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Grundsätzlich bedient sich Moneybrother musikalisch gerne bei alten Helden wie The Clash. Trotzdem hält er nichts von Plagiaten im Guttenberg-Stil und außerdem war früher auch nicht alles besser – der Rock’n’Roll hingegen schon. Wir haben Anders Wendin getroffen und mit ihm über Nostalgie, Townships in Kapstadt und blaue Jeans philosophiert.
(Foto: Niclas Bruncell)
Vieles ist streitbar, vor allem Geschmack. Meinungen sowieso, gerade dann wenn behauptet wird, früher sei das Gras grüner gewesen. Doch Anders Wendin alias Moneybrother ist die Ausnahme unter diesen Regeln, denn der Mann hat nicht nur Herz und Verstand beisammen, sondern vertritt unstrittig gute Ansichten und besitzt zudem ausgezeichnete Geschmacksnerven. Letztere hat er klischeekonform gerade frisch mit einer deutschen Bratwurst beglückt, als er leicht verspätet aber gut gesättigt zum Interviewtermin eintrudelt.
Bald darauf treffen wir ihn erneut, diesmal im Festsaal Kreuzberg, wo er nicht nur einen Gig spielte, sondern vorab einen anderthalbstündigen Dokumentarfilm präsentiert, denn für das neue Album ist er weit gereist: Chicago, Los Angeles, Stockholm, Kapstadt, Auckland, London, Rio de Janeiro und Kingston. Seine neue Platte entstand auf Reisen, seine neuen Weggefährten hat er gleich mitgebracht: Ein Rastamann aus Jamaika, der das schlechte Gras in Deutschland bemängelt, drei Damen aus Kapstadt, die pure Lebensfreude vermitteln und ein alter Freund, der das Album produziert hat und nun bei der Veranstaltung hinter dem Mischpult stand, sind mit von der Partie. Bereits der Film fesselt das Publikum mit beeindruckenden Bildern, der folgende Auftritt setzt dem Abend die Krone auf. Seine erlebten Erfahrungen und Emotionen werden durch Wendin unmittelbar zum Publikum transportiert, die Atmossphäre ist unglaublich familiär. Spätestens jetzt ist klar: Der Bursche ist eine wandelnde Ansammlung von Symphatiepunkten – mehr Charisma geht nicht.
Moneybrother – “Start A Fire” (Official Trailer)
motor.de: Als wir uns vor zwei Jahren das letzte Mal gesehen haben, hast du Tomatensuppe verkauft. Wie läuft es so in der Lebensmittelbranche?
Moneybrother: Dieses Mal bin ich ins Reisegeschäft gewechselt – für jedes Album gibt es ein Gimmick. Ich habe etwa 500 Dosen Tomatensuppe verkauft, aber bin dann doch ausgestiegen.
motor.de: Ich würde unterstellen, dass du für dein neues Album versucht hast, alle deine Einflüsse zusammenzubringen. Man hört viel Ska und Punk heraus, aber auch Funk, Soul, Reggae und Classic Rock. Springsteen und The Clash sind ja Favoriten von dir, aber diesmal klingt hier und da sogar ein wenig New Wave an. Wolltest du eine Hommage an die guten alten Zeiten der populären Musik schreiben?
Moneybrother: Das ist es, was ich tue: ich höre etwas, das mir gefällt und stehle es, so ist es immer gewesen. Aber bei diesem Album ist das übergangsloser ausgefallen und das mag ich so an der Platte. Ich habe immer versucht alle meine Einflüsse zusammenzubringen, obwohl es an verschiedensten Orten der Welt aufgenommen wurde, du kannst es von vorne bis hinten hören, aber es fühlt sich an jeder Stelle nahtlos an. So sehr wie ich “Real Control” mag, die Songs sind zu unterschiedlich – hier mal eine Ballade, da ein wenig Funk. Es ist mehr eine Art Mixtape geworden, aber mein neues Werk ist eine klassische Rockscheibe.
motor.de: Erst sollte dein Album einfach selbstbetitelt sein, jetzt heißt es “This Is Where Life Is”. War dir im Vorfeld nichts eingefallen, oder warum hast du den Titel geändert?
Moneybrother: Ich denke es war auch meine Intention ein selbstbetiteltes Album zu machen, aber dann hat mich meine Freundin überzeugt ihn zu ändern. Ich war in Afrika auf ein paar Frauen getroffen die Sängerinnen sind und mich für einige Sessions ins Studio begleitet haben. Dann haben sie mich dorthin geführt, wo sie herkommen, in die Townships außerhalb von Kapstadt. Und als wir dort herumgelaufen sind, haben sie ständig von einem Ort erzählt, den sie mir zeigen wollten. Es war ein Ghetto, wo Menschen in Hütten wohnen und sie sprachen davon, wie von einem wunderschönen Ort. Plötzlich waren wir da, ich dachte mir, das sieht aus wie ein Parkplatz, aber sie schaute mich an und sagte: “This is where life is!”.
motor.de: Nun weißt du also wo das Leben ist, doch was bedeutet das für dich persönlich? Was ist die Erkenntnis deiner Reise?
