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Madonna versus Lady Gaga: die Legende leidet unter der Wahl des falschen Schlachtfeldes.
Der Körper als Waffe – nur wogegen?
Besonders feinfühlig gab sich Elton John mal wieder nicht: Madonna sei nur noch “a fairground stripper” – eine Jahrmarkts-Stripperin also –, ihre Karriere doch wohl vorbei, ihre Tour ein Desaster und – die wörtliche Übersetzung lassen wir diesmal lieber aus – “it couldn’t happen to a bigger cunt”. Es fallen einem nicht viele Begriffe ein, die beleidigender gemeint sein können als “stripper” und “cunt”, zumindest außerhalb einer auch sprachlichen Ghetto-Kultur, der sich ein “Sir” Elton John gemeinhin nicht zuordnen lässt, wenn man auch dem gleichgeschlechtlich Verheirateten und Vater einer durch eine Leihmutter ausgetragenen Sohn eine gewisse verbale Freigeistigkeit sicher zugestehen muss.
Madonna – und darum geht es bei dem schon länger andauernden Dissen – hat ihre Probleme mit Lady Gaga, Johns Busenfreundin. Die würde ihre Songs klauen, so der Kernvorwurf. Untermauert hat sie ihn schon mehrfach auf ihrer aktuellen Tour. Und zwar am angewandten Beispiel: Über ihren 1989er Hit “Express Yourself” singt sie plötzlich mal den Text des 22 Jahre jüngeren “Born This Way” – was in der Tat perfekt passt. Die auffallende Ähnlichkeit ist nicht nur unter Musikjournalisten schon lange ein Thema, zu dem sich auch Gaga schon geäußert hat; mit dem Verweis auf 50 Jahre Disco, der beide den Sound entlehnt hätten. Unrecht hat sie damit nicht. Interessant ist darüber hinaus aber, dass sich beide Songs als sehr uncodierte Selbstverwirklichungs-Appelle an ein Teenager-Publikum ihres jeweiligen Zeitgeistes geben. Während Madonna die “Girls” noch auf die – wenn auch selbstbewusste – Prinzessinnenrolle verpflichtete, lässt Gaga mit knallhart egalisierendem Gender-Klartext keinen Raum mehr für Mädchen-Romantik: “No matter gay, straight or bi, lesbian, transgendered life, I’m on the right track, baby.” Das ist denn auch nicht nur für malaysische Verhältnisse – im dortigen Radio wurde diese Textzeile unkenntlich gemacht – starker Tobak, zumindest in einem durch puritanische Konventionen immer noch erstaunlich prüde geprägten Amerika.
Mit Romantik indes hat auch Madonna schon lange nichts mehr am Hut. Ihre öffentliche Präsenz zeigt eine zunehmend unwirklich anmutende durchtrainierte Mittfünfzigerin, eine Pop-Hochleistungsathletin, die ihren Körper als Waffe einsetzt; nur weiß man nicht so genau gegen wen – wenn man mal Gaga außer acht lässt. Da wird vorgeblich aus Protest gegen politische Verhältnisse in irgendeinem Land der Welt mal der Po vorgezeigt oder ein Nippel gelüftet. (Womit übrigens rein sachlich der “Stripper”-Vorwurf eine gewisse Berechtigung erlangt.) Nachverfolgen lässt sich das jedoch in gesellschaftspolitisch eher weniger engagierten Boulevard-Medien, wo – und das dürfte Madonna noch etwas mehr nerven als einige ähnliche Akkorde – eine andere die Königin ist: Gaga.
Der Zwang zur immer schrilleren Existenz – Emanzipation ist was anderes.
Überall die Nase vorn im Wettstreit hat derzeit ganz eindeutig die Wiedergängerin, deren Konzerte sind ausverkaufter, sie hat mehr Follower bei Twitter und Facebook, ihr Grad an omnipotenter Präsenz scheint schier unerreichbar. Es ist eine Lady Gaga, die man ohne Weiteres als Zeitraffer-Madonna interpretieren kann, deren Entpuppungszyklen um ein Vielfaches überdreht sind. So zollt die ständige Neuerfindung des eigenen Körper-Images im Rhythmus des Kleiderwechselns nicht nur der immer hochtourigeren Schnelllebigkeit des Entertainment-Zirkus Tribut, sondern offenbart auch den reinen Zwang zur immer schrilleren Existenz, der dem schon vor zwanzig Jahren bei Madonna ebenso wie bei Gaga heute gern leichtfertig unterstellten selbstbewussten Feminismus Hohn spricht. Der emanzipatorische Gestus ist Bestandteil eines Marketing-Konzepts, clever kalkuliert, weil diese Art vermeintliche Tabuverletzung Teenager ebenso anzusprechen vermag, wie sie als mediales Aufregerthema taugt.
Um Musik im engeren Sinne geht es bei beiden schon lange nicht mehr, ging es genau genommen eigentlich nie. Sie spielen beide in der gleichen Liga des ganz großen Mainstreampop, der großen Bühne, der durchchoreografierten Show. Der musikalische Faktor gehört da nur noch zu den Grundlagen des Business, das einen Soundtrack braucht, einen möglichst effektheischenden Hit, der für die Ewigkeit sowieso nicht gemacht ist. Nur: Madonna hat trotzdem etliche Klassiker geschaffen, was bei Lady Gaga selbst mit größter Zuversicht eher nicht anzunehmen ist.
Das hat natürlich etwas damit zu tun, dass eben die Schnelllebigkeit gänzlich veränderte Rahmenbedingungen mit sich bringt, dass Popmusik an sich immer weniger Chancen bietet, die Lücke für die Überdauerung des schmalen Single-Zeitraum zu finden, dass selbst Superhits nur noch maximal eine Saison gültig sind, weil die nächste Inszenierung – sagen wir in diesem Fall mal: Lana Del Rey – schon geplant wird. Vor allem aber damit, dass sie eben tatsächlich eine – wenn auch perfekte – Jetztzeit-Kopie einer früheren Madonna ist, die es absehbar nicht mehr lange brauchen wird. Madonna hingegen demoliert ihren Status als Legende und verpasst die einmalige Chance, die erste wirklich spannende femal crooner der Popgeschichte zu werden. Dass Madonna beim erbarmungslosen Schneller-Höher-Weiter allen Ernstes mitzuhalten versucht, bereitwillig auf das falsche Schlachtfeld folgt, auf dem sie nie mehr gewinnen kann, spricht nicht unbedingt für sie. Eher für Elton John. Den allerdings ernst zu nehmen, fällt noch ein bisschen schwerer.
Jörg Augsburg
(Bilder: Universal Music)
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