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It’s alright, Ma, I’m only sighing

Verzichtet inzwischen sogar auf den Anschein von musikalischer Substanz: Lady Gaga und ihr neues Album „Born This Way“. 

Es ist ein Moment, der eine gewisse Genugtuung beinhaltet. Diese Woche ist das neue Album von Lady Gaga erschienen, weltweit gleichzeitig, weil Lady Gaga die derzeit weltweit erfolgreichste Popmusikerin ist. Diese Woche wird Bob Dylan 70 Jahre alt, der nach vielerlei Lesart wichtigste Popmusiker aller Zeiten. Auch, wenn er sein letztes wirklich relevantes Album – „Time Out Of Mind“ – vor inzwischen 14 Jahren veröffentlichte, war er seitdem als Radiomoderator, Endlos-Tourer und sowieso Exzentriker nie aus dem Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit verschwunden. Erst kürzlich gab es Aufregung um das Nichtspielen von „Blowing In The Wind“ oder „The Times They Are A Changing“ in China – eine Aufregung, die nur aus dem eigentlich schon seit 1965 (als er auf dem Newport Folk Festival eine elektrisch verstärkte Gitarre in die Hand nahm) geklärten Missverständnis herrühren kann, Dylan würde irgendwelche Rücksicht auf lokale oder globale Publikumsbefindlichkeiten nehmen. (Es ist dasselbe Missverständnis, das auch die 100.000 Besucher seines DDR-Konzertes 1987 mitbrachten, die in der sicheren Erwartung angereist waren, Dylan würde die gefühlte historische Dimension dieses Augenblicks irgendwie würdigen. Was er natürlich nicht tat.) Der Geburtstag Dylans jedenfalls ist das dominierende Thema im – zumindest halbwegs ernstzunehmenden und Pop-affinen – Medienalltag.

Es erscheint schon deshalb bemerkenswert, dass Lady Gaga ausgerechnet von einem 70-jährigen von Platz eins der aktuellen Aufmerksamkeitsskala gedrängt wird, weil doch „Aufmerksamkeit“ die Währung ist, die von Lady Gaga am meisten eingefordert wird, seit sie sich mit atemberaubender Geschwindigkeit und in bis dato nie gesehener Konsequenz vom Nichts zum Weltstar modellierte. Ein unignorierbares „Pop-Phänomen“ ist sie seitdem, eines, von dem man sich nicht abwenden kann, sei es aus echtem Respekt vor der inszenatorischen Großleistung, einer Faszination für vollendeten Trash oder weil man einfach dem Gaga-Dauerfeuer gar nicht entkommen kann. Man hat dem Phänomen bei all der Beschäftigung mit ihm schon erstaunliche Inhalte hineinprojiziert: Gaga sei politisch (weil sie Immigranten thematisierte), ihr Spiel mit sexueller Identität würde Massen von Teenagern aus dem Zwang zur Geschlechts-Eindeutigkeit befreien. Ernsthaft diskutiert wurde, ob sie tatsächlich einen Penis hat oder ob sie sich für einen Videoclip ein Bein amputieren ließ. Ganz selbstverständlich wird sie als die neue Madonna gehandelt, weil sie all das tut, was Madonna vor zwanzig Jahren getan hat, nur eben im Zeitraffer. Und auch gleich noch als der neue Michael Jackson, was vor allem an der verschwenderischen Opulenz liegt, mit der Gaga dem Musikindustrie-Krisen-bedingten Trend zum sparsamen Mitteleinsatz Hohn spricht.

„Born This Way“ heißt ihr neues Album nach dem vorab veröffentlichten Song, der auch wieder auf Referenzen basiert, diesmal ist es Disco und die damit verbundene schwule Subkultur. Wer tief genug ins Thema einsteigt oder sich auskennt, entdeckt schnell die konkreten Bezüge. Es ist das immer wieder neu probierte Spiel der Drittverwertung von Popkultur, so wie sie überdeutlich im letztjährigen Video zu „Telephone“ erschien, das auf Tarantino anspielt, der wiederum selbst nur ausschlachtet, was die B-Film-Geschichte hergibt. Es ist eine hervorragend geschmierte Recycling-Maschine in Gagas Factory, die genau weiß, wo sie ansetzen muss, um Resonanz zu erzeugen. „Born This Way“ beweist: Die Musik ist dabei der am wenigsten wichtige Bestandteil.

Denn musikalisch ist dieses Album ein Offenbarungseid. Es ist die wahrscheinlich teuerste Billig-Produktion der Popgeschichte, mit lachhaft stupidem Ballermann-Kaliber, das nicht einmal mehr auf den Anschein von Substanz Wert zu legen scheint, den man Gaga immerhin zugestanden hatte. Hörbar ist eine grotesk aufgeblasene Variante von Kirmes-Techno, wie man sie sonst von Right Said Fred kennt, die allerdings in ihrer fröhlich aggressiven Village People-Naivität und dem unverhohlenen Billigheimertum sogar noch Spaß machen, zumindest, wenn man sich für Eurotrash wenigstens ein bisschen erwärmen kann. (Obendrein sehen die auch nach Gender-geprüften Kriterien deutlich besser aus.) Man könnte auf den Gedanken kommen, der Bogen des Lady Gaga-Prinzips wäre damit dann doch überspannt – dem entgegen steht allerdings die erstaunlich geteilte Meinungsbildung der „ernsthaften“ Popkultur-Rezeption. Dem gemeinen Publikum ist derlei geschmäcklerische Diskussion sowieso fremd, es wird sich seine Gaga-Begeisterung nicht vermiesen lassen, jedenfalls noch nicht sofort, sondern erst, wenn auch hier das grundlegende Gesetz der Popmusik wirksam wird: Popmusik ist zyklisch, Stars sind nicht ewig. Außer vielleicht Bob Dylan, bei dem man selbstverständlich auch ein passendes Zitat für die Machtlosigkeit des Kritikers in dieser Situation findet. In der klassischen Übersetzung von Carl Weissner: „Ist schon gut, Ma, ich hab nur Sorgen.“

Augsburg

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