Stanley Schmidt und das Label Rivulet schicken sich an, House-Musik in Leipzig wieder greifbar zu machen. Das hat eine Brisanz und Dringlichkeit, die dem Berlin der 90er nicht unähnlich sieht.
(Foto: Merle Marx)
Was heißt es, wenn ein ausrangierter Club im Leipziger Szenebezirk Plagwitz von einer Traube Nachtschwärmer belagert wird, die aber nicht mehr rein dürfen? Und was ist los, wenn ein heranwachsendes Technokollektiv den 90er-Sound Chicagos neu auflegt und damit auf unerwartet große Euphorie stößt? Das Label Rivulet Records setzt allmählich einen kleinen Virus in der sächsischen Stadt frei, den man auch “Leipziger Krankheit” nennen könnte — als Pendant zur Berliner Entwicklung der 90er Jahre.
Stanley Schmidt, Mitbegründer und DJ, zeichnet für die Aufruhr verantwortlich: “Die Leute sagen immer, Leipzig hätte nun das, was Berlin in den 90ern war.” Seine Karriere als DJ ging in der Tat rasant vonstatten. Nachdem die nötigen Fähigkeiten an den Plattentellern vorhanden und die ersten Beziehungen geknüpft waren, avancierte Stanley zu einer festen Größe der Berliner Partyreihe Homopatik. Die Mischung aus Chicago-House und der zeitgenössisch so beliebten Deephouse-Ästhetik, genauso kühl samplebasiert und basslinienlastig wie anwärmend-melancholisch, zog auch bald andere Kreativlinge in ihren Bann. Rivulet war geboren und Stanleys intensive Texturen den grauen Abrisshäusern Leipzigs wie auf den Leib geschneidert — ganz ähnlich, wie damals in Berlin.
Momo – “One Of These Mornings / I’ll Wait For You”
Zeitgeschichtliches in einen Topf zu werfen, um mit der Gegenüberstellung sinnvolle Vergleiche anzustellen, das scheitert bekanntlich zumeist schon beim Versuch. Zu außergewöhnlich war damals auch die Situation im geteilten Deutschland und einmalig die fehlende Infrastruktur, welche Improvisation auf höchstem Niveau erst zuließ. Und doch muss sich der (Mit-)Macher von Rivulet den Vergleich gefallen lassen und eingestehen, dass Leipzig das Potential hat, die existenziellen Haltungen und künstlerischen Strategien der Neunziger neu erstehen zu lassen. Dieser Moment scheint nun gekommen und in Kollektiven wie Rivulet und seinen DJs Stanley, Goldee, Momo oder Depart finden sich Identifikationsfiguren, die jene Bewegung greifbar machen.
Gerade der Schein des aus dem Stegreif Gespielten macht die improvisierten Rivulet-Partys so attraktiv, für das sehnsüchtige Publikum, das genug hat von kurzen DJ-Sets und organisierten Busreisen auf Stadion-Rockkonzerte. Hier funktioniert alles aus erster Hand. Zwei Barmänner sind schnell im Freundeskreis gefunden, die Kasse macht auch mal der Nachbar. Stanley Schmidts Klangsprache erzählt dabei eine ähnliche Geschichte: immer wieder bedient er sich am House der 90er und zelebriert geradezu sein persönliches, referentielles Manifest — ein Retroismus, der gleichzeitig auch immer nach vorne blickt.
Stanley Schmidt – “Straßen Aus Zucker”
DJ Momo wird nun die Ehre zuteil, den ersten Rivulet-Titel auf Platte zu veröffentlichen. Seine Single “One Of These Mornings” soll die Kredibilität des Kollektivs auch außerhalb der temporären Szene erkennbar machen und versuchen, den Moment festzuhalten. Ende Juli steigt ausgerechnet in Berlin die Release-Party zur Single. Die Idee ist hierbei wohl der Bau einer Brücke, zwischen Berlin und Leipzig, um die sehr erwachsen gewordene Partykultur der Hauptstadt in den autonomen Flair einer sich im Aufbruch befindenen Stadt zu tragen. “One Of These Mornings” wird auf der Berliner Party in einer limitierten Auflage erhältlich sein — Vinyl only, versteht sich.
Rivulet Records – Live 2012:
28.06. Berlin – Rummels Bucht
30.06. Berlin – ://aboutblank
13.07. Leipzig – Open Air
28.07. Berlin – Ritter Butzke
Josa Valentin Mania-Schlegel
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