Wenn ich ehrlich bin hätte ich niemals erwartet, mit jemanden der sich einst Prinz Porno nannte, über Nietzsche, Foucault und Bob Dylan zu diskutieren. Soweit mein Fazit zum Interview mit Friedrich Kautz in seinem Berliner Büro. Hip-Hop war nie so recht mein Ding, doch das könnte sich jetzt ändern. In jenen charismatischen Räumen sitzt der bodenständige Rapper zwischen Actionfiguren, Hundedame Penny und allerlei Krimskrams an seinem Schreibtisch. Mit Hemd in der Hose und Hornbrille; Kleider machen ja bekanntlich Leute. Selbst ein Sido hat längst sein Ghetto-Boy-Image mitsamt der silbernen Maskerade gegen Seitenscheitel, hippen Vollbart und Tätowierungen eingetauscht. Damit hat er sich zwar dem Berliner Szene-Schick optisch angepasst, aber den gereiften Denker kauft man ihm dennoch nicht ab. Prinz Pi hingegen schon.

(Foto: Bastian Fischer)

motor.de: Ich versuche mal einen etwas unkonventionellen Weg für dieses Interview. Lass uns den üblichen Frage-und-Antwort-Zirkus zum neuen Album weglassen und einfach über die Themen sprechen, mit denen du dich auf der Platte beschäftigst. Das hier ist das erste Mal, dass ich mir bewusst ein Hip-Hop-Thema aus eigenem Interesse herausgesucht habe. Ich muss zugeben, dass ich mich bis vor kurzem nie mit deiner Musik beschäftigt hatte, einfach weil der Name Prinz Porno gewisse Vorurteile in mir weckt. Umso überraschter war ich, also ich mir erstmals deine beiden letzten Alben „Rebell ohne Grund“ und „Hallo Musik“ anhörte. Nun, nachdem ich „Kompass ohne Norden“ kenne, kaufe ich dir den Nietzsche und den Dylan wirklich ab. Warum also diese beiden Schlüsselfiguren?

Prinz Pi: „Als Jugendlicher hört man Musik ja eher aus dem Grund sich eine Identifikation zu suchen. Sei es Punk oder Rap, man hört diese böse Musik, um sich von seinen Eltern abzugrenzen und zu rebellieren. Als Kind aber hast du diese Intention nicht, sondern hörst Musik weil sie sich gut anfühlt. Ich war als Kind recht kränklich, blind auf meinem linken Auge und wurde dann oft operiert. Daher musste ich große Teile meiner Kindheit drinnen verbringen und da war auch die Plattensammlung von meinem Vater. Da waren viele späte Beatles Platten, Led Zeppelin und natürlich Bob Dylan. Mein Vater hat immer von Dylan und seinen Texten geschwärmt, aber ich hatte nie so recht verstanden warum. Ich fand ‘All Along The Watchtower’ in der Version von Hendrix einfach viel krasser. Aber mein Dad hatte auch dieses Buch in dem die Lyrics von Dylan aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt waren, dann habe ich mir die Texte reingezogen und das hat mich unheimlich geprägt.”

motor.de: Ich zitiere jetzt aus deinem neuen Album: „Bob Dylan gab mir einst einen Kompass ohne Norden.“ Warum dieses Motiv vom endlosen Reisen ohne Ziel. Die Reise ins Ungewisse gewissermaßen?

Prinz Pi: „Als Kind wusste ich genau, das ich Astronaut oder Pilot werden wollte, aber das bin ich natürlich nicht geworden, alleine wegen meiner Augen. Je älter ich wurde, desto weniger war mir das klar. Ich war auf so einem elitären Gymnasium mit Altgriechisch und Latein, die Kids die dort waren, spielten entweder total virtuos Geige oder waren Mathe-Genies. Es waren Kinder aus richtig gutem Hause, die von ihren Eltern dahingetritzt wurden, damit mal was aus ihnen wird, die wussten alle, dass sie mal Jura studieren werden oder mal Vaters Betrieb übernehmen. Ich hingegen wusste das überhaupt nicht und die Musik die ich mochte hat mir auch keinen Weg gewiesen oder ein Ziel aufgezeigt, sondern nur noch stärker zerstreut. Wenn ein Neonazi seine Musik hört, da ist das Weltbild klar; ebenso bei linker Musik. Bei extrem poppiger Musik geht es darum, gut drauf zu sein, oder zu tanzen, da gibt es keine wirklichen Inhalte. Bei der Musik die ich mochte wie Dylan oder Neil Young gibt es hingegen keine klare Message – das ist wesentlich komplexer und vielschichtiger.

motor.de: Bei dir geht es ja viel um diesen Krisenzustand, persönlich wie gesamtgesellschaftlich gesehen. Ich unterstelle dir mal, dass du dich auch viel mit postmoderner Theorie beschäftigt hast, da sich dort viele Themen wiederfinden. Etwa Retro, Nostalgie oder Kapitalismus.

