Es hätte alles ganz anders kommen können. The Veils bekamen vor zehn Jahren die große Chance zum Durchbruch und scheiterten trotzdem an den Regeln des Erfolgs. „Time Stays, We Go“ nennt sich ihr nunmehr viertes Album und Frontmann Finn Andrews erklärt im motor.de-Interview, warum die zweite Reihe im Music-Business auch ganz angenehm ist.

„Ich konnte damals ein Arschloch sein“, entschuldigt sich Finn Andrews zur Begrüßung auf die Anmerkung hin, man habe sich bereits vor zehn Jahren schon einmal zum Interview getroffen – damals, als der NME in England den Hype um seine Band The Veils gerade angekurbelte, die ersten Vergleiche mit Placebo die Runde machten und MTV die Ballade „Lavinia“ im Stunden-Rhythmus rauf und runter spielte. Alles schien auf Erfolg getrimmt, die Kritiker waren sich einig, nur leider versackten The Veils in internen Querelen. „Im Grunde genommen war das erste Album kein richtiges“, erinnert sich Andrews rückblickend, „über vier Jahre habe ich daran gearbeitet, immer wieder kam etwas dazwischen und als dann endlich alles im Kasten war, hatten wir bereits drei Produzenten verschlissen und verstanden uns untereinander nicht mehr. Du kannst quasi sagen, bevor es losging war die Luft raus.“

Es folgten Line-Ups-Wechsel und immer neue Plattenfirmen, Andrews versuchte redlich die Karre aus dem Dreck zu ziehen, verzettelte sich aber stets aufs Neue und so richtig hatte man The Veils nicht mehr auf Schirm – bis jetzt. Mit „Time Stays, We Go“ veröffentlicht die Band erstmals auf dem eigenen Label Pitch Beats Records und kann dank diverser TV- und Kino-Einsätze in den vergangenen Jahren ein finanzielles Polster aufweisen, von dem sie zeitweise nur Nacht zu träumen wagten. Wäre zwischendurch nicht Andrews berühmter Vater Barry gewesen, seinerzeit Keyboarder der Wave-Pioniere XTC, wir würden heute das Thema The Veils wohl nicht behandeln. „Er half mir anfänglich bei den Songs, stellte Kontakte her und schoss irgendwann die Kohle für die Albumproduktionen vor – weil mein Dad an mich glaubt und das gab und gibt mir die größte Kraft zum Weitermachen.“

Ein motor.de-Interview über die Irrungen und Wirrungen des Musikerdaseins, persönliche Verfehlungen eines Band-Leaders und wie die Zukunft einer Formation aussieht, die es eigentlich längst hätte schaffen müssen.

motor.de: Erfreulich, der NME hält euch weiterhin die Treue und sprach in der Kritik zum letzten Album „Sun Gangs“ von The Veils als eine der meist unterschätzen Bands der Gegenwart – siehst du das auch so?

Finn Andrews: Naja, ich selbst kann das schlecht einschätzen, merke bei Interviews aber oft, dass die Redakteure von unseren Alben positiv überrascht sind – so Richtung: Das hätte ich gar nicht erwartet! Insofern werden wir vielleicht unterschätzt, sind aber genauso Schuld daran.

motor.de: Als wir vor zehn Jahren das erste Interview hatten, saß ein ziemlich abgekämpfter, aber vor Selbstvertrauen strotzender Finn Andrews vor mir. Was lief danach schief?

Finn Andrews: In erster Linie war ich verdammt jung – einige Tracks auf „The Runaway Found“ entstanden im Teenageralter und als wir uns trafen, war ich gerade einmal 19 Jahre alt. Da hast du keine Ahnung von dem ganzen Kram und wirst trotzdem mit der Situation konfrontiert, dass jeder alles besser weiß. Ich wollte damals das Album unbedingt veröffentlichen und habe bald gemerkt, dass das keine gute Idee war. Ich mag die Songs inzwischen überhaupt nicht mehr und sie brachen The Veils in tausend Stücke.

motor.de: Dein Vater Barry ist ein alter Hase im Business und hätte dich warnen können?

