Alles eine Frage des richtigen Blickwinkels: John Gourley über den Verlust der Objektivität, Irrwege im musikalischen Mikrokosmos und die Strapazen des Major Label-Debüts.
Portugal.The Man existieren mittlerweile seit sieben Jahren und doch blickt man bei Erwähnung der vier Exil-Alaskaner noch immer regelmäßig in fragende Gesichter. Umso verwunderlicher, da das Quartett mit beinahe unheimlicher Frequenz ein Album nach dem anderen veröffentlicht. Dabei bewegen sie sich auf einer konstant hohen Qualitätsebene und entwickeln sich von Langspieler zu Langspieler konsequent weiter. Während zu ihrer Anfangszeit noch deutlich elektronische Einflüsse durchblitzten, war “Church Mouth” tief im Hard Rock der 70er Jahre verwurzelt. Inzwischen setzt man sich gekonnt zwischen die Stühle und braut eine ansteckende Mixtur aus Neo Soul und modernen Psychedelia. motor.de sprach mit Sänger John Gourley und einem etwas wortkargen Jason Sechrist über die Produktion des ersten Major Label-Albums, Kreativitätskrisen und die Beziehung zur Heimat Alaska.

motor.de: Mir scheint es manchmal so, als gäbe es alle Nase lang ein neues Portugal. The Man-Album. Woher nehmt ihr den Anreiz für eure zahlreichen Outputs? Gab es da bei der neuen Platte eine bestimmte Quelle?

John: Ja…(grinst). Eigentlich ist es schon gut zwei Jahre her, seitdem wir das letzte mal im Studio waren. “American Ghetto” und “The Satanic Satanist” wurden an einem Stück aufgenommen. Zwei Wochen nachdem wir mit “The Satanic Satanist” fertig waren, bin ich nach Boston gefahren und hatte eigentlich nur zehn Tage Zeit um neue Songs zu schreiben. Ich wollte sehen, ob ich einfach schnurstracks weitermachen könnte. “American Ghetto” ist deutlich experimenteller ausgefallen und war für mich ein Album, was man als Künstler an einem bestimmten Schaffenspunkt einfach machen muss, um neuen kreativen Input zu bekommen. Darin steckte natürlich nicht weniger Konzentration als in jedem anderen Album auch, aber für mich war es am Ende eher wie der Schritt von “The Satanic Satanist” zu “In The Mountain In The Cloud“. Wir wollten nur mit der Veröffentlichung warten, damit die beiden nicht miteinander kollidierten. Für uns persönlich war da schon eine ganze Menge Zeit zwischendurch.

motor.de: Hat die neue Platte eine Art zentrales Thema, um das sich alles dreht?

John: Ursprünglich wollte ich das Album meinem verstorbenen Großvater widmen, meinen Gedanken zu Leben und Tod, dem Aufwachsen, warum ich mich von der Kirche abgewendet habe – all das spielte eine Rolle. Das sind natürlich Themen, die wir hier und da schon angeschnitten hatten, aber ich wollte ein fokussierteres Projekt daraus machen. Als wir dann aber ins Studio kamen – keine Ahnung, irgendwie funktionierte einfach gar nichts. Vielleicht war es, weil wir so lange nicht mehr aufgenommen hatten, jedenfalls kommunizierten wir nicht miteinander. Außerdem stimmte die Chemie mit unserem Produzenten nicht richtig, also konnten weder wir mit ihm, noch er mit uns reden. Dazu kam noch, dass es ein Top-Produzent war, also wirklich keine Witzfigur (lacht). Während des Aufnahmeprozesses fühlten wir uns dann zusehends unter Druck gesetzt, wir mussten schließlich dieses Album für Atlantic machen. Die verlangten zwar nichts von uns, es war also kein physischer Druck, sondern eher unser Unterbewusstsein, das sagte… Led Zeppelin und The Rolling Stones (grinst).

Portugal.The Man – “The Sun”

motor.de: Wie ging das weiter?

