter Bohlen passt der Vergleich natürlich schon eher (lacht). Da verehre ich jetzt nicht unbedingt das Gesamtwerk aber ich finde, auf eine Zeile wie „Atlantis Is Calling, S.O.S. For Love“ muss man auch erst mal kommen. Ich glaube, als normaler Intellektueller kann man sich solche Bilder gar nicht ausdenken. Da muss man wohl diese Unschuld von jemandem wie Dieter Bohlen haben, der auf Kommerz schielt und doch irgendwie intuitiv arbeitet. Auf so etwas dadaistisch-expressives würde ich einfach nicht kommen.
Motor.de: Wie kam es zu diesem „Up And Down“- Abänder-Ding?
Jens Friebe: Erst einmal wollte ich dieses Stück unbedingt mal covern. Ich habe gerade erst erfahren, dass die Erdmöbel das auch schon auf Deutsch gemacht haben. Ich bin sehr froh, dass ich davon jetzt erst gehört habe, denn sonst hätte ich das natürlich nicht gemacht. Ich habe mir diesen Song angehört und für mich klang es schon im Original so als würden die „Abändern“ singen. Das habe ich dann noch ein bisschen zugespitzt und hatte einen Super-Titel für ein Album.
Vengaboys – “Up & Down”
Motor.de: Und die Verflechtung aus Trash und Schlagerelementen mit schlauen Lyrics? „Billiges mit Teurem kombiniert“? Das scheint ja eine wichtige Rolle zu spielen. Wie arbeitest du da?
Jens Friebe: (lacht) Na, in dem Song „Königin im Dreck“ wird dieser Gegensatz ja auch wiederholt. Der Dreck als das Billige und die Königin als das Teure, eine Antwort auf das wahre Leben im Falschen, das es nicht gibt, das es aber doch irgendwie gibt. Gleichzeitig ist es da eben diese Luxusthematik. Dass man billiges mit teurem kombiniert ist so eine Lifestyler-Formel. Außerdem geht es in dem Stück um Ronald M. Schernikau. Das steht in Zusammenhang mit dieser Kombination aus Linksradikalismus und gleichzeitig dieser meist als dekadent umschriebenen, zärtlichen Selbstaufmerksamkeit und schwulem Ästhetizismus, die Schernikau versucht hat zu finden. In einer sehr weiten Deutung kann man „billig“ auch als das „Billige“ im Sinne von „Recht und billig“ als das, was einem zusteht, verstehen. Und das „Teure“ als den Preis, den man bezahlen muss, um das, was einem zusteht, zu bekommen.
Motor.de: Ist das immer beabsichtigt oder passiert das auch oft aus dem Zufall heraus?
Jens Friebe: Wenn man ein Lied schreibt, ist man ganz schnell an einem Punkt, an dem man selber gar nicht mehr weiß, ob da vorher ein Gedanke war oder ob man selbst schon in eine Selbstinterpretation gerät. Letztendlich weiß man nie, woher eine Zeile wirklich kommt. Ich möchte jetzt nicht in eine geniekultige Inspirationshuberei geraten. Da ist egal, wer was macht, man fängt einfach immer ganz schnell an, sich selber wieder zu erklären.
Motor.de: Aus Modern Talkings „Atlantis is calling, S.O.S for Love“ wird bei dir „Atlantis is calling, SS or love“. Im gleichen Stück hört man von braunen Scherben, die in das Holz der Klettergerüste eindringen. Worum geht es in diesem Song?
Jens Friebe: Es geht eigentlich von der Beobachtung aus, dass großstädtische Schwule eine Affinität zum faschistoiden Dresscode haben, sich gerne so kleiden und auch insgesamt die Ästhetik mögen. Das habe ich in Bezug zum tatsächlich rechtsradikalen ländlichen Milieu gesetzt und mir vorgestellt, wie mit diesen braunen Scherben irgendwelche Symbole in Klettergerüste geritzt werden, wie man das von der eigenen Kleinstadt kennt. Das ist natürlich ein aggressives Bild. Diese braunen Scherben sind schon eine Vorstufe zur Waffe.