Prinz Pi: „Ja, total. Ich lese viel Foucault und Wittgenstein. Und natürlich Nietzsche. Letzterer ist auf zwei Arten interessant, einerseits mag ich seine religiösen Betrachtungen, dann aber auch einfach seinen Stil. Ich arbeite ja auch mit der Sprache, sie ist mein Handwerkszeug, meine Waffe. Nietzsche ist total virtuos mit der Sprache, selbst wenn er totalen Unsinn schreibt. In seinem letzten Buch ‘Eco Homo’ ist er schon fast verrückt und phantasiert herum, aber es hört sich dennoch total gut an. Selbst dann sind seine Sätze wie Hammerschläge, in denen unheimlich viel Energie steckt. Das fasziniert mich auch bei musikalischer Lyrik, etwa Neil Young oder Johnny Cash.“

motor.de: Gerade Neil Young hat ja jüngst ein sehr inhaltsstarkes Album veröffentlicht, indem er eine kulturelle Abwärtsspirale für die Musik beschreibt. Siehst du die auch?

Prinz Pi: Nee, Ich versuche bei meiner Musik nicht zu werten. Ich mag das nicht, wenn sich einer so als moralische Instanz aufspielt und sagt, was gut oder schlecht ist.

motor.de: Das tut er.

Prinz Pi: Ja, das macht er gerne, genau wie Cash. Oder Bruce Springsteen, etwa. Der tut ja immer so als sei er einer von den Fabrikarbeitern aus der Unterschicht. Einem dem es ganz ganz schlecht geht, dabei ist er ein schwerreicher nationaler Held.

motor.de: Ja, den working class hero à la John Lennon kauft man ihm nicht ab.

Prinz Pi: „Ne, überhaupt nicht. Das ist ähnlich wie die Kritik an John Lennons „Imagine“ – da singt jemand der unendlich reich ist darüber, wie es ist kein Geld zu haben. Eine Hypothese, die jemand der alles hat, sehr leicht aufstellen kann, aber sicherlich nicht so leicht fällt, wenn man kein Geld hat.“

motor.de: Lass uns doch nochmal über diesen Krisenzustand bleiben, den benennst du ja schon sehr klar.

Prinz Pi: „Ja, schon. Aber ich will das nicht abwerten. Zum Beispiel haben ich diesen einen Song gemacht: ‘Rost’. Da geht es um den Weggang der Schwerindustrie in Deutschland, speziell das Ruhrgebiet. Den habe ich geschrieben nachdem ich ‘Ruß’ von Zaimoglu gelesen habe, den ich früher überhaupt nicht mochte. Er ist angesetzt in dem Milieu, wo die Leute ihre Arbeit verloren haben. Deutschland ist ja eines der Länder, das sich komplett über seine Wirtschaftskraft definiert, allein der Begriff „Made in Germany“ war in der Nachkriegszeit einer der Dinge, aus denen die Deutschen ihre Identifikation gezogen haben, nachdem sie das nicht über ihre nationale Herkunft definieren durften und wollten.“

motor.de: Aber wenn du in dem Song von Wölfen und Schafen sprichst, dann ist doch schon klar benannt, dass es eine graue Masse von Menschen gibt, die diese Orientierungslosigkeit zu spüren bekommen und letztendlich einige wenige das Zepter in der Hand halten.

Prinz Pi: „Ja, das stimmt auf jeden Fall. Aber wie gesagt, ich möchte das nicht so einseitig betrachten. Ich fand zum Beispiel diese ganze Occupy-Bewegung total unreflektiert, weil die Leute gegen etwas demonstriert haben, von dem sie jahrzehntelang profitiert haben.
Mir war das wichtig darzustellen, dass der einfache Arbeiter, der nun irgendwann seinen ungelernten, relativ hoch bezahlten Job in so einem Hochlohnland wie Deutschland verliert, weil man seine Arbeit nun im Rahmen der Globalisierung günstiger machen kann, aber auch davon profitiert. Denn der freut sich doch auch über die günstige Elektronik aus Fernost. Oder die ganzen internationalen Konzerne wie Ikea, da nehmen die Leute ja auch gerne die günstigen Preise war und dann wiederum regen sie sich darüber auf, dass die Sachen die sie selbst produzieren, nun auch günstiger produziert werden können. Das war das eine, was ich darstellen wollte, diese beiden Seiten bei den Arbeitern. Auf der anderen Seite gibt es dann noch den bösen Unternehmensberater der Firmen skelettiert. Aber der macht das ja auch nicht, weil er ein böser Mensch ist, sondern weil er im Sinne seines Auftraggebers handelt. Und dieser Aktionär muss nicht unbedingt das große Bankenkonglomerat sein, sondern kann auch der kleine Anleger wie du und ich seina, der genauso will, dass am Ende die Rendite stimmt. Damit die stimmt, muss das natürlich irgendwie optimiert werden. Dass diese Leute das einfach kaltblütig machen und dabei nicht auf die Schicksale und Arbeitsplätze Rücksicht nehmen, ist natürlich irgendwie schlimm, aber sie tun dies im Auftrag der Aktionäre.

motor.de: Zurück zur Postmoderne, zersetzt sich an dieser Stelle der Kapitalismus?

