(Foto: Heidi Ross)

Ihre Coverversion von Lady Gagas "Bad Romance" ging nicht nur quer durch YouTube, sondern auch durch unser Büro und zwang uns regelrecht mehrere Zusatzpausen einzulegen, um sich kollektiv vor einem Bildschirm zu versammeln und der Rockröhre beim Jammen zuzuschauen. Da nahmen wir die Berlin Music Week Anfang September zum Anlass, um Lissie auf einen kleinen Schnack über ihr neues Album, das Vergängliche an der Ewigkeit und das wahre Leben in L.A. zu treffen.
 

motor.de: Es gibt nun also ein neues Album von Dir. Dein zweites Studioalbum. Es heißt "Back to Forever". Glaubst du wirklich noch an "die Ewigkeit" ?

Lissie: Wenn man jung ist, hat man die Ewigkeit. Wenn man älter wird, und immer die gleichen Dinge tut, ist die Zeit auf einmal verflogen. Die Bedeutung von "ewig" wandelt sich. Im Alter hat man "die Ewigkeit" nicht mehr. Es ist dann so, als hätte man nur einen begrenzten Zeitraum, um Liebe zu finden, seine Ziele zu erreichen. Du willst das Beste aus deiner Zeit machen, aber das Fenster wird kleiner und kleiner. Mit fünfzehn ist "ewig" auch ewig. Mit 30 ist es: aaahhh!

motor.de: Hast Du deswegen dein neues Album "Back to Forever" getauft?

Lissie: Der letzte Song auf dem Album heißt "Back to Forever". Es ist ein Song, den ich darüber geschrieben habe, wie es sich anfühlt, sich nach seiner Kindheit und Vergangenheit zu sehnen. Im Zuge des Älterwerdens verändert sich die Bedeutung von "für immer" und somit ist es eine Art reflektives Gefühl. Viele der Songs auf dem Album handeln von Beziehungen oder verschiedenen emotionalen Konflikten. Diese nachdenkliche Betonung findet sich in jedem Song des Albums wieder. Also dachte ich: "Gut! Lasst uns das Album 'Back to Forever' nennen." Weil es einfach ein schönes Gefühl ist.

motor.de: Gibt es irgendwelche speziellen Orte oder sogar bestimmte Personen, die dieses Gefühl für Dich manifestieren?

Lissie: Den Song "Back to Forever" habe ich geschrieben, als ich meine Großeltern besucht habe. Ich habe mir Photoalben von unserer Familie angeschaut. Unser altes Haus, meine Heimat Rock Island in Illinois. Der Geruch von frisch geschnittenem Gras an einem heißen Tag, das Zwittschern der Vögel – diese Ruhe. Das alles erinnert mich an meine Kindheit. Und fühlt sich für mich wie die Ewigkeit an. Stille.

motor.de: Gibt es ein spezielles 'Lissie-Song-Writting-Verhalten'?

Lissie: Es ist in der Regel ein wenig schwierig. Manchmal werde ich richtig ängstlich, wenn ich schreibe. Es ist so: "Argh! Ich weiß, was ich sagen möchte, aber ich kann es nicht sagen!" Manchmal wiederrum macht es einfach "boom" und alles kommt auf einmal raus. Ich mache viel co-writting. Die letzten Jahre über gab es eine handvoll Menschen, mit denen ich gerne gemeinsam geschrieben habe. Die Wörter und Melodien kommen immernoch von mir selbst. Aber sich die Zeit zu nehmen, mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten und Ideen auszuarbeiten hat meiner Schreibe gut getan und mir geholfen als Songwritter zu wachsen.

motor.de: Sonst noch was?

Lissie: Ein bisschen Koffeein. Ein Spaziergang. Manchmal hilft auch ein Schluck Wein.

(Foto: Heidi Ross)

motor.de: Mir ist aufgefallen, dass es gar keine Feature-Gäste auf dem Album gibt. Hat das einen Grund?

Lissie: Witzig, dass Du das fragst. Ich habe nie darüber nachgedacht. Für mich ist das Album einfach, alles was ich sagen wollte.
Aber jetzt da Du es sagst – ich würde sehr gerne mit mehr anderen Musikern kollaborieren.

motor.de: Die da wären?

