Schulterklopfer von Tom Waits, trautes Homestudio und Spontanität, als bester Freund des neuen Albums – Les Claypool im Interview mit motor.de.
Elf lange Jahre hat es gedauert, bis Primus ein neues Lebenzeichen in Form eines Langspielers von sich geben. Mit “Green Naugahyde” erscheint Anfang September das siebte Studioalbum der “Zappa-Metaller”, “Psychedelic-Polka-Band”, “Freak-Funker”, “Crossover-Legenden” – für Primus gibt es die ausgefallendsten Bezeichnungen und doch beschreibt jede für sich nur einen kleinen Bruchteil des Kollektivs aus Kalifornien. Frontmann Les Claypool kann die Bezeichnung Funk-Band, das hat er unmissverständlich zum Ausruck gebracht, nicht leiden. So richtig Lust auf ein neues Primus-Album hatte er eigentlich auch nicht. Aber dann ist doch alles gut geworden, sogar in Originalbesetzung ging es wieder zu Werke und alle wurden mit einbezogen. Claypool zählt weltweit zu den wohl beeindruckendsten Bassisten, ist glücklicher Familienvater, mag Kekse zu seinem Kaffee und war äußerst entspannt, als wir ihn vor der Primus-Show in Berlin, eines von nur zwei Konzerten in Deutschland, zum Interview trafen. Ruhig und gelassen erzählte er von den Aufnahmen, seiner Liebe zur Spontanität und einer Band, die uns allen Anschein nach noch lange erhalten bleiben wird.
motor.de: Long time no see – Primus sind ja wirklich seltene Gäste hierzulande. Kannst du dich erinnern, wann du das letzte Mal hier warst?
Claypool: (überlegt) Puh, nein das weiß ich nicht. Weißt du’s?
motor.de: Ich glaube, letztes Jahr warst du hier in Berlin und hast dein Soloalbum “Of Fungi and Foe” vorgestellt, wenn ich mich richtig erinnere.
Claypool: Stimmt, das hab ich schon wieder ganz vergessen. Aber davor war ich über zehn Jahre nicht mehr in Europa.
motor.de: Früher hörte man immer noch wilde Geschichten von dir, Claypool der sich während einer Tour wieder zu einem wildgewordenen Teenager entwickelt. Jedenfalls hast du das mal in einem Interview sehr amüsant beschrieben. Mittlerweile machst du einen recht gesetzten Eindruck, wie sieht es denn gerade aus auf Tour?
Claypool: Schau dich um, es ist genau das: ich spreche mit Journalisten in Hotel-Lobbys (lacht). Nein ehrlich, gerade in Europa sind es eigentlich nur zwei Dinge: durch die Gegend watscheln und alten Scheiß angucken. Ehrlich, in Europa gibt es weitaus mehr älteren Scheiß als in Amerika.
motor.de: Nach elf Jahren meldet ihr euch nun mit “Green Naugahyde” zurück. Nach eurem 1991er “Sailing the Seas of Cheese” ist das, wie ich finde, euer bisher bester Albumtitel! Erzähl uns ein wenig über den Entstehungsprozess der Platte: ihr habt die LP bei dir zu Hause aufgenommen, stimmt das?
Claypool: Ja, aber das tun wir bereits seit Mitte der 90er-Jahre. Das ist einfach am effektivsten für die Entwicklung einer Platte. Ich habe all diese alten Vintage-Geräte, die es braucht, um den perfekten Primus-Sound zu erzeugen. Wann immer ich jemanden dazugeholt habe, stellte sich heraus, dass es so nicht funktioniert. Ich weiß eben am besten, welche Stecker wohin gehören und so es ist einfacher für uns, wenn ich das mache. Alle haben jedoch Ideen mit ins Studio gebracht und wir haben uns auch mit jedem individuellen Input beschäftigt. Das, was nun herausgekommen ist, ist ein sehr dunkles, psychedelisches und groove-orientiertes Album. Es klingt etwa, als würde eine frühe Talking Heads-Platte auf Peter Gabriel und auf “Frizzle Fry” treffen.
Primus – “John The Fisherman”
motor.de: Demnach geht die neue Platte klanglich eher wieder zurück zu euren Wurzeln, wenn du “Frizzle Fry” ansprichst.
