„Aber bei Alt-J zum Beispiel…Authentizität…Anti-Establishment…“ Gedämpft rieseln die Gesprächsfetzen einer – in abgewandelter Form – wahrscheinlich schon millionenfach geführten, bierseligen Barhocker-Diskussion in meinen Hörkanal und weiter in den Teil der Großhirnrinde, der auf ziellose Hype-Band-Exkurse samt nasalem Stimmkolorit, mit momentaner Schläfrigkeit reagiert. Andererseits, wir befinden uns im Gleis 22 und in dem gibt es neben Bier – ganz zum Leidwesen der verschwendeten fünfzehn Minuten Lebenszeit – eben auch Barhocker, was das beherzt-marxistische Credo durchaus legitimiert.
Portico Quartet – “Line”
Es ist Samstagabend, Münster gibt sich – wie gefühlte 350 Tage im Jahr – kalt und regnerisch. Gewissermaßen meteorologisches Heimspiel für das Londoner Portico Quartet, das heute vor einer illustren Runde wetterfest gekleideter, Elektronika-affiner Jazz-Fans aufspielt. Oder besser Jazz-affiner Elektronika-Fans? Eine Frage für den Barhocker. Die Dialektik spiegelt sich im Publikum und erzeugt eine angenehm entspannte Inhomogenität, die in freudiger Erregung auf den weiteren Verlauf des Abends blicken lässt. Der sich – um im Witterungskontext zu bleiben – gewaschen hat. Auf ein viel zu kurzes Intermezzo der ominösen Orwin Botterbloem Group, deren minimalistisch angehauchtes Jazz-Idiom gepaart mit abgespacetem (!) Synthesizer-Gegniedel einige zu euphorischen encore-Rufen animiert, folgt eine wahrhafte Welle aus Klangfragmenten, die – nebst motorischer Abfuhr ins Tanzbein – im besten Sinne einlullt.
Im Zusammenspiel mit karger Steinfassade und den nackten Pfeilern im Raum entführt die Musik – wo sie sich auf ihr elektronisches Beat-Gerüst besinnt – zurück in ein Berlin der 90er Jahre, das sich just seiner technoiden Wurzeln bewusst wird. Mitunter schimmern in der motorischen Repetition Reminiszenzen an Moritz Von Oswald durch, bis – ganz unvermittelt – Calypso-Melodien und ätherisches Saxophon einen jazzigen Überbau konstruieren – Four Tet meets Harry Belafonte. So mischen sich die Klangräume zweier – in ihrem ästhetischen Ansatz doch gar nicht allzu verschiedenen – Genres in einer homogenen Tonmasse, der ein – im besonnenen Kopfnicken geeintes – Publikum gegenübersteht. Das letze kloink der Bassdrum verhallt, Zeit beseelt hinaus in die Nacht zu treiben. „War schon gut, aber…hätte man…fände ich besser…“ Narkolepsie-Moment.
Robert Henschel
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