Ein ganz besonderes Erlebnis: “Universalove” vereint melancholisch-schönen Indierock mit Kinofeeling – ein Interview mit Naked Lunch.
Die österreichischen Indierocker Naked Lunch sind derzeit mit dem Musikfilm “Universalove” in Deutschland unterwegs und performen dabei den Soundtrack live während des Films. Der Film ist ein Liebesdrama in sechs Episoden, die in verschiedenen Städten spielen und das Leiden, die Umwege und seltsamen Umstände der Liebe zeigen. Trotzdem wird viel Platz für eigene Gedanken und Emotionen gelassen. Durch die Verbindung der visuellen Eindrücke mit den live eingespielten Songs entsteht dabei eine Atmosphäre, die zugleich Zeit schafft, das Gesehene zu verarbeiten und in eigenen Erinnerungen zu schwelgen, im selben Moment jedoch noch tiefer in das Geschehen und die Geschichten der Protagonisten eintauchen lässt.
Der Film von Thomas Woschitz wurde im vergangenen Jahr bereits mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet und läuft diesen Donnerstag auch in Deutschland in den Kinos an. motor.de sprach vor der Vorführung mit Sänger und Bassist Herwig Zamenik über das Erlebnis der Live-Musik während des Films, die Unterschiede zu Rockkonzerten und das geplante Album von Naked Lunch.
motor.de: Mit dem Regisseur von “Universalove” habt ihr bereits früher zusammengearbeitet – wie hat sich das bei diesem Film unterschieden?
Herwig Zamernik: Wir haben früher schon sehr eng zusammen gearbeitet, aber bei “Sperrstunde” beispielsweise war das alles sehr viel Guerilla-mäßiger und spontaner. Für “Universalove” wurde alles viel besser vorbereitet und durchgeplant. Wir wussten vorher schon um was es geht, aber das Drehbuch hat Thomas Woschitz natürlich selbst geschrieben. Das ist immer noch Sache des Filmemachers, nicht der Musikanten. Erst in der Schnittphase fand dann der Austausch statt. Das war für uns der aktivere Teil, die Zeit in der alles zusammengefügt wurde. Oliver hat sich außerdem auch den Dreh ein paar mal angesehen.
motor.de: Wie funktioniert der Film ohne eure Live Performance?
Zamernik: Ich würde schon sagen, dass es ein anderes Erlebnis ist. Es geht nicht unbedingt etwas verloren, es ist nur anders. Man kann einfach keinen Musikfilm machen und davon ausgehen, dass immer live dazu performt werden kann. Es gibt Menschen, die sagen, dass das Verständnis des Films besser wäre, wenn wir nicht live spielen, weil man sonst sehr leicht abgelenkt werden kann. Andere sagen, der Film funktioniert nur mit Livemusik. Das ist ganz subjektiv.
motor.de: Wird das Ganze auch als Filmvorführung wahrgenommen, oder halten es viele einfach für ein Konzert?
Zamernik: Es ist leider so, dass es diese Art von Crossover nicht sehr häufig gibt. Deshalb können viele Leute sich nichts darunter vorstellen. Live Musik mit Film gibt es zwar schon ewig, bei Stummfilmen wurde das ja immer so vorgetragen. Aber damals war die Verwendung der Musik gleichbedeutend mit der Vertonung des Films. Bei uns spielen sich Film und Musik die Bälle zu und ergänzen sich gegenseitig. Was die Leute also erwarten, kann ich nicht genau sagen. Es ist bei Crossover-Projekten, die in solch einer Form noch nicht dagewesen sind, immer so, dass das Publikum sich etwas anderes vorstellt als das, was es letztendlich präsentiert bekommt. In Österreich haben viele einfach den Namen Naked Lunch gesehen und dachten sich, dass es ein Konzert ist. Da gab es natürlich auch erstaunte Gesichter, als plötzlich ein Film im Mittelpunkt stand.
motor.de: Kommen also eher Cineasten denn Naked Lunch Fans zu den Vorführungen?
Zamernik: Wahrscheinlich eine Mischung. Genau kann man das nicht sagen. Cineasten sind ja nicht automatisch Musikliebhaber und andersrum. Es sind zwei verschiedene Szenen, die da aufeinandertreffen. Einige kommen wegen der Band, andere haben von den Preisen gehört und kommen wegen dem Film. Wenn sie überhaupt kommen. [lacht]
motor.de: Sind auch die Texte eures Soundtracks direkt auf den Film abgestimmt?