Claypool: Ich denke nicht darüber nach, wie der Sound klingen soll. Ich verfolge auch nicht den Mainstream, um zu wissen, was sich gerade am besten verkauft. Musikalben oder Filme sind eher Ausschnitte, die aufzeigen, wo dein Kopf und deine Gedanken zu einer bestimmten Zeit gewesen sind. Jedes Album ist eine Reflektion über das Leben, welche Erfahrungen du gesammelt hast, wo du derzeit in deinem Leben stehst. Immer wenn ich auch nur ansatzweise versuchte, ein Konzeptalbum zu machen, bin ich gescheitert. Wenn man sich entscheidet so ein Album aufzunehmen, dann gibt es eine zu große thematische Einengung. Ich mag es eher, alles in die Waagschale zu werfen und das, was sich richtig anfühlt, eben zuzulassen.
motor.de: Wie darf ich mir den Aufnahmeprozess bei Primus vorstellen? Bist du der Ideengeber oder arbeitet ihr als individuelle Musiker?
Claypool: Ich habe regelrecht darauf bestanden, dass die anderen auch Ideen beisteuern, alle sind involviert und das ist auch verdammt richtig so. Ich mache bereits seit mehr als 20 Jahren Musikalben. Und dieses Mal wollte ich eben kein weiteres Claypool-Album machen, sondern eine Primus-Platte. Larry [Larry LaLonde, Gitarrist, An. der Red.] hat zwei Tracks auf der Platte, die einzig und allein von ihm kommen. Ich bin der Produzent, das heißt, ich versuche den Sound so hinzubekommen, wie er ihn haben will, wie ein Ingenieur. Und andere Songs wiederum kommen eher von mir. Es ist sehr unterschiedlich, wie die Titel zustande kommen, aber wir haben hier kein festgeschriebenes Rollenverständnis.
motor.de: Die Mischung machts…
Claypool: Ja, genau. Ich mag die Vielseitigkeit auf einer Platte, denn so entstehen Kontraste. Das hat mich auch immer bei den Police-Alben fasziniert. Auch wenn Sting großartige Pop-Songs geschrieben hat, so waren Police-Alben nicht per se gleich Sting-Alben. Und diese Vielstimmigkeit gibt einem Album einen interessanten Flow, man will ja auch nicht die gleiche Fernsehsendung immer und immer wieder gucken.
motor.de: Das klingt danach, als ob euch dieses Album ziemlich leicht von der Hand ging.
Claypool: Wenn ich ehrlich bin, war ich gar nicht so interessiert an einem neuen Primus-Album. Ich kann auf eine beträchtliche Karriere in den USA zurückblicken. Dennoch mag ich es eben auch immer wieder neue Pfade einzuschlagen, mit meiner Machete in der Hand einen neuen Weg zu bestreiten. Als Jay [Jay Lane, Drummer der Originalbesetzung von Primus, An. der Red.] dann zurückkam, war es klar, dass wir was Neues machen würden. Weißt du, ich war immer stark enttäuscht, wenn man uns als Funk-Band abgestempelt hat. Das waren wir nie! Ich hatte nie diesen Background, habe auch nie viel James Brown gehört. Aber als Jay zurückkam, da brachte er diesen speziellen Groove mit, denn Funk ist seine Welt. Doch das war auch einer der Gründe, warum er aus der Band ausstieg, denn wir wollten immer eine Rockband sein.
motor.de: Jay ist ein gutes Stichwort – seit letztem Jahr ist er wieder dabei, wie wichtig war seine Rückkehr?
Claypool: Weißt du (überlegt lange), Jay hat meine Welt nie wirklich verlassen. Ich spiele ja ebenfalls Schlagzeug und für mich war Jay über die Jahre hinweg eine der größten Inspirationsquellen. Und wir sind ziemlich gute Freunde. Es war nur natürlich, dass er unser neuer alter Drummer wird. Larry hingegen hat vorher noch nie mit Jay zusammengespielt. Es war wirklich sehr aufregend zu sehen, wie die beiden miteinander interagieren. Denn Jay hat eine Energie, die niemand sonst anzubieten weiß.
