Haben die es echt so nötig? Das Promizeitalter zwingt Popmusiker in die Werbung. Oder war es eher umgekehrt?


Get it while you can? Die Fanta 4 auf Pro 7.

Man schaut irgendeine Sendung auf – sagen wir mal – Pro Sieben, die Werbepause ist dran und plötzlich erscheint Thomas D. auf dem Schirm und bittet mit dem üblichen breiten Grinsen unter der üblichen Brille, man solle doch bitteschön dranbleiben, es ginge gleich weiter mit dem tollen Programm, hier beim tollen Pro Sieben. Nun gut, genau so sagt er es nicht, aber die Botschaft ist deutlich genug. Es ist zuerst mal nur ein unangenehmes Gefühl, eine Art Fremdschämen, dem ja innewohnt, dass man selbst eigentlich unschuldig ist, was nicht dagegen feit, peinlich berührt zu sein. In gewisser Weise beteiligt ist man allerdings schon dadurch, dass man es mitbekommt, dass man somit irgendwie auch zur Zielgruppe gehört. Haben die das denn nötig, fragt man sich unweigerlich und die Antwort liegt auf der Hand: offensichtlich ja. Warum sollten sie sonst sowas tun?

Die Fantastischen Vier gehören zu der Garde Bands, die es noch vor der großen Musikkrise zu etwas gebracht haben. Es gibt keine zwei Handvoll Bands in Deutschland, die in einer ähnlichen Liga spielen, vor allem auch deshalb, weil sie es – wie die Toten Hosen oder Ärzte – einerseits geschafft haben, für ein mitwachsendes Publikum akzeptabel zu bleiben, ohne den Anschluss an dessen inzwischen musikinteressierte Kinder zu verpassen und andererseits ebenfalls ihr mehr oder weniger autarkes Geschäftsumfeld geschaffen haben, das der Industrie – quasi als Independents von oben – die Vertriebsbedingungen weitgehend diktieren kann. Und sie hätten es eben nicht nötig, für ein bisschen mehr Aufmerksamkeit ihre Seele zu verkaufen.

Es gab früher, in der alten analogen Welt mit ihrer schön geordneten Musikerhierarchie, eine ganz einfache Faustregel: Musiker, die abseits der üblichen Musikmedien-Kanäle Werbung für sich betrieben, konnte man abhaken. Die waren nicht ernst zu nehmen, Opfer irgendeiner idiotischen Marketingabteilung einer hassenswerten Plattenfirma oder gar gleich selbst pures Marketingprodukt. Jedenfalls erledigt für jedes ernsthafte Interesse. Die Zeiten haben sich geändert, Bekanntheitswerte werden inzwischen als ernsthafte Währung gehandelt. Und während von ganz oben bis ganz unten so ziemlich jeder in der Musikbranche nach jedem rettenden Strohhalm greift, verschwimmen die klaren Linien, die früher den Unterschied zwischen „Popstar“ und „Promi“ ausmachten.


Beth Ditto auf der Paris Fashion Week. Bitte selbst auswählen, wer hier der Freak ist!

Wie weit die Mechanismen der Vereinnahmung der Popmusik durch den Boulevard reicht, lässt sich an Beth Ditto, der Frontfrau der noch vor zwei Jahren nur in Indie-Kreisen bekannten Band Gossip begutachten, die man gerade in Sachen „Gender“ durchaus als engagiert bezeichnen konnte. Inzwischen zählen Gossip zu den bekanntesten Bands der Welt, nicht wegen ihrer Musik, sondern weil die – wir sagen einfach mal – ziemlich fette Ditto von so ziemlich jedem Boulevardmagazin der Welt zur „mutigen Stilikone“ erklärt worden ist und jetzt in eigenen Designerkleidern in den ersten Reihen der Pret-à-porters sitzen darf. Als akzeptierter Freak, als eine neue Generation Elefantenmensch, dem man etwas blasiert erstaunt zugesteht, trotz drastisch von der eigentlich strengstens verbindlichen Konvention abweichender Erscheinung doch so etwas wie ein Mensch zu sein. Jedenfalls bis die nächste Sensation aufwartet. (Wer hier übrigens noch feministisches Potenzial verortet, hält sicher auch die Kleiderwahl von Lady Gaga für ein emanzipatorisches Fanal.) Ist die Musik von Gossip deshalb schlechter geworden, soll man deshalb nicht mehr zu den Konzerten gehen?

Eine objektive Beantwortung dieser Fragen verbietet sich, denn es geht hier um Popkultur und also um sehr viel mehr als das reine Produkt des Musizierens. Eine Vielzahl an meist ungeschriebenen oder codierten Regeln sorgt für die Bewertungsmaßstäbe, nach denen Popmusiker auf der nach unten offenen Akzeptanz-Skala eingeordnet werden. Und nein, die Musik ist nicht schlechter geworden, es macht nur weniger Spaß, sie zu hören, weil die Abgrenzung zu Mehrheiten außerhalb des eigenen Kosmos auch zum Konzept Popmusik gehört.


Ein Haschkeks zuviel? Samy Deluxe zahlt. Mit seinem Image. 

Wenn jedenfalls die Fantas den Pausenclown für einen mittelmäßig akzeptablen Fernsehsender spielen, dann ist das insofern erstaunlich, weil man das bisher für unter ihrem Level gehalten hätte. Während ein Sido mit dem notorischen „It’s fun!“ auf RTL II genauso gut passt, wie eine Lena Meyer-Landruth als neues, „frisches“ Gesicht der allseits geächteten Biedermarke Opel. Immerhin: es gibt da noch keine offensichtlich popkulturrelevante Komponente. Was aber einen – zwar als Dauerkiffer bekannten aber doch respektierten – Rapper wie Samy Deluxe dazu verleitet hat, ausgerechnet für den Paria GEZ zu werben, fragt man sich heute noch. Noch schlimmer ist natürlich, sich mit der Bild-Zeitung gemein zu machen. Werbung für die, sollte auch dem einfältigsten Deutschrockfan klar machen, wo der gern als „ehrlich“ gehandelte Altrocker Marius Müller-Westernhagen steht. Auf der falschen Seite. Das wiederum gilt dann nicht nur für Popmusiker.

Augsburg