Über ihre Anfänge bei SST-Records, ihre Kollegen Minutemen, Black Flag und die wilden, guten alten Zeiten – die Punklegenden Saccharine Trust im Interview.

Saccharine Trust mit Joe Baiza (zweiter von rechts) und Jack Brewer (erster von rechts) Anfang der 80er

Saccharine Trust gehören zu den ersten Signings des kalifornischen Indiependent-Labels SST-Records, das legendäre Bands wie Black Flag, Meat Puppets, Minutemen, Hüsker Dü oder später auch Sonic Youth, Dinosaur Jr. und Soundgarden beherbergte. Seine Blütezeit hatte das Label in den 80er Jahren, in dessen Anfängen auch Saccharine Trust begannen, als eine der ersten Punkbands durch die Staaten zu touren. Ihr Debüt “Paganicons” erscheint 1981 – dreizehn Jahre später setzt sie Kurt Cobain auf die Liste seiner Lieblingsplatten, die ihn und sein musikalisches Umfeld maßgeblich prägten. Mike Watt (Minutemen), die Beastie Boys und Sonic Youth sind bekennende Fans, auch Rage Against The Machine und die Red Hot Chili Peppers zählen Saccharine Trust zu ihren Bandlieblingen.

Alles bekannte Namen, nur bei den Jungs, um die es hier gehen soll, mag der Groschen nicht so recht fallen, denn Saccharine Trust bleiben in ihrer gesamten Karriere von größerer öffentlicher Aufmerksamkeit weitestgehend unberührt. Sie gelten bis heute als Geheimtipp, der jedoch einen nicht unerheblichen Teil zur Entwicklung der Musikwelt beigetragen hat, nicht zu letzt durch das charakteristische Gitarrenspiel von Joe Baiza. Wir trafen uns mit ihm und Sänger Jack Brewer, die Saccharine Trust 1980 in Los Angeles gründeten. Heute sind sie zwar schon ein bisschen betagter, jedoch steckt in ihnen immer noch eine Menge Energie, die sie live nach wie vor unheimlich agil und leidenschaftlich audrücken. Wir sprachen mit ihnen im Rahmen der Deutschlandtour über ihr Bandgefüge, gewisse Privilegien, das was noch kommt und natürlich die guten alten Zeiten.

motor.de: Es sind ja einige Jahre vergangen, seitdem man Saccharine Trust das letzte Mal in Deutschland sehen konnte.

Jack: Verdammt lang her – ja, das stimmt. Das war glaube ich Mitte der 90er, als wir das letzte Mal hier waren.
Joe: Es ist für mich wie ein Zeitrückgang. Ich habe in der Vergangenheit viel Zeit hier in Deutschland verbracht. Jetzt, wo ich wieder hier bin, hat es auf jeden Fall etwas familiäres, wie wenn man von einem Traum aufwacht, oder so. (lacht) Ich genieße es sehr!

motor.de: Während eurer letzten Deutschlandtour gab es einen herben Zwischenfall. Joe, du wurdest von Neonazis überfallen und man zertrümmerte dir das Handgelenk.

Jack: Schau, das ist der Grund warum ich jetzt hier bin. Damit ihm das nicht wieder passiert. (lacht)
Joe: (lacht) Er ist der harte Kerl! Genau.

motor.de: Was ist dir damals passiert, das war in Berlin, oder?

Joe: Ja, ich war ein paar Wochen dort und habe Freunde besucht. Es war also nicht direkt während der Tour. Ich glaube, das ist jetzt ungefähr 15 Jahre her. Ich weiß noch, dass ich in Treptow war und da begegnete ich so ein paar Typen. Sie quatschten mich auf Deutsch zu, hatten keine Ahnung, wo ich herkomme und suchten eben Stunk, so à la “lasst uns einen Mexikaner klatschen”. Dann kam einfach einer mit einem Schläger und brach mir die Hand. Im nächsten Moment rannte ich. Das war wirklich unschön!

Saccharine Trust – “We Became Snakes”
(live in San Francisco 1985)


Steve Moss (Saxophon), genannt Moss, gesellt sich hinzu.

Moss: Oh, jetzt bringe ich die Unterhaltung durcheinander. Tut einfach so, als wäre ich nicht da. (grinst)

motor.de: Wie passt Steve hier ins Bild? Ihr seid doch nur zu viert bei Sac Trust, oder?