Motor.de: Die neue Platte ist ja ein ganzes Stück klavierlastiger als ihre Vorgänger. Kein Bock mehr auf Gitarren?
Jens Friebe: Ja, ich war der Gitarre ein wenig müde. Ich mache schon seit den Achtzigern Gitarrenmusik und damals stand die verzerrte Gitarre noch für Dissidenten. Mittlerweile ist sie aber sehr durchkommuniziert und unheimlich angekommen. Das Klavier war für mich jetzt ein bisschen der Ausweg, das Instrument zu benutzen, das ich sowieso besser und länger spiele.
Motor.de: Du hast das Klavier ja irgendwie auch auf gitarrenartige Weise benutzt. Mir ist jedenfalls nicht sofort aufgefallen, dass da die Gitarren fehlen.
Jens Friebe: Wenn man „Klavier“ hört, wird das ja meistens als das ruhige Instrument benutzt. Ich wollte einfach mal schauen, was man an Wildheit aus dem Ding holen kann. Ben Folds probiert das teilweise auch, ist da aber noch eher jazz-poppig angehaucht.
Jens Friebe – “Theater”
Motor.de: Oft klingen deine Texte wie einfache, assoziative Wortspiele oder Aneinanderreihungen schöner Worte. Kann man Friebe-Texte entschlüsseln oder ist es oft auch nur das Spiel mit den Worten, das dich antreibt?
Jens Friebe: Eigentlich gibt es schon immer eine Geschichte oder einen Sinn, der hinter einem Stück steht. Es gibt kaum Lieder, die einfach nur ein Klangstrom sein sollen. Bei „Königin im Dreck“ ist es wahrscheinlich am collagenhaftesten, aber da gibt es auch diesen Bezug auf Ronald M. Schernikau. Er hat ja selbst auch diese Collage-Techniken in seinen Büchern und da erklären sich dann die Bilder aus den Motiven, die in diesen Büchern vorkommen. Das kann man, ohne die zu kennen, wahrscheinlich kaum verstehen.
Es kann wirklich sein, dass die Stücke auf der neuen Platte etwas erklärungsbedürftiger sind als die alten Lieder. Aber auch die alten Songs wurden teilweise ja als rätselhafte Wortkaskaden verstanden. Das hat mich manchmal schon sehr gewundert. „Theke mit den Toten“ ist zum Beispiel ein Lied, bei dem ich dachte, dass es ein sehr klares Pro-Vegetarismus-Statement wäre. Viele Leute haben das aber nur als etwas ganz kryptisches verstanden. Da dachte ich mir manchmal, dass sie diesen Aufruf einfach nicht begreifen wollen. Für mich ist da jede Zeile total klar. Ähnlich ist es auch bei „Gespenster“. Da geht es um Internet und Pornografie. Wenn man das weiß, hat jede Zeile einen ganz klaren Sinn und wenn man es nicht weiß, ist es halt einfach irgendeine phantasievolle Collage. Aber ich mag es auch eigentlich sehr gerne, wenn Sachen auf zwei Ebenen funktionieren. Eigentlich gibt es schon einen klaren Schlüssel, das Lied wird aber geheimnisvoll, wenn man diesen Schlüssel nicht kennt.
Motor.de: Du machst ja auch bei Britta mit und hast für „Abändern“ mit Almut Klotz zusammen gearbeitet. Inwiefern liegen dir Emanzipation und Feminismus am Herzen?
Jens Friebe: Es fällt einfach auf, dass man immer noch meistens von Typen umgeben ist, auch wenn das vielleicht schon ein bisschen besser geworden ist. Diese ganzen neuen Jungsbands langweilen mich einfach und ich freue mich, wenn es gute Frauenbands gibt. Die machen die Sache einfach lebendiger. Ich persönlich sympathisiere sehr damit und versuche das zu unterstützen und voranzutreiben, wenn das irgendwie geht.
