Der perfekte Popsong ist immer zum Greifen nah – die Liga der außergewöhnlichen Popbands.


Sehen eigentlich ganz niedlich aus, könnten aber vielleicht gerade den perfekten Popsong geschrieben haben: Belle And Sebastian.

Dieser Tage erscheint das neue Album der schottischen Popband Belle And Sebastian. Das Album wird einige wohlwollende Rezensionen erhalten, vielleicht – wenn überhaupt – kurz in den mittleren Regionen der britischen Albumcharts auftauchen und ansonsten nicht weiter ins Gewicht fallen in diesem Musikjahr. Zumindest wenn man die üblichen Kriterien anlegt, die halt so gelten, wenn man den Erfolg einer Band nach allgemeinen Maßstäben von Airplays, Albenverkäufen und der Größe der bespielten Hallen misst. Nicht berücksichtigt wird dabei zum Beispiel, ob auf diesem Album vielleicht der perfekte Popsong enthalten ist. Oder zumindest die größtmögliche Annäherung daran.

Es ist das unlösbare Grunddilemma von ernst zu nehmender Popmusik, dass sie nach der Vereinigung von Idealen strebt, die im vulgären Popalltagsgeschäft eigentlich nicht gemeinsam zu haben sind: totale Eingängigkeit und hintersinnige Intelligenz, der 3:30-Hit und das große Kunstwerk, untadeliges Musikerhandwerk und heißes Herz, standardisierte Songkonvention und kreatives Unikat. Aber dass es unmöglich ist, heißt natürlich nicht, dass man es nicht versuchen kann. Denn der perfekte Popsong – das ist der heilige Gral der Popkultur, ein Mythos, von dem jeder seine eigene Vorstellung hat. Und den natürlich niemand mit nach Hause bringen wird, auch wenn deshalb die Suche nie aufgegeben wird.


Kennt sich erstaunlicherweise auch in der gemeinen Indie Disco gut aus: Neil Hannon.

Es gab schon viele Musiker in der Geschichte der Popmusik, denen man zugestehen mag, ziemlich nahe dran gewesen zu sein. Belle And Sebastian sind so eine Band. Eine, von der man glaubt, dass sie es schaffen könnte, den perfekten Popsong zu schreiben und die dafür innig geliebt wird. Eine allerdings, die es nie in die großen Arenen geschafft hat, die keine Nummer-1-Hits vorweisen kann und die kein Mensch kennt, der sich hierzulande auf das sogenannte Musikradio verlässt, weil derlei dort nur gespielt würde, wenn man die zuständigen Playlisten-Bestücker an die Wand stellte, also erst nach der Kulturrevolution. Es ist die Art Bands, bei denen auch einigermaßen abgebrühte Popkenner ins Schwärmen geraten und plötzlich wieder ein kleines bisschen aufgeregt sind, wenn man Neues von ihnen hört.


Lange nichts voneinander gehört, sofort wieder die alten Freunde: The Frank And Walters mit neuer Single. 

Es gibt eine ganze – wenn auch kleine – Liga dieser besonderen Bands und sie zu schätzen, dient natürlich gewissermaßen als (Gar-nicht-so-besonders-)Geheimwissen, ist ein Sympathiekapital, dass selbstredend nur unter Gleichgesinnten Wert hat, unter denen man sich wiederum die News zur Sache in guter alter Fanboy- und -girl-Manier zupostet, auch wenn naturgemäß die Teenagerbegeisterung schon eine ganze Weile zurückliegt. So gesehen ist der Unterschied nicht besonders groß zu anderen Schwärmereien, allerdings steht sicher außer Frage, dass es weitaus weniger credibel ist, sich an der Reunion von Take That zu erfreuen als an der von beispielsweise The Frank And Walters. Bei denen waren in den ganz frühen Neunzigern Radiohead noch Vorband, und ihr damaliger Roadie wäre ohne sie gar nicht auf die Idee gekommen, mit seinem Bruder als Sänger Oasis zu gründen.

Immerhin, oft genug machen die alten Bekannten einfach unverdrossen weiter, auch wenn die Zeiten nach allem menschlichen Ermessen für sie nie wieder besser werden. Neil Hannon – The Divine Comedy –, der ja eigentlich immer irgendwo seine Finger im Spiel hatte (vor Jahren war es mal bei Robbie Williams, eben beim Soloalbum von Ex-Libertines’ Carl Barât), schwingt sich zu alter Form auf und seziert ebenso lust- wie distanzvoll das Treiben in der „Indie Disco“. Teenage Fanclub, von nicht wenigen Menschen lange Zeit als die beste Gitarrenpopband der Welt angesehen, haben nach fünf Jahren wieder ein Lebenszeichen abgegeben. Und erst letztes Jahr postulierten die Geschmacks-Ikonen Prefab Sprout auf dem bestechend wahrhaftig betitelten Album „Let’s Change The World With Music“, worum es eigentlich wirklich geht: „Music Is A Princess“. Jetzt hätten wir nur gern noch ein neues Lebenszeichen von Scritti Politti. Und vielleicht ein neues Album von St. Etienne. Und ein Comeback der Lucksmiths, deren Abschiedstour durch die kleinsten Clubs des Landes gestandenen Thirtysomethings Rührungstränen in die Augen trieb. Und und und … Jedenfalls warten wir einfach weiter auf den perfekten Popsong. Und freuen uns einfach jedes Mal, wenn sich jemand daran versucht, dem wir zutrauen, dass er es schaffen könnte.

Augsburg