motor.de: Wie war eure Vorgehensweise? Habt ihr die Songs erst im Studio geschrieben, oder passierte das schon vorher? Ich schätze dich jedoch eher als spontanen Menschen ein…
Claypool: Ja, auf jeden Fall! Ich mag es, spontan zu arbeiten. Das neue Album ist auch wirklich äußerst spontan. Viele Songs oder Sequenzen sind durch Jams entstanden, andere wiederum erst in der Probe. Das ist sehr unterschiedlich gelaufen und lässt sich nach Fertigstellung des Albums gar nicht mehr mit Gewissheit sagen.
motor.de: Ein bisschen reinhören konnte ich schon. Hervorzuheben sind auf alle Fälle die Drums, sie sind sehr rau und pur geraten, sodass mir häufiger eure ersten Alben “Suck On This” und natürlich “Frizzle Fry” ins Gedächtnis kommen. Gab es bei den Aufnahmen etwas, das dir besonders wichtig war?
Claypool: Als wir 1997 das “Brown Album” gemacht haben, war uns das Drumset unglaublich wichtig. Tom Waits sagte mir einst, dass diese LP seine Lieblingsplatte von Primus sei (grinst). Trotzdem haben wir den Drums jedoch eine zu hohe Bedeutung geschenkt, alles erschien sehr pompös und groß. Wenn ich die Zeit hätte, ein Album zu remixen, dann würde ich mich für das “Brown Album” entscheiden. Doch wie ein Instrument letztlich klingt, hängt immer davon ab, wie du es behandelst. Dieses Mal haben wir die Drums eher geöffnet. Das Schlagzeug bildet ein großes Spektrum ab, es klingt sehr transparent und dennoch bombastisch. Genau das gefällt mir, es ist eher der Oldschool-Sound eines Tony Williams [Jazz-Schlagzeuger, Anm. der. Red.].
motor.de: Es ist bekannt, dass du ein großer Fan von Jam-Sessions bist. Bei der Fülle an Kollaborationen: was war das beste Zusammenspiel in all den zurückliegenden Jahren? Oder ist es überhaupt möglich, hier eine Rangfolge aufzustellen?
Claypool: Nein, das geht eigentlich nicht (lacht). Aber ich kann mich an Sessions erinnern, die wirklich heraus gestochen haben. Zum Beispiel die Colonel Claypool’s Bucket of Bernie Brains-Zeit [Experimentelle Supergroup aus Les Claypool, dem Gitarristen Buckethead, Parliament-Funkadelic-Keyboarder Bernie Worrell und Schlagzeuger Bryan “Brain” Mantia; Anm. der Red.]. Wir hatten diesen Gig beim Bannaroo Festival und standen dort vor mehr als 7000 Menschen. Wir hatten keine Setlist, keine Absprache, was wir spielen werden. Es war pure Spontaneität, einfach unglaublich. Bryan ist ein außergewöhnlicher Drummer und Bernie Worrell ist eine Legende, einer der größten Musiker auf unserem Planten. Dieser Kerl ist ein Genie. Später benutzten wir eigentlich nur Teile dieser Live-Improvisation und formten daraus ein Album. Das war wirklich wahnsinnig.
Primus – “My Name Is Mud”
motor.de: Wir haben Halbzeit für 2011. Was waren für dich die bisherigen Höhepunkte und schönsten Erfahrungen des Musikjahrs?
Claypool: (überlegt kurz) Als wir vor kurzem in Polen bei einem großen Festival waren, spielten wir vor Prince. Dort haben wir ein unglaubliches Set gegeben, möglicherweise eines der besten Sets der Tour. Danach haben wir uns Prince angeguckt und es war wirklich unglaublich wie Energie-geladen und impulsiv der die Show gerockt hat.
motor.de: Prince – deine Entdeckung 2011?
Claypool: Naja (lacht), eher eine Wiederentdeckung. Ansonsten höre ich selten den aktuellen, neuen Scheiß. Wenn überhaupt, dann höre ich das, was mir meine Tochter zeigt und vorspielt, wie zum Beispiel Black Veil Brides. Für das Konzert hab ich schon für uns Karten gekauft und bin gespannt, wie sie live klingen werden.
motor.de: Noch irgendwelche letzten Worte?
Claypool: Ich hoffe nicht, dass das wirklich meine letzten Worte sein werden (lacht): ich esse jetzt einen Keks.
Interview: Alex Beyer
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