Zamernik: Ja, definitiv. Die Songs wurden ausschließlich als Soundtrack geschrieben. Kein einziges der Lieder ist als reines Musikstück entstanden, sondern immer in Verbindung mit dem Film. Die Geschichte des Films kann allein durch die Songs natürlich nicht nachvollzogen werden, aber sie beschreiben Stimmungen und Gefühle aus dem Film. Es sind Interpretationen der Bilder, die auch noch Räume frei lassen. Es wird nicht manifestiert und behauptet, sondern es lässt genügend Platz. Man kann sich freuen oder sich ärgern, wenn man will, kann man auch sagen „So ein Scheiß, ich geh wieder nach Hause!“
motor.de: Ist es schwieriger, Musik zu bereits vorhandenen Bildern oder der Geschichte fremder Personen zu machen?
Zamernik: Ein Stück weit kommt das trotzdem immer von einem selbst. Aber wir haben schon immer alle Musik für Film oder Theater gemacht. Für mich persönlich ist es sogar einfacher, weil ich nichts von mir selbst preisgeben muss. Ich muss nichts aufarbeiten oder extra ausgraben. Man kann einfach sehen, worum es geht, und dann entsteht eine Idee. Die Musik ist letztendlich auch ein Handwerk, eine Profession, die wir ausüben. Es ist sicher unterschiedlich, aber mir fällt das so einfacher. Ich kann mich in die Situation hineinversetzen und dann kommt ein Text oder Musik.
motor.de: Denkt ihr, dass diese Form von Live Musik zu Filmen in Zukunft häufiger stattfinden wird?
Zamernik: Schwer zu sagen. Was hat heute schon noch Zukunft? Die Musikindustrie muss sich derzeit immer wieder neu erfinden. Künstlerisch ist dieses Zusammenspiel immer befruchtend, diese Verschmelzung von verschiedenen Kunstformen ist sehr interessant.
motor.de: Spielt ihr lieber normale Konzerte oder in diesem Rahmen?
Zamernik: Wenn man ein Filmkonzert spielt, hat das den Vorteil, dass man nicht den ganzen Abend tragen muss. Die Band kann sich zurücklehnen. Wir machen es uns gemütlich und schauen zwischendurch den Film, wissen wann wir unseren Einsatz haben. Das kann sehr entspannend sein. Andererseits hat man auch oft Lust, den Abend so hinzuschmeissen wie er kommt, und nicht alles an einem so engen Raster auszurichten. Einfach mal dahin spielen und plappern wenn es gerade passt. Außerdem ist die Verbindung zum Publikum natürlich beim Filmkonzert nicht so stark vorhanden. Die Reaktionen sind eher wie beim Theater – am Ende gibt es Applaus oder eben nicht. Bei richtigen Konzerten ist der Austausch durchgehend da. Aber ich finde beides sehr interessant.
motor.de: Ihr arbeitet derzeit auch an einem neuen Album…
Zamernik: Wir sind im Entstehungsprozess. Wie lange es dauern wird, kann ich nicht sagen. Wir sind mitten drin, wie es klingen wird ist dennoch ungewiss. Es wird viel ausprobiert und es gibt viele Sackgassen, in die man hineinfahren muss, um zu merken, dass das das Falsche ist. Oder nicht das Richtige, das klingt besser. Es ist nicht ständig harmonisch, weder menschlich noch künstlerisch. Aber so ist Musik. Und wir persönlich brauchen diesen Weg des sich Verlaufens jedes mal aufs Neue um ein Album zu machen.
motor.de: Was hältst du von der These, dass gute Kunst nur durch großes Leid des Künstlers entstehen kann?
Zamernik: In mir findest du keinen Anhänger dieser These. Ich brauche das nicht. Es gibt sicher genug Kunst, die nicht entstanden wäre, hätte dieser Künstler in diesem Moment nicht unendliches Leid erfahren. Leid ist ein genau so starker Impuls wie z.B. die Liebe. Aber für mich ist das Blödsinn. Andere Künstler mögen das sehr wohl brauchen um kreativ sein zu können. Aber mir geht es anders besser.
Interview: Juliane Sondermeyer
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