John: Ungefähr nach der Hälfte der Aufnahmen fuhren wir nach New York und ich saß mit Craig Kallman zusammen. Das war ein wirkliches Privileg, denn wann bekommt man schon mal die Möglichkeit, mit dem Vizepräsidenten von Atlantic Records Zeit zu verbringen. Wir haben uns über das Songwriting unterhalten und darüber, warum wir das Album nicht fertigstellen konnten und gemeinsam unsere jeweiligen Lieblingssongs kritisch begutachtet. Er hat mir wirklich eine ganze Menge Anregungen mitgegeben. Und das Witzigste war: am Ende des Meetings hielt er mich kurz auf und meinte: “Weißt du John, vergiss einfach worüber wir uns unterhalten haben und mach das Album, was du machen willst“. Das war irgendwie cool, zur gleichen Zeit aber auch beängstigend, weil ich dachte “scheiße, jetzt müssen wir das beste Album machen, was überhaupt möglich ist.” Aber ich glaube, das ist uns ganz gut gelungen. Meiner Meinung nach ist es unsere beste Platte bisher.

motor.de: Wie habt ihr die ganze Angelegenheit dann letztenendes in den Griff bekommen?

John: Die ganzen Probleme, die wir während der Produktion hatten, sind letztendlich zur Inspirationsquelle geworden. Man verliert so schnell einen objektiven Blickwinkel und verrennt sich in einem Mikrokosmos, der am Ende gar nicht existiert. Genau das ist uns passiert und ich bin irgendwie auch ganz glücklich darüber, weil wir es bisher immer ziemlich leicht hatten. Wir sind einfach ins Studio gegangen und haben den Dingen freien Lauf gelassen. Dieses mal steckte deutlich mehr Fokus dahinter, vor allem was das Songwriting angeht. Und Andy Wallace [u.a. Nirvana, Patti Smith; Anm. d. Red.] hat es gemischt.

motor.de: Bei den Durchläufen, die ich bis jetzt hatte, klang es irgendwie ein bisschen wie “zurück zu den Wurzeln”. Man hört deutliche Rückschlüsse zu “Censored Colours” und “Church Mouth”, ist dem so?

John: Es war anfangs eine sehr direkte und reduzierte Platte. Wir hatten das Hauptaugenmerk klar auf Songstruktur und Melodie gelegt. Als wir dann aus Craigs Büro kamen und wieder ins Studio gingen, haben wir uns die alten Platten vorgenommen und versucht, uns auf deren Ursprünge zurückzubesinnen. Dafür hatten wir vorher nie Zeit, weder bei “Church Mouth” noch bei “Censored Colours”. Ich denke, in der Essenz ist “In The Mountain In the Cloud” eine ausgereiftere Version unseres alten Materials und quasi der nächste logische Schritt nach “The Satanic Satanist”. Nicht der ursprünglich geplante, aber der Richtige. Ich bin jedenfalls glücklich damit.

motor.de: Jetzt hast du ja schon viel zum Entstehungsprozess erzählt, habt ihr das Album am Stück aufgenommen oder ist es in verschiedenen Sessions entstanden?

John: Wir hatten diese Bilder der Beatles vor Augen, wie sie im Studio jammten und wollten es eigentlich genau so machen. Dem Kommunikationsproblem geschuldet, fiel das allerdings ins Wasser. Erstaunlicher Weise ist aber am Ende tatsächlich ein Großteil des ursprünglichen Materials auf dem Album gelandet. Immer wenn wir an einem Punkt angelangt waren, wo es hieß “das ist der endgültige Tiefstand”, sind wir wieder zum Original zurückgekehrt und haben damit gearbeitet. In vielerlei Hinsicht war es wie bei der Produktion eines Hip Hop-Albums. Spuren wurden zerschnitten, neu arrangiert und auf einem Raster angeordnet. Das war eine ganz neue Arbeitsweise für uns, hat aber zum Schluss am besten funktioniert.

Jason: Auch deshalb, weil wir unglaublich viel Material hatten. Zeitweise zehn Songs in fünf verschiedenen Tempi und fünf verschiedenen Versionen. Da hatten wir einfach mehr als genug Möglichkeiten herumzuexperimentieren.

