In der Musikpresse heiß diskutiert und das Publikum polarisierend, ist das Wiener Mädchen, das den Schmerz der Welt auf ihren Schultern zu tragen scheint, momentan auf Europatour. Im Leipziger Centraltheater fand ihre melancholische Musik eine brillante Location. motor.de ließ sich von Soap&Skin faszinieren.

Ein großer glänzender Flügel steht auf der Bühne, zwei Vasen mit weißen Lilien an deren Rand. Noch ist sie nicht zu sehen. Die Reihen füllen sich, bis jeder der 700 Plätze belegt ist. Die Hüter an den Türen schließen. Das Licht geht aus.

“Hallo“, sagt die Achtzehnjährige leise und eröffnet mit dem Instrumentalstück “Turbine Womb”. Mit einem leisen Lächeln geht sie direkt ins nächste Stück „Cynthia“ über. Ganz in schwarz sitzt die österreichische Songwriterin an ihrem Flügel, trinkt nach jedem Lied aus ihrem Wasserglas und zieht stille hoffnungsvolle Blicke auf sich. Die tragenden Klaviermelodien, ihre Zeilen, alles klingt wie die Studioaufnahmen.

Nach dem ruhigen Einstieg wird man bei „Fall Foliage“ erstmals auf die Boxen, die oberhalb der Bühne hängen, aufmerksam. Minimalistische Elektronik schallt in den Saal, sanfter Nebel umhüllt Soap&Skin. Im Licht wirkt sie blass. Sie versteckt sich nicht und keine ihrer Bewegungen wirkt unbewusst. In „Cry Wolf“ tönen klackernde Tonschnipsel und Vogellaute. Mit sehr hoher Stimme und weinerlichem Gesichtsausdruck heult sie wirklich wie ein Wolf. Sie spielt sich durch die Stücke ihres Debüts „Lovetune For Vacuum“ und wenngleich die Lieder gefühlvoll und gelungen präsentiert werden, bleiben sie doch ein wenig unspektakulär.

Soap&Skin – Studio 2 Session (live und Interview)

Doch dann eilt das dünne Mädchen von der Bühne. Sie nimmt den längeren Weg hinter den Vorhang. Im Dunkeln läuft die Soundcollage „DDMMYYYY“. Das weiße Licht hat sich in rotes verwandelt, Rauch schwebt über die Bretter. Soap&Skin kehrt zurück, wirkt ein wenig orientierungslos. Sie läuft schreiend über die Bühne, schaut um sich, als würde sie etwas suchen. Am Klavier erzeugt sie einen hämmernden Sound und endlich kommt alles, was man bis dahin vermisste. Das Mädchen ist präsent, die große Oper beginnt.

Mit einer meldenden Handbewegung bestellt sie ihr weißes Licht zurück und unterdrückt ein Schmunzeln. Routiniert spielt sie ihre Klaviernoten zu „Thanatos“ und packt ihr Publikum. Sie ist konzentriert und ihre Mimik wirkt viel erwachsener als noch zuvor.

Der Applaus wird stets kurz gehalten. Man will mehr hören. „Danke, dass ihr alle gekommen seid“, sagt sie herzlich und das Lachen in den Reihen, dieser Moment, bestätigt ein durch die Medien vorgeformtes Publikum. Ein jeder hat die Erwartungshaltung des schüchternen Mädchens, das nicht spricht und scheint zu wissen, wie sich das viel diskutierte “Wunderkind” verhalten wird. Doch weiß man nie, wie man ihre Blicke zu deuten hat.

„Warum ist das lustig?“ fragt sie und spielt sofort wieder, ihr wohl eingängigstes Stück „Spiracle“. Neue Facetten dringen nun in ihre Lieder. Ein lautes Schreien, höhnisches Lachen und Atmen. Mitten im Lied hört sie plötzlich auf, greift ans Mikrofon und dreht den Kopf nach unten. Ein kurzes Klatschen setzt ein, doch ihre Handbewegung demonstriert, man solle aufhören. Sie setzt neu an. Mit weit geöffnetem Mund, aus dem expressiver Gesang dringt, und von besinnlichem Klavierspiel untermalt, beendet sie das Stück: „I Was A Child, I Was A Child, I Am A Child“.

Soap&Skin – Spiracle (live)

Sie bedient ihren Laptop, verlässt erneut die Bühne, um kurz darauf mit dem tragischen „Marche Funèbre“ wieder einzusteigen. In einem Lichtkegel am vorderen Bühnenrand singt sie sich an ihren Höhepunkt. Sie wirkt kindlich, die Wucht der Stimme hingegen überwältigend, fast einschüchternd. Sie tritt in und aus dem Lichtkegel und bewegt sich im Takt der Marschmusik. Das Licht geht aus. Es ist zehn vor zehn. Plötzlich nimmt Soap&Skin die bis dahin unbeachteten Blumen aus den Vasen. Mit einem frechen Blick verteilt sie ihre Lilien, bevor sie für zwei weitere Stücke an den Flügel zurückkehrt, um sich endgültig mit Zeilen wie “You Are Beautiful And You Are Alone“ zu verabschieden.

Soap&Skin – Afraid (Cover)

Nachdem man sich vor dem Konzert im Dialog darüber befand, wieviel von Soap&Skin zu sehen sein wird, ist man danach in erster Linie wohl beeindruckt von ihrem rätselhaften Spiel. Sie hat einen großen Bogen zwischen unauffällig und mitreißend gespannt. Irgendwo dazwischen war sie sympathisch und das Gehörte wirr und faszinierend zugleich.

Jasmin Hollatz