Miese Soloreleases, Best-Of-Scheibe, unveröffentlichter Song und jetzt ein Livealbum. Es könnte merklich bessere Voraussetzungen für das neue Studiowerk der Kulttruppe geben. „Live on I-5“ treibt den Zwiespalt auf die Spitze.

In den Neunzigern gehörten Soundgarden zur Speerspitze der Grunge-Bewegung, die aus Seattle über die Musikwelt hereinbrach und schlagartig einen Paradigmenwechsel auslöste. Grunge bedeutet Dreck, der fortan zum neuen Ideal der Klangästhetik erhoben wurde und dem Genre mit „Badmotorfinger“ und „Superunknown“ gleich zwei unvergessliche Schlüsselwerke bescherte. Wie auch bei Alice in Chains dominiert der Einfluss des Heavy Metal das akustische Geschehen und prägt die Spielrichtung nicht zuletzt durch Chris Cornells übernatürliches Stimmorgan nachhaltig. Spätestens mit der Hitsingle „Black Hole Sun“, steigt das Vierergespann aus Washington 1994 endgültig in den Rockolymp auf.

Soundgarden – “Black Hole Sun”

Doch wie so oft folgt auf den Zenit der traurige Zerfall der Ikonen, sodass es drei Jahre später zum scheinbar endgültigen Split kommt und die Musiker fortan getrennte Wege gehen. Mit der Jahrtausendwende gehören Soundgarden zu den raren Helden einer musikalischen Blütezeit, die unwiderruflich Geschichte ist. Doch für Frontmann Chris Cornell scheint mit Anbruch der neuen Dekade ein neuer Stern zu steigen: Audioslave. 75% Rage Against the Machine + 25% Soundgarden verschmelzen zu einer der großartigsten Supergroups überhaupt, doch leider bleibt der wirkliche Durchbruch des Quartetts aus und auch die Fachpresse ist geteilter Meinung. 2007 kommt es zu einem Deja-vu, denn wieder trennt sich Cornell aufgrund musikalischer Differenzen und internen Streitereien von seinen Weggefährten. Bald darauf scheint man Zeuge des traurigen Niedergangs eines phantastischen Musikers zu werden, der 2009 mit seinem Drittwerk auf Solopfaden einen Höhepunkt der Belanglosigkeit erreichen sollte. In Zusammenarbeit mit dem Hip-Hop/R&B-Produzenten Timbaland entstand die grauenhaft-leblose Singelauskopplung „Part Of Me“ und Chris Cornell scheint seine glanzvolle musikalische Vergangenheit für ein paar Mark unter 08/15-Beats und stumpfsinnigen Lyrics zu begraben.

Chris Cornell – “Part Of Me” (produziert von Timbaland)

Ein Jahr nach dem Flop von „Scream“ folgt nun im letzten Jahr die Nachricht der Soundgarden-Reunion, die ebenso authentisch erscheint, wie Angela Merkels Sinneswandel in Punkto Kernenergie. Es kommt was kommen muss: Mit „Telephantasm“ erreicht uns im Herbst letzten Jahres der Klassiker unter den Lückenbüßern – Eine Best-Of Kompilation. Auch der aufgewärmte und bis dato unveröffentlichte Song „Black Rain“ kann nur wenig begeistern. Lediglich mit einem miesen Trick schafft es die Scheibe zu Goldstatuts: Gekoppelt an das Videospiel Guitar Hero wird es den Kids einfach als Gimmick zwangsofferiert. Nun folgt ein Live-Album und das Ausschlachten scheint längst einen neuen Gipfel der Dreistigkeit erreicht zu haben. Die Beweislage scheint erdrückend, das Motiv klar: Ebbe in der Kasse.

Doch bereits nach wenigen Rotationen im CD-Player des Rezensenten, wendet sich das Blatt schlagartig. Nicht nur das Cover vermittelt einen Lichtblick, sondern vor allem die Authentizität der Darbietung. Glasklare Produktion geht einher mit dem rauen, ungehobelten Charme der Konzertatmosphäre. Altbekanntes Hitmaterial wie „Spoonman“ oder „Jesus Christ Pose“ tönt überaus kraftvoll aus den Lautsprechern, während Cornells Soloperfomance von „Black Hole Sun“ ein Ausnahmemaß an Gefühl und Dynamik erreicht. Der Hörer wird Zeitzeuge großartiger Konzertmitschnitte die in Städten entlang des Interstate 5, einem Highway an der amerikanischen Westküste, entstanden. Die Anzeichen eines halbherzigen Comebacks scheinen vergessen und schnell macht sich Vorfreude auf das angekündigte neue Studioalbum breit.

Erklärtes Ziel für 2011: Ein neues Soundgarden-Album, die Band im Studio in Seattle.

Dann folgt Ernüchterung: Es handelt sich keineswegs um aktuelle Aufnahmen, sondern uneingeschränkt hörenswerte 78 Minuten aus dem Jahre 1996. Die wenigen Auftritte der Band aus dem letzten wurden in namhaften Musikmagazinen in höchsten Tönen gelobt und werfen die entscheidende Frage auf, ob man sich mit „Live On I-5“ nostalgisch den Spiegel vergangener Glanzzeiten vorhält, oder tatsächlich an die gebotene Klasse anknüpfen kann. Ob es nun tatsächlich einen zweiten Frühling gibt, bleibt also abzuwarten.

Matthias Ziegenhain

VÖ: 18.03.2011

Label: Geffen

Tracklist:
01. Spoonman
02. Searching With My Good Eye Closed
03. Let Me Drown
04. Head Down
05. Outshined
06. Rusty Cage
07. Burden In My Hand
08. Helter Skelter (Beatles Cover)
09. Boot Camp
10. Nothing To Say
11. Slaves And Bulldozers
12. Dusty
13. Fell On Black Days
14. Search And Destroy (Stooges Cover)
15. Ty Cobb
16. Black Hole Sun
17. Jesus Christ Pose