Digitalisierung führt dazu, dass Nutzer und Produzenten auf Augenhöhe sind. Prinzipiell ist das die Grundlage einer jeden guten Beziehung. Ausgerechnet die Konzerne der Kreativwirtschaft tun sich aber schwer damit, ihren Kunden eine freie Nutzung ihrer Produkte zu gewährleisten. Sie möchten das Ende der Kontrolle nicht akzeptieren. Die Regierung gibt ihr sogar noch Flankenschutz. Absurd, denn streng genommen ist dies das Gegenteil einer Nachfrage-orientierten Wirtschaftspolitik. Die Content-Wirtschaft bedroht mit der Weigerung, zeitgemäße Angebote zu schaffen, ihre eigene Existenz.

Seit 8. Juni 2011 Geschichte – die Video-on-Demand-Website kino.to

Egal ob man Autor, Interpret, Verlag, Label, oder Sender ist – das Gefühl die Kontrolle zu verlieren, ist immer ein wenig bedrückend. Das ist verständlich, denn das, was man geprägt, produziert oder mitentwickelt hat, möchte man ungern loslassen. Jeder hat das schon erlebt. Mir ging das zuletzt am vergangenen Montag so. Meine Tochter stand mit Umzugskarton und Freund vor mir und winkte schüchtern. Als die Tür ins Schloss fiel, fühlte sich das ziemlich merkwürdig an.

Die Kleine ist 18 und somit habe ich keine Kontrolle über ihr Leben mehr. Ich kann versuchen, es in Form von Sanktionen zu regulieren: Man könnte den Wohnungsanteil des BAföG-Satzes streichen, den sie ab jetzt erhält, wenn die Noten nicht stimmen. Man könnte die Kfz-Versicherung, die ihre Mutter übernommen hat, kappen, wenn man merkt, dass da Drogen oder ganz viel Alkohol ins Spiel kommen. Aber wird das wirklich helfen und nicht viel eher Trotzreaktionen provozieren? Geht es nicht darum, Angebote zu machen und Liebe zu geben, wenn man nicht völlig den Zugriff verlieren will?

Vier Tage nach meiner Tochter zogen 250 Bundesbeamte aus. Unterstützt von Kollegen in Spanien und Frankreich suchten sie nach den Servern und Verantwortlichen von kino.to. 13 der 21 mutmaßlichen Macher des Portals wurden verhaftet. Diese haben daran verdient, bessere Verbindungen zu ihrem illegal gesammelten Angebot zu verkaufen. Drei Tage verbesserten Zugriff für 99 Cent als Schnupperangebot, einen Monat für 6,99 Euro. Viele der täglich ca. vier Millionen Nutzer haben gezahlt, damit die Filme schneller luden oder nicht gar mittendrin abbrachen. Deshalb und nicht aus Altruismus wurde die Plattform betrieben.

Keine Filmspielwiese mehr – seit ein paar Tagen wird der Internetnutzer auf strafrechtliche Verfolgung aufmerksam gemacht.

Wenn Dritte auf Kosten von jemandem Geld verdienen wollen, sind sie keine Kunden. Verständlich, dass man sich dagegen wehrt. Ein jeder, der aber abends im Bett lag und sich „Four Lions“ oder andere, aktuelle Filme über kino.to streamen ließ, ist jedoch ein potenzieller Kunde. Erst recht, wenn man sogar bereit war, für den Erwerb einer besseren Verbindung Geld zu zahlen. Diese potenziellen Kunden zu bedrohen, wie es ein von der GVU (Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen) mandatierter Anwalt flugs vor den Kameras tat („Abmahnungen á 100.- Euro zuzüglich einer Leihgebühr von weiteren 10 bis 20 Euro“), ist schlichtweg fahrlässig. Statt einer Geschäftsbeziehung provoziert man so nur Widerstand.

Richtig wäre statt dessen, auf Seiten der Produzenten zu akzeptieren, dass man keine Kontrolle mehr darüber hat, wer wann welchen Film schaut, und den Kunden ein Angebot zu machen, so wie es kino.to getan hat. Mit der Zusicherung besserer Qualität und rechtlicher Sicherheit kann man damit garantiert auch bessere Preise erzielen, als es kino.to tat. Die reine Existenz der Plattform, die man lahm legen musste, beweist, dass ein Markt da ist. Diesen nicht wahrzunehmen, ist Betrug an allen anderen (zum Beispiel auch den staatlichen Filmförderern), die Rechte an dem Werk erworben haben. Es treibt potenzielle Kunden in die Illegalität und schneidet Erlösberechtigte von potenziellen Einnahmen ab. Verbote ohne Angebote funktionieren nicht bei Volljährigen.

