Ich will nicht Recht haben, ich will gewinnen oder zumindest sehen, dass es funktioniert. Das Prinzip ist immer das gleiche, egal ob es um Fußball oder Politik geht. Ich kann vor der WM noch so sehr auf den Trainer und seine Mannschaftsaufstellung schimpfen, stehen die Mädchen oder Jungs erstmal auf dem Platz, will ich, dass wir gewinnen und Weltmeister werden. Mein Geschwätz von gestern interessiert mich wenig, wenn ich stattdessen jubeln darf. Genauso können mir das Programm und die Protagonisten einer Parteienkonstellation noch so suspekt sein, sind sie erstmal an der Macht, will ich, dass sie im Sinne unseres Landes funktionieren.
In der Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Telekom war das nicht anders. Das Medienboard und media.net hatten eingeladen, Kulturstaatsminister Neumann stellte sich den Fragen der rbb Intendantin Dagmar Reim. Der Saal war voll und die Anwesenden waren genauso wie ich voller Erwartung. Neumann legte furios vor. Mutig stellte er fest, dass Kulturförderung die beste Form von Wirtschaftsförderung sei und lieferte Belege mit Zahlen aus dem Filmgeschäft. Für seine Sache machte er Freund und Feind nicht an Parteigrenzen fest. Den größten Rüffel bekam Hamburg, wo alle Kulturetats vom CDU Bürgermeister Ole von Beust im letzten Jahr abermals drastisch gekappt wurden. Ein dickes Lob bekam hingegen Klaus Wowereit dafür, verstanden zu haben, dass Kulturkürzungen in den Krisen nichts bringen und Förderung im Gegenteil Zukunft sichert.
Kulturstaatsminister Bernd Neumann
Neumann, dem man nachsagt ein schlechter Redner zu sein war charmant und vor allem in seinen Themen sattelsicher. Man musste nicht immer seiner Meinung sein, aber man merkte, dass er in Fragen von Film, Musik, Radio und TV eine hat und diese verteidigen kann. Vermutete man ursprünglich, das Amt sei Belohnung für einen alt gedienten Parteisoldaten und Zögling Helmut Kohls gewesen, musste man nun den Eindruck gewinnen, er sei zumindest in dieses hineingewachsen. Es wurde im Publikum gelächelt, ich habe geklatscht, alles ging so lange gut, bis das Thema aufs Internet kam.
Der übliche Politiker Auftakt: Google war schnell als Feind ausgemacht. Neumann mochte gar nicht, dass die Leute von der Suchmaschine Bücher digitalisieren, ohne vorher zu fragen. Naja, wenn sie die Bayrische Staatsbibliothek einscannen würden und eine Kopie daließen, dann wäre das was anderes, so der Kultusstaatsminister. Irgendwie war ihm nicht klar, dass es gar nicht um das Digitalisieren sondern die Verbreitung des digitalen Guts im Diskurs mit Google geht. Auch die Definition einer Kopie verblüffte die Mehrheit der im und mit dem Internet arbeitenden Anwesenden.
Wenn es ums Gedruckte geht, hört der Spaß bei Neumann scheinbar auf. Die Logik aber auch. So stellte er ein für allemal klar, dass Internet zwar wichtig, Lesen hingegen wichtiger sei. Das Druckerzeugnis gehöre deshalb gefördert und geschützt. Hätte er mit der Bewahrung unseres kulturellen Gedächtnisses durch Erhalt einer alten Kulturtechnik argumentiert, hätte man nachvollziehen können, was vielleicht gemeint war. Demjenigen, der aber eben gerade Zeitungen und Blogs im Netz liest, hinterließ seine Verwechslung von Kanal und Nutzung deutlich verwirrt.
Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien schlingerte sich noch ein bisschen durch das Thema Apps (Applikationen von Websites die für das iPhone optimiert sind), die er in Verwechslung mit der Verkaufsplattform App Store als Appstars titulierte. Dann war das digitale Thema ausgestanden und alle stürzten sich auf die analogen Getränke und die analogen Häppchen. Wieder einmal hatte ein Politiker gezeigt, dass er das Thema vielleicht intellektuell, jedoch nicht emotional durchdrungen hat. Leider ist das die Regel, nicht die Ausnahme.
Zwei Paar Schuhe: App Store und Vodafone App Star Aktion
„Wenn das Volk kein Brot hat, soll es doch Kuchen essen!“ Der Satz, der Marie Antoinette zugeschrieben wird, beschreibt auch das Verhältnis von Politik und Internet. Das Problem ist erkannt, die Struktur die zu diesem führt jedoch nicht. Der Grund für das Missverständnis liegt darin, dass das Medium von den meisten Volksvertretern gar nicht aktiv genutzt wird. Klar – jeder schreibt Mails, aber wer lebt von denen denn zumindest auch aktiv in Social Communities wie Facebook und Co? Man kann sie an einer Hand abzählen.
Was zu abstrakt ist, dem kann ich aber nicht mit sinnvollen Positionen begegnen. Die Musikwirtschaft ist ein trauriges Beispiel dafür. Mein Chef bei Universal hatte bis zum Schluss kein Internet und diktierte seine Mails der Sekretärin. Gleichzeitig entschied er die online Strategie des Unternehmens. Auf die Frage in einer Sitzung der Vorstände der hiesigen Musik-Branche, wer denn schon mal das damals noch als P2P Service aufgestellte Napster genutzt habe, erntete ich Unverständnis statt Eingeständnis. Keiner hatte sich scheinbar je damit beschäftigt. Der Geschäftsführer des Bundesverbandes Musikindustrie hat jetzt immerhin einen Twitter-Account. Dort postet er aber nicht und hat zudem nur einen, dessen Tweets er folgt: mich…
Das ist traurig, aber auf Dauer keine Entschuldigung für Wirtschaft und Politik. Beide sind aufgefordert sich mit dem Lebensstil zu beschäftigen, der einen wichtigen Teil ihrer Kunden oder Bürger umtreibt. Tun sie es nicht, entgleitet ihnen das Klientel. Sie selbst werden dadurch obsolet. Das mag im Bereich der Wirtschaft schmerzhaft aber verkraftbar sein, ist gesellschaftlich hingegen bedenklich, wenn es um Politik geht. Schließlich will man, dass die noch etwas mit der eigenen Lebenswirklichkeit zu tun hat und funktioniert.
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