Motor.de: Wie sieht es mit Literatur aus? Wird es so etwas wie „52 Wochenenden“ nochmal geben?
Jens Friebe: Ich denke schon. Allerdings wollte ich eigentlich nicht einfach eine Fortsetzung schreiben und denke nun schon seit einer Ewigkeit über ein Format nach, das ähnlich dankbar ist, in dem Sinne, dass es formal total streng ist und inhaltlich völlig offen. So dass ich einen ganz klaren Menchanismus habe: Jede Woche schreibe ich über das, was gerade passiert ist und gleichzeitig kann ich über alles schreiben, wo ich gerade Bock drauf habe. Das habe ich bis jetzt noch nicht gefunden, aber mittlerweile denke ich fast, wenn ich nichts finde, dann mache ich einfach doch eine Fortsetzung (lacht).
Motor.de: Bei Youtube gibt es ein Video, in dem du im ZDF Morgenmagazin ausgefragt wirst. Im Hintergrund sieht man nur alte Menschen und du bist ganz blass. Wie war das?
Jens Friebe: Da war ich natürlich blass, weil es früh morgens war. Das war ein absurdes Kontrastprogramm und irgendwie eine seltsame Erniedrigung, derart bizarr, dass es auch wieder Spaß macht. Mir war dabei natürlich klar, dass es absurd ist und ich dachte mir, dass es eventuell lustig sein könnte, sich in so etwas reinzubringen, um mal zu schauen, was passiert. Das konnte einfach nur schräg werden.
Bei anderen Formaten wäre ich da schon vorsichtiger. Der Bundesvision Songcontest war bei der letzten Platte zum Beispiel mal Thema. Natürlich wollen die Promoter immer gerne, dass man da mit macht, weil man eine wahnsinnige Reichweite hat. Aber sich da reinzustellen und sich in Rankings zu begeben, wo man dann gegen die Sportfreunde Stiller verliert, finde ich dann doch schwieriger.
Motor.de: Wie fühlt es sich denn an, so häufig in die Schlager-Schublade gesteckt zu werden? Passiert das noch häufig?
Jens Friebe: Ich finde, die neue Platte liefert wenig Anlass dazu. Bei der ersten kam das sehr oft vor, aber das hat mich eigentlich auch nicht so wahnsinnig gestört. Ich verstehe zwar, wie die Leute darauf kommen, weil ich einfach an Genres interessiert bin, die, wenn man sie auf deutsch macht, schnell schlagerig wirken. Vor allem Electro-Pop und Sixties-Beats haben auf deutsch immer eine entfernte Schlager-Affinität. Aber die Unterschiede liegen ja jedem, der ein bisschen Mumm hat, ziemlich offen zu Tage und nur, weil einige Menschen, in dem, was ich tue, eine Ähnlichkeit zu etwas sehen, das nicht gut ist, sehe ich keine Notwendigkeit, es sein zu lassen.
Eigentlich hat Schlager ja auch Potential. Schlager sind direkt und eingängig, eine deutsche Version von „Hit“. Das Problem der meisten Schlager ist einfach, dass sie bescheuert sind. Die ideologische Feindschaft zum Schlager, wie sie von der Seite des politischen Liedermachens früher gekommen ist, gilt ja mittlerweile auch eher für den Großteil des Pop. Dass es eskapistisch ist, die Ausgebeuteten beruhigt und in irgendeine Phantasiewelt einlullt, passt heute vielmehr zum Pop als zum Schlager, wo ja, wie früher im Country, eher noch Unterschicht-Problematiken wie Scheidung oder Alkoholismus angesprochen werden. In der Popmusik werden indes Jugend und Hedonismus gefeiert.
Interview: Lydia Meyer
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