Neue Technologien, neuer Umgang, neue Paradigmen – und alles wird immer schneller.

Schnelllebigkeit und Trendversessenheit bildeten – zumindest abseits des allzeit eigenen Regeln gehorchenden Teeniecharts-Geschäfts – in der Popmusik lange ein strategisches Gleichgewicht mit stetiger Entwicklung und quasiplanmäßigem Erfolgswachstum. Bestimmt wurde das durch einen mehr oder weniger funktionierenden Apparat, in dem die Rollen klar verteilt waren: Zwischen Musiker und Erfolg standen die Vermittlungsinstitutionen Plattenfirma und Kritiker. Denn nur die konnten letztendlich dafür sorgen, dass eine Band einen Fuß in die festgefügten Vertriebsstrukturen (also ihre Platten in die Läden) bekam und obendrein das potenzielle Publikum über den direkten Lokalbekanntheitsgrad hinaus überhaupt mitbekam, dass da eine Band mit Bemerkenswertem aufwartete. Mit der Zeit und potenziert durch die gleichmacherische Kraft des Punk – diese Revolution war ja weniger musikalisch als strukturell – wurden diese Rollen ausdifferenziert. Es gab neue, kleinteiligere Strukturen mit Independent-Labels, geistesverwandten Plattenläden und eine explodierende Fanzine-Kultur, die ein neues Nischenbewusstsein ermöglichten.


Blur vs. Oasis: hoffnungslos anachronistisch

Der Erfolgsweg einer Band ließ sich trotzdem relativ klar beschreiben: Aufbau einer lokalen Fanbasis, Entdeckung durch den A&R einer großen oder kleinen Plattenfirma und ein „Plattenvertrag“ als Grundbaustein für praktisch alles andere. Das Wechselspiel zwischen Promotionmaschine, Kritikerwahrnehmung und Fanbasis konnte dann – im Glücksfall – für Erfolg sorgen. Der wiederum war: Plattenverkäufe, die durch Touren angefeuert wurden auf der einen Seite, dauerhaft loyale Fans andererseits. Heute ist dieses Modell weitgehend obsolet, grundlegende Paradigmenwechsel haben es ausgehebelt. Popmusik hat sich einerseits aus dem starren Label-Vertriebs-Korsett gelöst und obendrein weitgehend unabhängig von professioneller Begleitung gemacht. Nicht unbedingt freiwillig. Und nicht nur zum Guten der Sache. Zumindest, wenn man eine gewisse Nachhaltigkeit und szenenübergreifende Grundrelevanz in der popmusikalischen Welt schätzt. Denn die leiden zuvörderst unter den neuen Rahmenbedingungen.

Die Beschäftigung mit Popmusik ist in allen Bereichen mit extrem weniger Aufwand als noch vor wenigen Jahren möglich: jederzeitige und umfassende Verfügbarkeit sind selbstverständlich, die Folge ist auch die Verzichtbarkeit der Annäherung an Musik über ein geschriebenes oder gesprochenes Kritikerwort zugunsten der direkten Rezeption. Die Notwendigkeit der Beschreibung von Musik galt bis dato – mehr oder weniger – auch für den unkonventionellsten Fanzine-Schreiber. Die Verlinkung auf ein Audiofile im Blog-Gefüge ersetzt diesen indirekten und langsamen Prozess. Natürlich ist das eine Demokratisierung, werden Zugangsschwellen niedriger, Vernetzungsgrade höher. Es bedeutet allerdings auch, dass Konsumierbarkeit eine höhere Dominanz gegenüber der eher mühsamen Auseinandersetzung von und mit einer heute zunehmend anachronistisch anmutenden Musikkritik einnimmt.


Eine Band des Jahres 2009: The XX. Und 2010?

Einige weitere Faktoren verstärken diese Entwicklung. Die grundlegenden musikalischen Entwicklungen der Popmusik scheinen gemacht, weiter geht es nur noch mit immer speziellerer Ausdifferenzierung und dem Ausloten aller denkbaren Optionen der Stilfusion. Eine vergleichsweise mühsame Evolution ist das, die sich nur noch mitverfolgen lässt, wenn man sich in den Nischen bestens auskennt. Zur Vertiefung der Nischenmentalität führen überdies die in stilistisch geschlossenen Kreisen agierenden „Empfehlungs“-Algorithmen der genutzten Medien – bei sinkender subjektiver Werthaftigkeit der Musik an sich. Eine sinnvolle, langfristig denkende Investitionspolitik der Musikindustrie in ihr eigenes „Produkt“ findet seit dem großen A&R-Sterben der Spätneunziger zumindest im größeren Maßstab praktisch nicht mehr statt. Und die Verschiebung der Erlöse vom herkömmlichen Plattenverkauf zum Livegeschäft (wobei „Verschiebung“ eigentlich ein Euphemismus ist, in den meisten Fällen ist es eher ein Zwangsumstieg auf niedrigerem Niveau) setzt neue Prioritäten der Popularität.

Die Folgen sind deutlich spürbar. Außerhalb stabiler Nischen, die auf vergleichsweise wenige aber treue und sachkundige Fans bauen können, werden Erfolgskarrieren hochtouriger betrieben, haben die Zyklen weniger langen Atem, takten immer kürzer zwischen Aufstieg und Abstieg. Das Publikum hingegen ist vielleicht schneller zu erreichen und zu begeistern geht aber ebenso schnell auch wieder verloren. Die Vehemenz früherer Begeisterung scheint kaum noch vorstellbar, jahrelanger durchaus nicht nur spielerischer Zwist à la Beatles vs. Stones, Blur vs. Oasis oder – nun ja – Abba vs. Smokie wirkt heute allenfalls anachronistisch. Bands kommen und gehen, das war schon immer so, jetzt aber verbrennen sie viel schneller. Jedoch – auch das ein entscheidender Unterschied zu früher – wirklich auf Nimmerwidersehen verschwinden wird keine mehr. Auch dafür zumindest sorgt das Alles-Archiv Internet.

Augsburg