Pussy Riot nutzen das Aufmerksamkeitsprivileg des Pop: mit gezielter Provokation, ikonisch verwertbaren Bildern und schönem Gesicht. Das gut zu finden, ist aber erst mal nur die romantische Ersatzvorstellung von Rebellion.
Es geht auch richtig dämlich: Drei “Nachahmer” – so vermelden die Agenturen – protestierten am Wochenende nach der Urteilsverkündung “wild Parolen skandierend” gegen die Verurteilung von Pussy Riot. Im Kölner Dom. Es hat für eine Erwähnung in deutschen News gereicht, auch wenn weder Pussy Riot noch sonst irgend jemand von “allen Gefangenen” deswegen der geforderten Freiheit auch nur ein Stück näher gekommen sind. Aber ist es auch nur einen Hauch klüger, sich “Pussy Riot” auf den halbnackten Körper zu schreiben, beim Konzert die Faust in die Luft zu recken und zu sagen “Ich bete für ihre Freiheit”? Das hat Madonna getan, eine weitere wohlfeile Aktion, die sich im Reigen all ihrer sonstigen “politischen” Statements auf der gerade laufenden Tour verwurstet.
“Moderne Heldinnen” hielt ausgerechnet das Vox-Boulevardmagazin “Prominent!” für eine passende Untertitelung zum Beitrag “Was wird aus den Kindern und Familien von Pussy Riot?” und fragt natürlich den allzeit bereiten Udo Lindenberg, worauf dieser irgendwas von “politischer Hintergrund und so”, “Putin” und “Ganove” ins Mikrofon nuschelt. Wir erinnern uns: Udo kennt sich bestens aus in der Politganovenszene, immerhin hat er seinerzeit die Gelegenheit gern genutzt, sich von Erich Honecker eine Schalmei schenken zu lassen, um endlich auch mal im Palast der Republik auftreten zu dürfen. Nina Hagen präsentiert im gleichen Beitrag zwar nur mehr oder weniger wirres Gestammel, also das, was man von ihr seit Jahren gewohnt ist, schafft es aber immerhin – und das darf man sich in dem Zusammenhang dann auch mal auf der Zunge zergehen lassen – ein Buch mit Christus-Ikonenbildern in die Kamera zu halten.
Natürlich lassen einen nicht alle der kaum noch zu überschauenden Solidaritätsbekundungen für Pussy Riot die Fußnägel hochrollen. Natürlich ist es sinnvoll, Geld für die Verteidigung einzusammeln, wie es die Initiative der Hardcore-Feministin und Musikerin Peaches versucht. (Auch, wenn zu vermuten steht, dass es die meisten der bisher 130.000 Unterstützer wohl beim Unterschreiben der Petition belassen haben.) Natürlich handelt es sich um ein Unrechtsurteil in einem Unrechtssystem und Protest dagegen ist gerechtfertigt und nötig. Aber ist deshalb Punk vielleicht doch nicht tot? Pussy Riot werden schließlich im allgemeinen Sprachgebrauch als Punkband gehandelt, was sicher damit zu tun hat, dass es eher schlicht bis ausgesprochen schlecht klingt, was da rein musikalisch veranstaltet wird. Klingt schlecht, ist “dagegen”, wirkt irgendwie unangepasst und macht ordentlich Rabatz – das muss Punk sein. Hat deshalb gar – wie Spiegel online gleich forsch behauptet – die Popkultur ihre rebellische Kraft wiedergewonnen? Schließlich sind es doch vor allem Musiker, die sich – so heißt es permanent – “hinter Pussy Riot stellen”.
Pussy Riot – Anti-Putin-Andacht
Der Prozess gegen die Aktivistinnen füttert eine schöne, romantische Vorstellung von Popmusik, die auf der richtigen Seite steht. Die zu den Guten gehört. Die die Macht hat, Massen politisch zu mobilisieren. Die eine ständige und allgemeingültige Widerstandszelle gegen “das System” oder “die da oben” ist und gierig die passenden Bilder aufsaugt; diesmal wahrhaft ikonisch bedient durch die geballte Faust einer hübschen jungen Frau im No-Pasaran-Shirt. Pussy Riot sind das perfekte Role Model. Sie sind hübsch, sie sind jung, sie sind sympathisch, sie wissen um die Potenz der richtigen Geste, sie sind politisch und sie stehen tatsächlich gegen ein übermächtiges System, das sie sich prompt zum Beispiel-Feind erkoren hat. Wer möchte da nicht empört sein und somit auch ein Teil des Widerstandes – ohne das Risiko von mehreren Jahren Straflager? Das hat das Leben in der westlichen Welt – und man ist dafür zu Recht dankbar – nicht zu bieten. Popmusik ist hier zuerst mal nur Unterhaltung, was selbst für politisch grundierte Songs gilt, denen oft genug die Rolle als Platzhalter für weltanschauliches Bewusstsein zufällt. Als Soundtrack der Hoffnung für eine irgendwie bessere Welt.
Dort, wo sie tatsächlich noch weniger gut als hierzulande ist, spielt es gar keine Rolle, welcher Kunst man sich bedient. Jeder, der nicht ins Raster der ideologischen Anpassungsvorgaben passt, bekommt irgendwann Schwierigkeiten. Je auffälliger die Normabweichung, desto heftiger die Reaktion des Staates. Ob sie nach qualitativen Kriterien Bestand als künstlerisch wertvoll hat, spielt dabei keine Rolle – eine Erfahrung, die sich auch in der DDR machen ließ. Wer es darauf anlegen wollte, suchte sich einfach die größtmögliche Provokation. Zu DDR-Zeiten war das, erst Punk, dann Skinhead zu werden. In Russland ist es vielleicht, radikalfeministische Putin-Gegnerin zu sein. Und einen orthodoxen Gottesdienst aufzumischen. Welche Agenda Pussy Riot darüber hinaus haben, ob es zum Beispiel wirklich die gern gesehene inhaltliche Nähe zu Riot Grrrls gibt oder wie die politischen Ziele wirklich sind, bleibt dabei zweitrangig.
Das Wissen darum wäre der Sympathie vielleicht sogar eher abträglich. Denn so wie bei Femen, den ähnlich bewusst provokativ mit Tabuverletzungen agierenden Aktivistinnen, sind die besetzten Themen nicht nur in der post-sowjetischen Gesellschaft absolut nicht mehrheitsfähig. Aber sie erstreiten sich ein Aufmerksamkeitsprivileg, das der “normalen” Opposition nicht zur Verfügung steht. Im Popkontext unterstützt wird die Pose. Es ist nur folgerichtig, dass die Unterstützung selbst oft auch nur reine Pose ist. Das ist dann in der Tat selbst wieder Pop. Mit kunstvoll gestalteten Images auf der einen Seite und Star-Verehrung auf der anderen. Der Unterschied ist diesmal das diffus gute Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen.
Jörg Augsburg
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