Surfin’ Safari durch 50 Großkonzerte und ein neues Album – Brian Wilson und die Beach Boys sind wiedervereinigt und wollen es noch einmal wissen. 

Wer immer mal einen ordentlichen, halbwegs unkonventionell geschriebenen Krimi abseits des üblichen Psychothriller-Einerlei schmökert, dem dürfte in letzter Zeit Don Winslow ein ganz guter Begleiter gewesen sein. Der schreibt über Mord und Totschlag, mexikanische Drogenkartelle und die ortsüblich etwas provinzielle Mafia von San Diego. Vor allem aber schreibt er immer auch über das Laissez-faire-Lebensgefühl am kalifornischen Strand, über die Typen, die dessen zahlreiche Surfspots mehr oder weniger bewohnen und für die kein erstrebenswertes Leben östlich der Interstate 5 existiert. Bei Winslow gibt es die “Gentlemen’s Hour”, die Zeit, in der die jungen Wilden ihren Frühmorgenturf schon hinter sich haben. Dann treffen sich die Alten, die Legenden, die es nicht mehr nötig haben, irgendwem zu beweisen, wie cool sie sind, und die deswegen eigentlich eher auf ihren Longboards schaukelnd herumphilosophieren, statt jede dahergelaufene Welle zu reiten. Nur ab und an schwingt man sich auf, aus purer Lust und Laune.

Es gab eine Band, die könnte man als die “Gentlemen’s Hour” der Popmusik ansehen, die Traveling Wilburys, jene All-Star-Band aus Bob Dylan, George Harrison, Tom Petty, Jeff Lynne und Roy Orbison, die Ende der Achtziger zwei sehr gutlaunig klingende, zwanglose Alben einspielte. Keine große Sache waren die, eher eine Art Fingerübung und sowieso keine musikhistorischen Meilensteine. Wozu auch, nötig hatte es keiner mehr von ihnen und genau das macht den Reiz aus. Gewiss gut hineingepasst in diese Runde gesetzter Herren hätte Brian Wilson, der schon in den ganz frühen Sechzigern als Genie galt und zur Zeit der Traveling Wilburys gerade damit beschäftigt war, sich endgültig von seiner Band The Beach Boys loszusagen, die – und das darf man dann getrost als eine böse Pointe der Musikhistorie ansehen – kurz darauf ohne ihn ihren nach üblichen Chartsmaßstäben größten Hit überhaupt landen konnten. Heute ist “Kokomo” völlig zu Recht wieder in der Versenkung verschwunden, während die großen frühen Brian Wilson-Songs ein halbes Jahrhundert praktisch unbeschädigt von Zeitgeisteinflüssen überstanden haben.

Das lässt sich vom eigentlichen Lebensprojekt Wilsons nicht sagen, der sein als Überwerk gedachtes “Smile” nie wirklich fertigstellte, jedenfalls nicht zu seiner Zeit, also in den Sechzigern vor dem endgültigen Durchbruch des Flowerpower-Freigeistes. (Kurzfristig die Headliner-Teilnahme am Monterey Pop Festival 1967 abzusagen, darf – nebenbei bemerkt – auch als eine der verfehltesten Entscheidungen der Popmusik gelten.) Ein Geister-Album war “Smile” vier Jahrzehnte und erst vor einigen Jahren – Wilson hatte seine ewige Abneigung gegen Live-Bühnen dann doch überwunden und führte es konzertant auf – konnte man feststellen, dass „Smile“ ein toller Mythos war – allerdings auch eine Art Seifenblase der Popgeschichte, faszinierend schillernd, solange man ihr nicht zu nahe kam. Als “zu gewollt” könnte man das bezeichnen, ein Urteil, dem gerade in der Popmusik mehr noch als in anderen Kunstsparten der Makel des Widernatürlichen anhaftet. Objektiver betrachtet war es schlicht ein Ding der Unmöglichkeit, das ultimative Pop-Album zu erschaffen – das hatte Wilson ja schon getan, auch wenn das erst lange nach den Sechzigern so richtig deutlich wurde. Bis heute gilt „Pet Sounds“ in einschlägigen Best-Of-Listen angestammter Musikmagazine als eines der, oft genug als das wichtigste Album der Popgeschichte.

“Do It Again” heißt natürlich wohlberechnet der Song, den die Beach Boys – so gut, wie es mit einigen Toten im Original-Lineup halt geht, wiedervereinigt – 2011 neu eingesungen haben. 70 wird Brian Wilson in diesem Jahr und so recht traut man dem im Videoschnipsel aus den Capitol Studios zu hörenden vierstimmigen Satzgesang dieser gegenwärtigen Beach Boys nicht über den Weg, der so unbeschädigt makellos klingt, ohne jede Spur einer doch irgendwie erwartbaren Altersabnutzung. Zu schön, um wahr zu sein, könnte man meinen – indes: man muss ja gar nicht spekulieren und wenn es einen Grund gibt, sich die Grammy-Verleihung am 12. Februar anzuschauen, dann sind es diese Beach Boys, die sich dort erstmals live vorzeigen, bevor es dann auf die angekündigte große “50th Anniversary Tour” geht, von der bisher allerdings nur drei Termine bekannt sind, zwei davon in deutschen Großhallen à la Berliner O2-Arena. Deutlich sympathischer ist das eigentliche Eröffnungs-Konzert beim “New Orleans Jazz & Heritage Festival”, einem riesigen Musikhappening im April, das so ziemlich das einzige Open Air der Saison sein dürfte, das es sich leisten kann, eine Band wie die Foo Fighters erst auf Platz vier der Headliner zu notieren, hinter Trombone Shorty, den Eagles oder Tom Petty und sogar noch einen Slot vor den Beach Boys.

50 Konzerte sollen es am Ende werden, danach will sich Brian Wilson endgültig aufs Altenteil zurückziehen. Schwer vorstellbar, dass der zeitlebens als Perfektionist bekannte Wilson das irgendwie locker nimmt, als eine persönliche “Gentlemen’s Hour”. Ob man sich die Beach Boys inmitten eines Oldies-Show-Publikum in irgendeiner O2-Arena dieser Welt überhaupt noch einmal live anschauen möchte oder ob man das angekündigte neue Album wirklich hören möchte, muss eh jeder mit sich selbst ausmachen. Vielleicht holt man sich statt dessen doch lieber noch das große “Pet Sounds”-Boxset. Der letzte überlebensgroße Pop-Artist, der – für seine Kondition unglaubliche – 50 Großkonzerte angekündigt hat, war übrigens Michael Jackson. Glücklich wurde er damit bekanntermaßen nicht.

Augsburg