Das Schweizer Fernsehen hat eine Sendung erfunden, die einer alten Neigung von mir nachgeht: In „Tonspur, der Soundtrack meines Lebens“ wird sich 30 Minuten Gedanken um die Playlist eines Prominenten gemacht. Man analysiert die jeweilige Persönlichkeit anhand der von ihr ausgewählten Titel, ohne dass man weiß, wer es ist. Eigentlich verabscheue ich Sendungen mit emotionalen Striptease und Quizshows sind auch nicht mein Ding, aber hier musste ich mitmachen. Der Musikgeschmack anderer Menschen hat mich schon immer interessiert. Zu sehen ist das jetzt in zehn Folgen immer Mittwochs um 22.25 auch auf 3 Sat.
Ich war auch früher schon notorisch neugierig. Betrat ich ein Mädchenzimmer, schaute ich mich erstmal ordentlich um. Klar, hing da ein großes Pferdeposter, brauchte man nicht weiter suchen: Als Junge wusste man, dass man jetzt nach Hause gehen kann. War die Liebe der Gastgeberin nicht auf Vierbeiner konzentriert, so gab die meist kleine Plattensammlung die wichtigsten, ersten Informationen. Sie wurde inspiziert, sobald sie Chips, Cola oder was auch immer aus der elterlichen Küche holen ging. Stieß man dabei zum Beispiel auf Barclay James Harvest, Tina Turner oder Toto war das eine klare Warnung, nicht zu viel Energie in die neue Bekanntschaft zu investieren: Dies würde keine lange Beziehung werden können.
Musik sagt mehr über einen Menschen aus, als so manchem recht ist. Der Gang zum Bücherregal ist bereits für jeden Gast hoch interessant. Allerdings hat sich der Gastgeber ganz bewusst mit dem beschäftigt was hier steht. Anders als Musik kommt Literatur nicht mal so nebenbei im Büro, auf Partys oder im Fahrstuhl daher. Man kann etwas im Hintergrund hören, aber nicht im Hintergrund lesen. Wer liest, hat immer auch eine Entscheidung getroffen. Das Bücherregal sagt deshalb mehr über die Wünsche denn die Wirklichkeit des jeweiligen Menschen aus.
Klar, eine Playlist, die den Soundtrack des Lebens darstellen soll, ist auch bewusst ausgesucht. Die Basis ist aber Musik, die sublimste aller Kunstformen, die sich in der eigenen Sammlung manifestiert hat. Ich gehe selbst bei einem abgefeimten Prominenten nicht davon aus, dass er etwas nennt, was er nicht auch selbst zu Hause im Plattenregal stehen, oder zumindest als File auf dem eignen Rechner hat. Insofern sagen die acht bis zehn Titel viel aus, manchmal auch Schockierendes.
Dass ein Schweizer Medienmacher eine Playlist hinlegt, die so auch in einem Mainstreamradio laufen könnte, überrascht genauso wenig, wie die geschmackvolle Auswahl eines Berliner Bandleaders und Literaten. Verzweifeln kann man aber hingegen, wenn ein Elektronik Pionier wie Yellos Boris Blank Black Eyed Peas „I’ve Got a Feeling“ auswählt, „weil der Einstieg so spannend ist“, oder den Klischee beladenen Steppenwolf-Titel „Born To Be Wild“ als Aufbruchssignal einer Generation verklärt. Wollte er uns, die ihn anhand der Liste analysieren, vorführen, oder interessieren ihn wirklich nur die Sounds und seinem Partner Dieter Meier die Inhalte?
„Tonspur, der Soundtrack meines Lebens“ gibt mir teilweise Rätsel auf, lässt mich Musik und die Persönlichkeiten, die sie ausgewählt haben, neu entdecken. Das finde ich spannend und etwas im Fernsehen spannend zu finden, ist mir außerhalb von Fußballwelt- oder Europameisterschaften schon lange nicht mehr gelungen.
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