Moneybrother: Der Satz wurde zu einem Motiv, das sich durch das komplette Album zieht. Wenn du viel gereist bist und ich denke das bin ich, denn wenn ich nicht auf Tour bin, mache ich Urlaub. Aber du kommst an einen Punkt, an dem du realisierst, dass du nicht wirklich reist, sondern wegläufst. Dieses Album handelt von dem Gefühl zu verstehen, das, wonach du suchst, nicht in einem fernen Land oder einer anderen Kultur verborgen liegt, sondern in dir. Wenn du zu viel suchst, verlierst du, was du schon hast. Das könnte ein Kind begreifen, aber ich bin ein Typ, dem du das zigmal sagen könntest. Etwa wenn dir jemand sagt, du solltest keine blauen Jeans tragen, sondern lieber schwarze. Nächstes mal wenn du schwarze Jeans siehst, stellst du plötzlich fest, dass sie wirklich besser aussehen. Andere Menschen müssen rausgehen und 1000 Leute versuchen erfolglos, dir die blauen Jeans auszureden und dann zieht dir jemand die Hosen aus und du musst nackt herumlaufen. Und erst dann wurde die Lektion gelernt. Manch einer lernt unmittelbar, aber für andere ist es schwer und ich war da nie schnell von Begriff.
motor.de: Du kehrst also frisch geläutert in schwarzen Jeans zurück?
Moneybrother: Ja, durch das Reisen gewinnst du an Perspektiven. Diese afrikanischen Frauen sind in ihren Vierzigern, sie sind Damen, die wir Big Mamas nennen würden, aber keine von ihnen hat Kinder und das ist ungewöhnlich in ihrem Land. Also fragte ich nach ihren Familien, aber sie hatten keine. Sie hatten ihr Familienleben aufgegeben, um Musik zu machen. Für unsere Kultur erscheint das als riesiges Opfer, aber dort musst du dich entscheiden, wenn du Musik machen willst. Als afrikanische Frau kannst du kein Kind großziehen und gleichzeitig deinen Lebensunterhalt als Musiker verdienen. Sie haben sich für die Musik entscheiden. Sie sind ohne Partner und machen Musik, was offensichtlich schmerzhaft ist, aber zeigt welchen Stellenwert die Musik für diese Damen hat. Das ist sehr beeindruckend, und diese Dinge verschaffen dir Perspektiven. In Brasilien fragten wir uns nach der Zusammenarbeit mit einem Percussionisten, ob wir ihn so bezahlen sollen, wie in Schweden, denn das wäre ein Monatslohn für ihn. Da versteht man, wie unterschiedlich der Wert der Musik in verschiedenen Ländern ist. Ich war in einigen der schlechtesten Gegenden der Welt und du triffst Menschen die sich nicht selbst bemitleiden, stattdessen schauen sie dich selbstbewusst an und sind stolz auf ihre Herkunft.
motor.de: Nach welchen Kriterien hast du die Städte ausgewählt und inwiefern haben dich die einzelnen Stationen der Reise inspiriert?
Moneybrother: Wir wussten wonach wir suchten. Zunächst haben wir den Großteil des Albums in Chicago aufgenommen, dort hat die Basisarbeit stattgefunden. Ein guter Freund von mir hat die Platte produziert, er war auch schon in meiner ersten Band Monster. Gemeinsam mit ihm bin ich losgezogen und habe Musiker hinzugenommen, wann immer ich welche finden konnte. Mit der Ausnahme von einem Song, den wir in Jamaika neu aufgenommen haben. Wir kamen in einen Raum, wo ein paar Typen rumsaßen und rauchten. Ich spielte einen Song von den Rohaufnahmen an. Sie fragten nur, wer den Rhythmus geschrieben hat und fingen direkt an zu singen. Ich hatte eigentlich Lyrics vorbereitet und alles vorgeplant, aber dann die spontane Version der Jamaikaner übernommen. Solche Dinge sind oft passiert. Einmal kam dieser schwarze Typ mit Gitarre ins Studio und spielte. Er war verdammt gut und es wurde immer besser, also hörte er nicht auf zu spielen, wir haben 20 Stunden zusammen aufgenommen und nun ist er auf der Hälfte des Albums zu hören.
motor.de: Du hast dich in Neuseeland tätowieren lassen, für welches Motiv hast du dich entschieden?