John: Genau da liegt meiner Meinung nach allerdings das Problem vieler Top-Produzenten. In manchen Fällen ist es gut und richtig, all diese verschiedenen Tempi und Produktionstechniken auszuprobieren, aber bei manchen Bands funktioniert es einfach besser, wenn man ihnen auch Raum lässt, den eigenen Weg zu gehen. Die ursprünglichen Tempi waren genau richtig, das hat am Ende jeder gemerkt. Ich habe mir zwischendurch die Haare ausgerissen, wirklich, es hat mich regelrecht wahnsinnig gemacht, weil wir teilweise Aufnahmen hatten, die 15 mal schneller waren als die Demos, das war einfach falsch.

Jason: Man springt teilweise von Trip-Hop-Tempo zu “zu schnell um noch dazu zu singen”.

John: Und jeder meint “das klingt super” und du sagst “ich kann gar nicht so schnell singen”.

motor.de: Wie eine Art Rap-Platte…

John: (grinst) Genau. Es ist so komisch, am Ende des ganzen Prozesses zurückblicken zu können. Ganz im Ernst, ich habe das Album gehasst. Und genau dieser Hass hat mich die Platte irgendwie gelöster betrachten lassen. Als wir zum Ende hin im Studio waren, fiel es mir viel leichter zu sagen “okay, das funktioniert so nicht”. Irgendwie hat es mich ein wenig an diese MTV-Show erinnert, die Hintergrundstories zu der Produktion von Alben erzählt [VH1-Storytellers; Anm. d. Red.]. Es gab diese riesigen Meinungsverschiedenheiten, an deren Ende ich immer den Flashback zu dieser Show hatte (lacht) und dachte “genau das ist der Song”, der den sie am meisten gehasst haben. Ich habe einfach probiert, das Ganze positiv zu sehen und zu sagen “gerade weil wir uns so streiten, wird es das beste Album”.

Portugal.The Man – “Sleep Forever”


motor.de: Ihr habt eurer ersten Single eine Art Kurzfilm zur Seite gestellt, der einer richtigen Story folgt. Wie kam die Song-Auswahl zustande?

John: “Sleep Forever” war eine Referenz zu “Censored Colours”. Da gab es insgesamt einige Parallelen und dieser Song war so sehr mit Alaska verwurzelt – die Schlittenhunde und das alles, dass er einfach perfekt zu der Szenerie passte. “Got It All” war dann die erste Single. Ursprünglich sollte es nur ein Video zu “Got It All” werden und daraus erwuchs dann die Idee, einfach viel Material zu filmen und die Titel dazu zu arrangieren. Letztendlich ist es dann ein Kurzfilm geworden.

motor.de: Repräsentiert der in irgendeiner Form das Album als Ganzes?

John: Schwer zu sagen, ich denke schon irgendwie. Die Aufnahmen zum Album begannen in El Paso, Texas und endeten in Seattle. Und so im Nachhinein betrachtet, ist es eine Platte, die warm und kalt zugleich ist. Es gibt eine Menge scharfer Synthesizer und Gitarren-Sounds. Am Ende ist es ein ziemlich buntes Potpourri geworden, das aber doch mit Alaska verbunden ist. Demzufolge würde ich schon sagen, dass da ein Zusammenhang besteht. Aber ganz ehrlich, die Sache mit Musikvideos ist die, sie müssen nicht zwanghaft eine visuelle Umsetzung der Songs sein, sondern eher Bilder, die gut mit den Titeln einhergehen. Die thematische Ausrichtung muss nicht notgedrungen mit Alaska, Schlittenhunden und Leben und Tod verbunden sein. Ist sie in diesem Fall zwar, aber mich verbinden eher die Klänge mit der Landschaft.

motor.de: Damit sind wir eigentlich so gut wie fertig, nur eine Frage noch: Wenn ich euch bitten würde, meinen MP3-Player mit Musik zu füllen, die mich auf “In The Mountain In The Cloud” vorbereitet, was wäre das?

John: Die offensichtlicheren Sachen wären wahrscheinlich T. Rex, David Bowies “Space Oddity”, George Harrisons “All Things Must Pass”, wahrscheinlich sogar Weezer. Und Oasis, die waren schon immer eine große Inspirationsquelle. Großartiges Songwriting, weißt du…Noel Gallagher.

Jason: Vielleicht auch noch Elliot Smith und The Knife.


Interview: Robert Henschel