Jack: Moss war in einer Band vor Saccharine Trust mit dabei. Er ist für die ganzen Hintergrundsachen verantwortlich. Ich nenn ihn Rabbitfire! Er ist die Verbindung zwischen Saccharine Trust und Universal Congress Of (Zweitprojekt von Joe Baiza in Richtung Jazz, Avantgarde, Bluesrock, Punk – Anm. der Red.). Moss macht lustige Sachen mit der Hand. (gestikuliert, kichert)
Joe: Moss hat erst die eine Band auseinander gebrochen und dann die andere. (lacht)
Jack: Man macht halt verschiedene Sachen, ganau das ist typisch an Los Angeles. Viele Bands touren miteinander, obwohl sie ganz verschiedene Sachen spielen. Letztendlich stehen sie aber vor dem gleichen Publikum, das man nicht ändern kann. Dafür wechselt man halt die Band. Jeder spielt in mehreren Projekten und jeder kennt sich dadurch.
Joe: Ja, in L.A. da ist volle Action!
Moss: Und sehr viel Inzucht. (lacht)
Jack: (lacht) Es ist besser das mit Musik zu tun als mit Kindern!

motor.de: A propos L.A. – ihr habt euer letztes Album “The Great One Is Dead” nicht wie gewöhnlich in eurer Heimat aufgenommen, sondern seid dafür nach Deutschland gekommen. Was hat euch damals von L.A. nach Frankfurt (Main) gezogen?

Joe: Wir haben zu den Hazelwood-Studios in Frankfurt ein tolles Verhältnis und können die Leute dort gut leiden. Wir hingen damals mit Gordon Friedrich rum, der Hazelwood gründete. Und dann haben wir angefangen mit ihm an Sachen zu basteln, insgesamt waren das drei Projekte, mit denen wir dort gearbeitet haben. Unter anderem eben mit Saccharine Trust – das war damals, als diese Ausweisgeschichte war.

Saccharine Trust Mitte der 2000er

motor.de: Guter Stichpunkt – Jack, stimmt es, dass deine fehlende Amerikanische Staatsbürgerschaft der Grund dafür war, dass ihr lange Zeit nicht in Europa spielen konntet?

Jack: Ja, das stimmt. Das war damals eine ziemliche Tortour an meine Geburtsurkunde zu kommen, die ich für meine Papiere benötigte. Es hat sehr lang gedauert. Ich bin in Kuba geboren und dort ist das alles nicht so einfach, da ticken die völlig anders. Für die Kopie dieser Urkunde habe ich wenn ich mich richtig erinnere 2000 Dollar geblecht – what the hell!

motor.de: “Ich hab gelernt, dass man alles machen kann, wenn man in einer Band singt.” Das ist ein Zitat von dir Jack, oder? Was macht man denn so als Sänger einer Band?

Joe: (lacht) Als die Saccharine Trust-Gigs anfingen, war Jack noch ein bisschen zurückhaltend. Da meinte ich: “Hey du musst noch mehr aus dir rausholen!” Daraufhin kam er irgendwann zu dem Punkt, wo er meinte: “Wenn du der Sänger auf der Bühne bist, kannst du machen, was immer du willst.” Also fing er an, total abgefahrene Sachen auf Tour zu machen. Weißt du noch, das war die Zeit mit den Damenkleidern?
Jack: Oh ja, das kann ich heute leider nicht mehr machen.
Moss: Hey du hast das in Frankfurt erst letztens noch gemacht!
Jack: Alte Männer in Damenkleidern will aber niemand mehr sehen. (lacht)

motor.de: Also bist du heute gesetzter und vernünftiger und gehst früh schlafen?

Jack: Oh nein, nein, nein. (gestikuliert abweisend)
Joe: Er ist genauso verrückt wie immer.
Moss: Er hat es eben nur perfektioniert, du wirst sehen! (alle lachen)

motor.de: Wo wir schonmal dabei sind – vielleicht nochmal ein Blick zurück. Joe, ich habe gelesen, dass du anfangs gar kein Musiker werden wolltest. Das sei dir zu vorhersehbar gewesen, hast du mal gesagt.

Joe: Ja, ich wollte mich damals an visueller Kunst versuchen. Dann traf ich aber Jack und er lud mich ein, mit ihm Musik zu machen. Er hatte auch die ganze Ausstattung dafür.
Jack: Ganz am Anfang war Joe nur der Mann für den Sound. Als er dann aber mit uns probte, sagte er: “Verdammt, ihr braucht einen Bassisten!” Darauf meinten die anderen Typen: “Ja, dann spiel du doch gleich Bass!”
Joe: Ich dachte, ich mach es erstmal als Kunstexperiment, nur für einen Monat oder so. Nach und nach hörten jedoch die anderen Musiker auf, in Jack’s Band zu spielen und widmeten sich anderen Prohekten. Also blieben am Ende nur Jack und ich übrig.
Jack: Eigentlich war ich damals Gitarrist, doch Joe interessierte sich dann zunehmend mehr für sechs als für vier Saiten. So sagte er zu mir, ich solle einfach mal das mit dem Singen versuchen, er kümmere sich dann um die Gitarre.
Joe: Ja, ich hatte keinen Bock mehr, Bassist zu sein. Nur leider blockierte Jack den Gitarristenstuhl. Also dachte ich mir was aus, um ihn von seinem Posten zu locken. (lacht)
Jack: Anfangs wusste ich nicht, ob ich singen kann, aber hey – das ist Punkrock, da kann jeder singen. Ich dachte mir, den Kram, den Johnny Rotten macht, den kann ich auch. So ging es dann weiter und jetzt sind wir hier.