Prinz Pi: „Mhhh, nö ich denke nicht. Ich finde da stellt sich der Kapitalismus als das dar, was er ist. Es geht ums Kapital und nicht um soziale Gerechtigkeit.“

motor.de: Gibt es einen inhaltlichen roten Faden für ‘Kompass ohne Norden’?

Prinz Pi: „Es geht auf jeden Fall um das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft, die Frage ob man mitschwimmen möchte, ob man Teil sein möchte von irgendeiner Gruppierung. Oder auch nicht. Es geht um die Auseinandersetzung mit dem Begriff Individualismus der zu einer Art Volkskrankheit geworden ist, dass jeder sich für absolut individuell hält – gerade in Bezug auf Kleidung. Und dann doch alle gleich sind, oder auch eben nur in der Aussage der Individualität uniform sind. Es geht auch um den Begriff von Liebe und Freundschaft. Gerade das Thema der Freundschaft im Zeitalter der Online-communities wo wir immer weniger Zeit mit Freunden face-to-face verbringen, aber dafür immer mehr Zeit online mit ihnen haben. Das sind total spannende Entwicklungen weil du ja – wenn du all deine alten Schulfreunde mittlerweile nur noch bei Facebook triffst – trotzdem so etwas wie eine Art Brieffreundschaft hast. Ich finde das schriftliche Wort muss nicht weniger wert sein, als das Gesprochene – es kann vielleicht sogar konsistenter und langlebiger sein. Wenn du jemanden einen Brief schreibst und dabei etwas ausformulierst, machst du dir unter Umständen mehr Gedanken; die Frage ist einfach wie man kommuniziert. Es ist eine Form der Kommunikation die mit der Geschwindigkeit eines Gesprächs abläuft, aber die Konsistenz von alter Briefkommunikation aufweist. Du kannst dir das immer wieder anschauen und hast es schwarz auf weiß.“

motor.de: Lass uns doch kurz über die Musik selbst sprechen. Ich würde behaupten, dass du mit Kompass ohne Norden, das umgesetzt hast, was du mit ‘Hallo Musik’ bereits angedeutet hast!? Du hast dich geöffnet, ich höre da viele klassische Arrangements, die an die Glanzpunkte der populären Musik erinnern. Die Referenzen die du da nennst, sind sehr klar erkennbar.

Prinz Pi: „Ja, total. Wir haben einen großen Aufwand betrieben, haben recherchiert, welche Geräte die Beatles oder Johnny Cash verwendet haben, je nach den Referenzen die ich zugrunde gelegt habe. Dann haben wir die besorgt oder sogar nachgebaut, um diesen besonderen, ich sag mal natürlichen, lebendigen Klang zu bekommen. Der Unterschied dieser alten Technik zur Neuen ist der, dass sie so etwa wie eine Tagesform hat. Diese Geräte klingen nicht immer gleich, die klingen nach zwei bis drei Stunden anders, als wenn sie frisch angeschaltet ist. Da kann eine Röhre schon mal anfangen Zicken zu machen. Außerdem bist du viel limitierter in deinen Möglichkeiten, wenn du nur ein paar Regler und Einstellmöglichkeiten hast und kommst so viel schneller zu einer kreativen Entscheidung. Wenn du am Computer ein Plug-In mit 1000 Presets hast, durch die du dich erstmal durchklicken musst, bist du ne Marschroute hast, dann ermüdet dich das kreativ total. Man kommt gar nicht mehr dazu, den Bass so einzustellen, wie man den eigentlich haben will – wenn du nur zwei Knöpfe hast, ist das schnell klar.“

Motor.de: Ist das einen Widerspruch zu dem, was Hip-Hop ausmacht, oder ein gezieltes Ausbrechen aus den altbewährten Pfaden?

Prinz Pi: „Hip-Hop ist raus aus dieser Nische, er ist das weltweit größte und erfolgreichste Genre heutzutage. Jemand wie Lana Del Ray hat heute auch Hip-Hop-Drum-Machines auf ihrem Album, Scratches und singt auch sehr rap-affin. Allein in Deutschland ist das Hip-Hop-Firmament sehr breit aufgespannt: Da wäre Peter Fox mit seinem Reggae-Rap-Gesinge, Casper der irgendwie Coldolay und Post-rock mit seinem eigenen Style, vermischt, Poppiges wie Marteria mit seinem Sängerkumpel Jascha, die sowas wie Lila Wolken machen, oder K.I.Z. die schon fast ne Rockshow hinlegen. Das ist sehr differenziert alleine in hierzulande und deswegen muss ich nicht aus irgendeinem 08/15-Ding ausbrechen. Es gibt vielmehr eine große Landschaft, in der ich – sagen wir – mein eigenes kleines Grafengut anlege.“

motor.de: Fehlt dir nicht street credibility?

Prinz Pi: „Ne, witzigerweise nicht. Dass ich jetzt nicht aussehe wie der typische Rap-Aspirant mit Baggy Jeans und Basecap, stört meine Fans nicht, obwohl es schon mal Diskussionen über meinen Haarschnitt gibt. Vielleicht sind die meisten Rapper eher Quereinsteiger im Beruf.“


Text + Interview: Matthias Ziegenhain
Bildmaterial: Bastian Fischer