Country kommt langsam weg vom Redneck-Image und entfaltet seine geschichtsträchtige Faszination auch für die jüngeren Generationen.

Sieht nach Flower Power aus ist aber vor allem waschechter Nashville Country der neuesten Generation: Caitlin Rose.

Man tut immer gut daran, genauer hinzuschauen, was die Mitarbeiter des Londoner Rough Trade Independent-Imperiums so das Jahr über am Liebsten gehört haben. Kaum jemand hat das Ohr näher am Popmusik-Zeitgeist, kaum jemand ist so unbeeindruckt von stilistischen Grenzen. Und kaum irgendwo dürfte man mehr mit tief in Popkultur sozialisierten und bestens aufgeklärten Kunden zu tun haben, als in den legendären Londoner Plattenshops. Entdeckungen und Überraschungen sind da eher die Regel als die Ausnahme. Dass aber in diesem Jahr ein waschechtes Country-Album auf Platz vier der Rough Trade Charts gelandet ist, wird doch etliche Indie-Nerds verblüffen. Caitlin Rose ist 23, stammt aus Nashville und gilt mit ihrem „Own Side“-Album als eine der größten Nachwuchshoffnung der Country-Szene.

Es gibt wohl kein musikalisches Genre, das prinzipiell derart misstrauisch beäugt wird und mit – gerade aus europäischer Sicht – schlimmen Klischees belegt ist: Country gilt vielen immer noch als Musik von reaktionären Rednecks. Die deutschen Aushängeschilder sprachen auch nicht eben für sich; bis heute denkt man an Vollversammlungen von schunkelnden Cowboyhut-Trägern bei Truck Stop- oder Tom Astor-Konzerten. Von Übersee zuerst wahrgenommen werden außerdem die amerikanische Megaseller à la Garth Brooks, deren flachgebügelte Mainstream-Songs für eine ernsthafte Beschäftigung inakzeptabel sind. Dass Country allerdings immer auch schon eine blühende Alternativ-Kultur zu bieten hatte, setzt sich erst langsam ins Bewusstsein, vor allem, seit sich Johnny Cash mit seinem „American Recordings“-Spätwerk neu erfand (oder besser: vom Produzenten Rick Rubin erfinden ließ) und schlagartig zum weltweiten Konsens-Leidensmann wurde. Schon ein kurzer Blick auf Biografie und Songs ist denn auch die perfekte Einstiegsdroge, wenn man sich Country nähern will, was schon bei der gemeinsamen Frühzeit von Cash und Elvis bei Sun Records beginnt, als der Rock’n’Roll sein weißes Vorzeigegesicht bekam.

Immer noch das Nonplusultra: Johnny Cash, der “man in black”.

Wer ein bisschen in der Oberfläche der weißen Rockkultur piekst, landet schnell bei der Erkenntnis, dass Country stets eine gewisse Faszination ausübte. Die Prägung der Byrds und sogar Rolling Stones durch Gram Parsons oder das offensive „Nashville Skyline“-Bekenntnis Bob Dylans sind da nur die Spitze des Eisbergs. Kein Wunder, erzählen doch viele Country-Songs Outlaw-Geschichten, thematisieren White-Trash-Existenz, Losertum und das Leben unterhalb der weißen Mittelklasse. Es sind die Kaputtnik-Geschichten, mit ihrer Sehnsucht nach Erlösung durch ein Frau, eine Mann oder gleich Gott, denen natürlich die größte Faszination innewohnt. Die irren Lebens- oder Todesgeschichten einiger Protagonisten passen da bestens ins Bild. Gerade jüngere Generationen haben diese Anziehungskraft seit einigen Jahren wiederentdeckt. Man weiß plötzlich, wer die Dixie Chicks sind, vor allem, seit sie sich offen gegen George W. Bush positionierten. Die Coen-Brüder liefern mit ihrem Film „O Brother, Where Art Thou?“ einen spektakulär erfolgreichen Soundtrack voller schräg-authentischer Bluegrass- und Hillbilly-Hits. Altmeisterin Loretta Lynn holt den Grammy für das beste Country-Album mit einer Produktion von White Stripes-Mastermind Jack White. Gleichzeitig werden Bands wie Giant Sand, Calexico oder Lambchop hip bei Indie-Publikum. Über den nur kleinen Umweg des Americana-Sounds und flankiert von einer verblüffend mächtigen aktuellen Folk-Welle, gerät die immer noch ungemein vielfältige Country-Kultur in ein neues, weniger von Vorurteilen belastetes Blickfeld. Zumindest, wenn es um die Musikimporte geht.


Der frischeste Country-Hit des Jahres: Caitlin Roses “Shanghai Cigarettes”.

Hierzulande ist das Bild nicht eben verbessert wurden, als die brutal fröhlich-traditionellen (aber doch eigentlich hörbaren) Texas Lightning ausgerechnet auf der Schlager-Grand-Prix-Bühne auf sich aufmerksam machten. Gunter Gabriel – Vorzeige- und Stehaufmännchen des deutschen Country – ist mit seinem peinlichen Nachklapp zum Johnny Cash-Boom glatt beim Publikum abgeblitzt. Musikinteressierte kennen ihn stattdessen als Sample aus dem genialen TripHop-Stück „Zuviel Zeit?“ von Adolf Noise aka DJ Koze. Im kollektiven Popgedächtnis überlebt er jetzt ausgerechnet mit seiner durchaus dämlichen Hartz IV-Attacke „Ihr habt ja soviel Zeit, sonst wäret ihr ja nicht am Nachmittag schon hier. Ich hab leider keine Zeit, ich muss meinen Arsch immer in Bewegung halten, damit die Knete stimmt.“ Als reines Geschäftsmodell fungierte zumindest eine Zeitlang die – auch nicht eben neue – Idee von BossHoss, Pophits im Country-Stil aufzunehmen.


Es geht auch auf deutsch und unpeinlich: Fink. 

Eher ernstzunehmend waren gute zehn Jahre Fink, die das klassische Country-Konzept in den Mittneunzigern auf sehr gelungene Weise übersetzten und ein kleines aber treues Indie-Pubikum fanden. In deren Schlepptau fanden sich unter dem immer noch obskur anmutenden Titel „Land Of The Kantrie Giants“ einige Mitstreiter, die sich nur halbironisch an einem deutschen Country-Verständnis versuchten. Man kann es übrigens als Ironie des Schicksals nehmen, dass ausgerechnet Fink in den diskursfreudigen AJZs des Landes des Anti-Amerikanismus bezichtigt wurden, als auch sie einen Anti-Bush-Song vorlegten. Immerhin: das Berliner Label City Slang hat seit einigen Jahren einen großen Fuß in der Tür zum internationalen Alternative-Country-Aufwind. Eben erst schickte es mit Kort das lupenreine Countryprojekt des Lambchop-Sängers Kurt Wagner und der Nashville-Sängerin Kortney Tidwell auf Tour. Im Vorprogramm konnte man Caitlin Rose erleben. Und wie es im Pop halt auch immer ist, kann man später sagen, dass man schon ganz am Anfang dabei war.

Augsburg