Finn Andrews: Manche Leute lassen sich halt nichts sagen, so wie ich einst. Jeder Mensch, der dir einen Ratschlag gibt, braucht deine Aufmerksamkeit – als Fast-noch-Teenie gab ich ihm die nicht.

motor.de: Inzwischen sieht es wieder gut aus, ein einiges Label plus neues Album am Start. Wie sehr halfen die Einsätze eurer Songs in Film und TV – und: Wie sieht dein Vater diese Entwicklung? Gerade als jemand, der noch vom Geld einer Plattenfirma mit XTC leben konnte?

Finn Andrews: Dad war ja nie richtig raus aus dem ganzen Musikding und produziert immer noch Künstler – ein wenig strange findet er es trotzdem, denn man darf nicht vergessen, dass er mit seinen Kollegen Mitte der 80er zum Label fuhr und die Möglichkeit bekam, die nächste Platte auf den Bahamas aufzunehmen. Unvorstellbar heute, aber neidisch bin ich nicht: Wir haben damit verglichen weniger Druck.

motor.de: Der Titel des aktuellen Albums „Time Stays, We Go“ klingt nach Aufbruch – waren die Aufnahmen gefühlsmäßig anders?

Finn Andrews: Definitiv, spätestens seit „Sun Gangs“ empfinde ich The Veils nicht mehr nur als mein Projekt, sondern als richtige Band. Das gibt dir als Songwriter eine gewisse Freiheit, weil du nicht alleine für alles verantwortlich bist, sondern auf eine Routine zurückgreifen kannst, die Freiräume und Sicherheiten herstellt. Alle sind mit ihren Ideen beteiligt und das fehlte anfangs völlig.

motor.de: Die LA Times bezeichnet die Songs als das Beste, was in diesem Jahr bislang veröffentlicht wurde. Freut dich solch Zuspruch immer noch?

Finn Andrews: Klar, wichtiger ist mir aber der Zuspruch unseres Publikums.

motor.de: Das habt ihr erstaunlicherweise halten können. Die Fans von The Veils scheinen eine sehr loyale Community zu sein.

Finn Andrews: Die kamen selbst nach allem Auf und Ab zu unseren Gigs und hielten die Treue. Allein deswegen spielen wir überhaupt noch die Tracks der ersten Platte – als Geschenk. Ich würde gerne darauf verzichten, weiß aber, dass das nicht geht.

motor.de: Passenderweise findet sich mit „The Pop & The Snarl“ auch gleich ein Lied auf „Time Stays, We Go“, das wie ein Resümee der letzten Jahre wirkt. Du warst dir allerdings nicht sicher, ob der Track überhaupt veröffentlicht werden soll.

Finn Andrews: Selbstreferenzielle Lyrics haben immer das Problem, dass sie sich zu sehr im eigenen Kosmos verlieren können. Soll heißen, du singst über ein bestimmtes Thema, dass dann am Ende nur dich aber niemanden sonst berührt. Es ist nicht so, dass The Veils sich abseits dessen auf Allgemeinplätzen aufhalten, aber „The Pop & The Snarl“ ist schon etwas sehr spezielles: Mir ging es niemals darum ein berühmter Musiker zu werden, denn ich sah bei meinem Vater welche Schattenseiten das haben kann.

motor.de: Gab es jemals einen Plan B für dich?

Finn Andrews: Mit zwölf fing ich an Songs zu schreiben, mit 18 unterschrieb ich den ersten Plattenvertrag – nein, mein Talent ist einzig und allein hier zu finden. Insofern ist es für mich besser, wenn der NME uns als meistunterschätzte Band bezeichnet, als behauptet, wir hätten nichts auf dem Kasten. Das wäre schlimmer, würde ich meinen.

Text + Interview: Marcus Willfroth

The Veils – Tour 2013:

12.06.13 Berlin – Bi Nuu
13.06.13 Hamburg – Molotow
14.06.13 Frankfurt/Main – Das Bett
15.06.13 München – Atomic Café