Lissie: Ich liebe Damon Albarn von Blur und den Gorillaz. Ich finde ihn ziemlich cool und würde gerne mal was mit ihm machen. Ich glaube auch, dass es ziemlich cool wäre, mal die Hook für einen Rapper zu singen. So wie es Dido für Eminem gemacht hat. Ja! Das würde ich wirklich gerne mal machen. (lacht)

motor.de: Und welcher Rapper wäre das in deinem Fall?

Lissie: Kendrick Lamar. (zustimmendes Nicken von mir)

motor.de: Du hast mal eine ganze Weile in L.A. gewohnt, stimmts?

Lissie: Ja, ich habe fünf Jahre in L.A. gelebt.

motor.de: Ich frage mich, ob das Leben in L.A. wirklich so hilfreich und inspirierend für einen aufstrebenden Künstler ist. Oder vor allem mehr Schein als Sein…

Lissie: L.A. ist komisch. Es ist eine wirklich große Stadt, mit so vielen verschiedenen Schubladen und Vierteln. Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen, bin in Collorado auf's College gegangen und war für ein Auslandssemester in Paris. Ich hatte also den Schock des plötzlichen Lebens in der Großstadt eigentlich schon hinter mir. Aber als ich nach L.A. ging, war ich trotzdem noch ein wenig naiv und planlos. Ich wusste nicht so wirklich, was ich aus der Stadt machen sollte. Und ich war nie wirklich interessiert an materiellen Dingen, Geld oder "cool sein". Also hatte ich letztlich nicht die L.A.-Erfahrungen, die die Menschen mit der Stadt assoziieren.

motor.de: Sondern?

Lissie: Die ersten anderthalb Jahre war ich damit beschäftigt, herauszufinden was überhaupt abging. Dann habe ich ein paar sehr liebe Menschen getroffen, die alle aus verschiedenen Ecken kamen und wir haben eine "Night of Music" aufgezogen. Und die war sehr "non-L.A.". Ich habe für mich in L.A. die richtige Nische zum Existieren gefunden, in der ich nicht ständig in Clubs oder auf dem Rodeo Drive abhing. Ich hatte einen netten Freundeskreis, wir haben in Beachwood Canyon oben in den Hügeln gelebt, sind klettern gegangen – es hat sich wie unser eigenes kleines Universum angefühlt.

(Foto: Heidi Ross)

motor.de: Und außerhalb dieses Universums?

Lissie: Klar sind wir auch mal ausgegangen. Das war irgendwie surreal und "sooo L.A.". So viel Verkehr! Ich bin vor vier Jahren dann in eine Kleinstadt in Kalifornien gezogen. Ich musste aus L.A. raus. Aber als ich damals das erste Mal nach L.A. kam und versucht habe einen Plattenvertragbzu bekommen – ist es passiert! L.A. ist die "Stadt der Träume", aber auch der Verzweiflung. Und das deprimierte mich irgendwie.

motor.de: Was ist dein L.A.-Resumé: Freund oder Feind?

Lissie: Um auf Deine ursprüngliche Frage zurückzukommen: ja, ich finde schon, dass es eine inspirierende Umgebung für einen Künstler ist. Weil es ein harter Ort ist. Ich hatte zwar gute Freunde, und einen Typen den ich für einige Zeit gedatet habe, aber da war auch immer dieser Hauch von "jeder sucht nach dem nächsten großen Ding" in der Luft. Und das kann dich ziemlich kaputt machen. Ich glaube, ich werde stark inspiriert von Konflikten und Unsicherheit. Folglich hat L.A. mir eine Menge Material zum Schreiben geliefert. Mein Leben dort war schon ziemlich kompliziert. Aber auch ziemlich großartig. Und traurig. Und hart. Und großartig. (lacht)
Es war alles. Jedes Gefühl.

motor.de: Also das Leben.

Lissie: Das Leben! Und meine Zwanziger! Die Zwanziger sind eine intensive Zeit – egal, ob in L.A. oder an einem anderen Ort. L.A. ist so spannend, weil es einem viel zum Beobachten gibt.

motor.de: Wie viele Momente gab es, in denen Du geglaubt hast: "Das funktioniert nie mit der Musik"?

Lissie: Keine! Ich war irgendwie im Wahn: selbst wenn die Dinge nicht gut liefen, dachte ich trotzdem, sie würden laufen. Ich habe nie daran gedacht, dass es nicht klappen könnte. Heute mache ich mir mehr Sorgen. Aber damals war es einfach: mein Plan wird aufgehen!

motor.de: Er ist aufgegangen! Vielen Dank fürs Plaudern, liebe Lissie!

Julia Ramonat