Bei Staatsminister Neumann ist diese Erkenntnis noch nicht angekommen. Komisch, dabei hat der Mann selbst zwei Kinder. Vielleicht sind die noch nicht erwachsen, oder der Druck der Urheberlobby auf ihn und seine Partei ist einfach zu groß. Vor den versammelten Konzern- und Interessensvertretern verbeugte er sich am 24. Mai bei der CDU Media-Night mit Sätzen wie „Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken (…) kann nicht gewährt werden, in dem das Urheberrecht in ein Verbraucherrecht umgedeutet wird.“ Oder: „Vorschläge wie die Einführung einer Flatrate oder jüngst die einer Kulturwertmarke sind abzulehnen.“

Frank Briegmann (Präsident Universal Music) und Angela Merkel auf der CDU Media Night 2011 – Foto: Universal

Den Kunden (Verbraucher) nicht mit dem Anbieter (Urheber) gleichzustellen, ignoriert jegliche Prinzipien der Marktwirtschaft. Lösungsmöglichkeiten nicht durchzudenken, obwohl sie als Wünsche des Marktes artikuliert werden, kann sich niemand erlauben, der ein Geschäft machen will. Bernd Neumann muss ja auch gar keine Geschäfte machen, aber er sollte als Politiker versuchen, diejenigen zu schützen, deren Geschäfte verhindert werden. Nicht diejenigen verhindern Geschäfte, die Lücken im digitalen Angebot wahrnehmen, sondern Konzerne, die als Intermediäre an ihrem Kontrollstreben festhalten. Wer bestimmen will, wann ein Film auf dem PC zu sehen, ein Artikel auf dem Computer zu lesen oder ein Song zu downloaden ist, ignoriert die Fakten der Digitalisierung und schädigt dadurch Produzenten, Autoren, Interpreten und viele andere Kreative.

Den Content-Konzernen werden Rechte an Werken von Kreativen übertragen, damit sie diese kommerziell auswerten. Verhindern sie diese Auswertung, indem sie die legalen Zugänge nicht oder zu spät ermöglichen, verhindern sie Geschäft und erfüllen somit nicht ihren Vertrag mit den Künstlern. Der einzige Markt, in dem der zuerst von der Digitalisierung betroffene Musikmarkt seit 2010 wächst, ist Schweden. Dort erlauben es Musikverlage und Plattenfirmen einem Streaming-Dienstleister (Spotify), alle Titel legal verfügbar zu machen, sobald sie das erste Mal im Radio aufgeführt werden. Finanziert wird das Angebot durch Abos oder Werbung. Spotify ist somit eine Art kino.to für alle. Die Flatrate Spotify generierte im letzten Quartal fast die Hälfte des Umsatzes des schwedischen Musikmarktes. Als Musiker und Autor müsste man in der Konsequenz seinen Verlag oder sein Label nötigen, zu kompensieren, was man an Einnahmen verliert, weil noch keine gleichwertigen Dienste (das deutsche Simfy kann ob der Politik der Konzerne in Sachen Repertoire und Vollständigkeit leider noch längst nicht mithalten) vor Ort ermöglicht werden.
Das deutsche Musikportal Simfy wurde 2009 gegründet und bietet derzeit über 8 Millionen Musiktitel an. Im Vergleich: Spotify verfügt über mehr als 13 Millionen Tracks.

Statt kino.to ohne Alternative lahm zu legen, als Staatsminister Flatrate und Verbraucherrechte abzulehnen, muss man die Rechteinhaber verpflichten, Angebote zu schaffen, die die Wünsche der Nutzer bedienen und zu einer Vergütung der Konsumenten führen. Der Wunsch der Konzerne den Markt und den Konsumenten über eine vierstufige Auswertung (Kinofilme) oder das Aufstauen von Bedarf (Musikcharts) voneinander zu entfernen ist legitim, aber nicht durchsetzbar. Geld verdient, wer seine Kunden gut bedient und nicht derjenige, der sie reglementiert. Ein Rest von Steuerung behält, wer Anreize und Bindung schafft. Apple macht das mit seinen Angeboten immer wieder vor und alle Leser dieses Blogs erinnern mich bitte dringend daran, wenn ich mich das nächste mal über meine undankbare, selbständige, älteste Tochter ärgern sollte.