Moneybrother: Das bin ich selbst mit meiner Gitarre. Es ist inspiriert vom Logo von Wild Records, einer Plattenfirma in Los Angeles. Wir haben ein paar Jungs von dem Label getroffen und dort habe ich auch ein Mädel kennengelernt, deren Rockabilly-Band bei der Firma unter Vertrag steht. Das Logo hat mir einfach gut gefallen. In Neuseeland dachte ich mir dann, wenn ich schon einige Tattoos habe, auch eines mit einer Gitarre dabei sein sollte. Es war ein cooler Tag, wir hingen herum und ein paar Jungs wollten sich auch tätowieren lassen, etwa den Namen der Ehefrau. Der Studiobesitzer kannte den Tätowierer und so kam eines zum anderen.
Moneybrother – “Unbelievably Good”
motor.de: Wo siehst du die Unterschiede bzw. die Entwicklung im Vergleich zum Vorgänger-Album?
Moneybrother: “Real Control” ist mehr ein Mixtape, von dem ich zwar einige Songs mag, aber dem der rote Faden fehlt. Das neue Album durchläuft hingegen eine feste Thematik, die Sehnsucht nach der Heimat, danach suchend wer du wirklich bist. Ich wollte aber kein Weltmusik-Album machen, sondern eine geradlinige Rockplatte, ein Album das nach Freiheit klingt. Es geht ein Stück weit zu den Wurzeln zurück und ist wahrscheinlich das punkigste Album, das ich je gemacht habe.
motor.de: Welche Philosophie verfolgst du auf der textlichen Ebene?
Moneybrother: Ich möchte schon ein gewisses Maß an Lyrik, aber die Leute sollen verstehen, wovon ich singe. Ich mag es nicht, wenn da nichts dahinter steht. Manchmal übersetze ich amerikanische Texte ins schwedische und stelle fest, dass sie einfach nur schwachsinnig sind. Deswegen respektiere ich Künstler wie Bob Marley oder die Ramones so, die geradeaus über Dinge singen, die jeder verstehen kann.
motor.de: Bist du jemand, der gezielt einen Retro-Sound verfolgt und wie denkst du darüber? So manch einer behauptet ja, das sei innovationslos und treffe nicht den Puls der Zeit.
Moneybrother: Manchmal ist es schwer für mich. Ich gehe zu Partys und sehe aktuelle Filme und lebe ein modernes Leben, daher verstehe ich gewissermaßen, wovon Musik heute handelt und wie sie klingen soll. Moneybrother ist tatsächlich ein wenig retro und es ist schwer sich davon zu lösen. Ich glaube The Clash sind eine viel bessere Rockband als Mando Diao. Also klinge ich eher etwas nach The Clash. Für mich ist es nicht nostalgisch Elvis zu hören, es ist einfach gute Musik. Ich möchte nicht in den Fünfzigern oder Siebzigern leben, ich lebe hier und jetzt. Trotzdem war damals einiges an Musik einfach besser. Ich mag den neuen Hip Hop, aber nicht Rock’n’Roll. Rock’n’Roll war besser vor einigen Jahren. Aber ich mag Feist und Cat Power, es gibt also auch aktuelle Sachen, die ich wirklich liebe.
motor.de: Was bedeutet diese Tendenz im gesellschaftlich-politischen Kontext??
Moneybrother: Was Vorurteile angeht, bewegen wir uns in die richtige Richtung. Beispielsweise war es in den Siebzigern schwerer für einen schwarzen Homosexuellen in Schweden, als heute. Oder Vegetarier sein ist heute sicherlich einfacher, als vor 10 Jahren. Gewissermaßen laufen einige Dinge also wirklich gut, aber wenn ich an die heutige Politik in Schweden denke, werde ich nostalgisch. Aber du bist ein Teil der Gesellschaft, egal ob du willst oder nicht und das gibt dir gewisse Rechte und Pflichten. Wenn du arbeitest, dann arbeitest du nicht für irgendeine Firma, sondern für die Gesellschaft. Ich bin kein großer Freund des Kapitalismus. Es mag sein, dass es ein möglicher Weg ist zu leben, aber sicherlich nicht der richtige. Das mag heutzutage altbacken sein, aber es ist meine Überzeugung.
motor.de: Vielleicht machst du deswegen auch altbackene Musik?
Moneybrother: Gut möglich, aber immerhin gefallen mir die Filme heutzutage. Ich mag Spiderman. Auch die Avengers fand ich gut, aber auch wenn ich kein großer Film-Fan bin, das meiste was ich in letzter Zeit gesehen habe, hat mir Spaß gemacht, X-Men zum Beispiel. Aber in Sachen Musik mag ich es alt. Heute klingt vieles einfach gleich und das ist irritierend. Es gibt tausende Bands, die wie Coldplay klingen, aber ich glaube es gibt kaum jemand, der wie Moneybrother klingt. Ich denke ich klinge einzigartiger, als viele andere Künstler. Jeder ist anders, deswegen ist es seltsam, dass die Alben unterschiedlichster Bands alle gleich klingen. Die meisten hören die Musik anderer Bands und kopieren sich gegenseitig, ich tue das nicht. Ich würde eine Band wie Moneybrother lieben, aber leider gibt es nicht viele.
Matthias Ziegenhain
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