Die Firnis des zivilisierten Lebens ist dünn, der Lack bröckelt. Dunkle Triebe, verschwommene Bedürfnisse und sonderbare Vorstellungen bemächtigen sich unserer, und wir werden von ihnen mit gerissen. Plötzlich bohren wir in der Nase, kauen an den Fingernägeln und starren ungeniert in Ausschnitte und auf Gesichtswarzen. Wir stürmen als Erste zum Büffet, schauen zur Unzeit „Unterschichtenfernsehen“ oder schnarchen im Theater – sogar in den vordersten Reihen.
All das tut man nicht. Schon gar nicht, wenn man Abitur und eine solide Kinderstube hat. Es sind schlechte Gewohnheiten, die man besser vertuscht. Erst recht in Zeiten, in denen Benimm-Bücher boomen, Tugendwächter zur Vollkommenheit ermahnen, Coachs an unserem Auftreten feilen. In der verlotterten Mittelmaßrepublik sehnt man sich wieder nach formvollendetem Auftreten, tadellosen Manieren und normierter Geschmacksicherheit. Das Leben, so der Grundtenor, wäre doch sehr viel besser, wenn sich noch mehr Menschen die „richtigen“ Umgangsformen antrainierten.
Das Lexikon der schlechten Gewohnheiten rebelliert gegen diesen Zeitgeist einer ästhetischen Haltung ohne Inhalt und spottet über die „Gouvernantenprosa“ gängiger Benimm-Dich-Bücher. An gesellschaftlichen Vorschriften, so watteweich sie auch verpackt sein mögen, besteht kein Mangel, glaubt der Autor. Dringend unter Artenschutz gestellt werden müssen hingegen unsere unbewussten Ausbrüche aus der gestrengen Etikette. Denn sie sind Impulse der Freiheit. So seziert das Buch unsere schlechten Gewohnheiten ohne Vorurteile und mit Hingabe. Psychologie, Evolutionsbiologie, Anthropologie, Beispiele aus dem Tierreich und nicht zuletzt eine gute Prise gesunder Menschenverstand helfen dabei, „bad manners“ ins richtige Licht zu rücken. Zeugnisse aus der Kulturgeschichte, der Literatur und der Promiwelt zeigen: Wir sind nicht allein!

Das “Lexikon der schlechten Gewohnheiten” von Jürgen Bräunlein ist erschienen bei rororo.

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