Jack Brewer (links) und Joe Baiza (rechts) bei unserem Treffen in Leipzig

motor.de: Wie habt ihr eure Richtung gefunden, was
wolltet ihr am Anfang eigentlich machen?

Joe: Ich hatte gar keine Vorstellung. Ich holte die Ideen aus meiner eigenen Fantasie. Ich habe nach Gehör gespielt, aber später erst hörte ich dann richtig hin.
Jack: Ich glaube, T-Rex war das erste, was du auf der Gitarre gespielt hast. (lacht)
Joe: Kann sein, aber vor allem mochte ich sowas wie Bebop. Ich ging zu Punk-Konzerten aber hörte auch Charlie Parker und solche Sachen.
Jack: Du hast mir damals allerhand abgefahrenes Zeug vorgespielt und dabei deine Wohnung fast zerlegt. Somit nährten wir uns immer mehr einer anderen Richtung und verbanden Punk mit Jazz.

motor.de: Wie kam es denn eigentlich mit SST-Records? Ihr seid ja schon sehr bald nach Bandgründung zum Label gestoßen. Wie war das damals?

Joe: Minutemen war die erste Band auf SST und wir kannten die Jungs. Wir trafen sie damals bei unserem ersten Gig auf einer Party. Danach sagten sie, dass sie uns gern mit bei SST dabei haben würden. Bisher waren ja nur Blag Flag mit auf dem Label. Sie besuchten uns während unseren Proben und dann sind wir da gelandet. Wenig später kamen die Meat Puppets dazu, nach ihnen Hüsker Dü. Es hat aber noch ganz schön lange gedauert, bis unsere erste Platte dort erschien. Eine unserer ersten Touren in dieser Zeit war auch mit Black Flag – das waren tolle Jahre!
Moss: Ja stimmt, damals sind wir noch im Planenwagen gereist. (lacht)
Joe: (lacht) Das war super. Und jeder hat einfach so die Konzerte organisiert, wir sind da quer durch die Städte gezogen und haben überall Gigs gespielt.

motor.de: Die berühmten “Wild Years”...
Joe: (lacht) Oh ja, da bist du Anfang der 80er rumgefahren und hast auf einmal festgestellt: “Wow, es gibt auch in Austin, Texas eine Punkrock-Szene. Und hey, in der Stadt ja auch.. “ und so weiter. Das war Wahnsinn.

Black Flag – “My War” (live, 1985)


motor.de: Und wie steht es mit euren künftigen Plänen? Werdet ihr euch nochmal zu einem neuen Album aufraffen?

Joe: Ach weißt du, es gibt uns nun schon so lange Zeit. Wir hängen jetzt lieber in den Städten ab und spielen gute Shows. Oder wir spielen auch gar nicht. Wir arbeiten nicht aktiv an uns. Aktuell sind wir zum All Tomorrows Parties-Festival eingeladen und haben nun auch wieder mal Kontakt zu Hazelwood aufgenommen. Ich weiß es jetzt noch nicht, aber vielleicht arbeiten wir ja doch wieder mehr an uns. Mal sehen. Wie gesagt, wir lassen alles gern einfach auf uns zukommen.

motor.de: Last but not least – wie sieht es mit einem Tipp von den “Alten Hasen” an den Bandnachwuchs aus?

Joe: Macht, was ihr wirklich machen wollt und seid echt. Aber es ist schwer, da einen wirklich guten Ratschlag zu geben.
Jack: Lasst es sein! Kinder bleibt in der Schule und lernt was anständiges! (lacht) Naja, das ist schon alles ziemlich schwierig manchmal. Wir haben uns nie viel Gedanken gemacht, haben alles einfach genommen, wie es so kam. Hat irgendwie immer funktioniert.
Joe: Ich würde sagen, auf jeden Fall sind verschiedene Perspektiven wichtig. Oft lässt man sich viel zu schnell von einer Sache beeindrucken, aber es gibt noch so viel mehr. Sei offen für alles! Für uns ist es die Originalität das wichtigste.
Jack: Ja, und Cat Steven-Songs.
Joe: Nein, vergesst Cat Stevens, der ist scheiße!

motor.de: Vielen Dank für eure Zeit und viel Spaß bei den Konzerten!

Joe: Keine Ursache.

Interview: Alex Beyer