Ganz klar, der deutsche Pop muss seine Ideale überdenken. Heinos neuste Platte könnte dabei richtungsweisend sein. Denn von nun an gilt: je unseriöser, desto besser.

Foto: Starwatch Entertainment / Christian Brodack

In irgendeinem Interview mit der FAZ mussten sich Tocotronic neulich mal wieder gegen den Vorwurf der Ironie wehren. Die knappe Antwort: Ihre Texte wären schon allein deshalb völlig frei davon, weil der Band die nötige Distanz zu sich selbst fehle. Ich musste dann kurz stutzen. Nein, nicht weil ich den Hamburgern widersprochen hätte. Mir fiel nur beim besten Willen keine andere Band ein, die das ohne Wimpernzucken von sich behaupten könnte.

Denn klar, unter dem Deckmantel der Ironie lebt sich’s viel leichter. Einfach weil man sich jeder klaren Stellungnahme schon im voraus entzieht. Ist ja alles nur Spaaahaß! Die Ärzte haben das mit “Junge” vorgemacht. Schimpfen auf’s elektrische Gerät und zerlöcherte Hosen und das aber — alle Achtung, jetzt kommt’s — während sie ja selbst die E-Gitarre spielen. In löchrigen Hosen. Hihihi.

Bei Clueso war der Kitsch dann irgendwann kaum noch auszuhalten. “An allem was man sagt ist auch was dran” schlingerte der “Gewinner” 2009 irgendwie vorwärts und wusste spätestens seit seinem Durchbruch bei MTV auch nicht mehr so recht wohin. “Ich frage mich, ich frage dich, doch frag ich nicht, fragst du dich auch.

Nun muss man solche Songs mal als Stimmungs-Barometer zeitgenössischer Popmusik aus Deutschland ansehen. Und gleichzeitig ein Thermometer unter die Achseln jener heißgelaufenen Fans schieben, die gerade Hass schüren, gegen die Schlager-Ikone schlechthin. Die Rede ist von Heino. Und seinem neuen Album “Mit freundlichen Grüßen”. Platz 1 auf Amazon. Platz 1 auf iTunes. Noch vor der Veröffentlichung.


Heino — “Mit Freundlichen Grüße” (Hörprobe)

Auf diesem finden sich neben den beiden genannten Titeln noch mehr deutsche Hit-Singles. Etwa “Haus am See“, “Ein Kompliment” und “King Klang”. Sogar Rammstein hat sich Heino angenommen. Was ihm gesottene Rammsteinfans natürlich herzlich übel nehmen. Ein längst ausrangierter Popstar von einst großem Kaliber zieht also den gesamten Hass der deutschen Musikszene auf sich. Mit einem einzigen Album.

Dabei sollten ihm Fans von Die Ärzte und Co doch unendlich dankbar sein. Aufgewärmtes schmeckt schließlich immer besser. Und endlich nimmt sich mal einer den gesamten verstauben Deutsch-Pop-Kanon zur Brust und eine vernünftige Klassifizierung vor — Schlager. Denn nur Schlager kann und will einfach genauso rührselig sein, wie er es eben ist.

Im Repertoire von Heino, Carpendale und Konsorten finden sich mitunter sehr gut geschriebene Lieder, die durchaus sentimentale Gefühle auslösen. Oder nehmen wir zugänglichere Schlager-Interpreten, wie Britney Spears oder R.Kelly. Da sind einfach Profis am Werk, das geht ans Herz. Die gängigen Ideale, die Heinos Bands hingegen vertreten, sind Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Authentizität. Also die denkbar scheußlichsten überhaupt, ständig am seidenen Faden der eigenen Überzeugung baumelnd.

An Toco hat sich Heino übrigens nicht rangetraut. Liegt vermutlich daran, dass die Herren um von Lowtzow einfach zu ihrem gut gemachten Kitsch stehen, gar nicht erst versuchen ihn zu überspielen. Eine Neuauflage á Heino würde gar keine neuen Erkenntnisse bringen. Aber Oomph!, Stiller, Keimzeit. Das alles ist sentimentaler Männerkitsch zweiter Ordnung. Das soll nicht kitschig sein, ist aber dadurch natürlich wahnsinnig kitschig. Und das hat Heino jetzt einfach haarscharf analysiert, haarschärfer als es jeder Pop-Kritiker dieser Welt überhaupt könnte.

Josa Valentin Mania-Schlegel