Eingängige Melodien, grobe Riffs und fulminante Soli: Die Hard Rock-Urgesteine Van Halen kehren mit dem neuen Album “A Different Kind Of Truth” zu ihren Wurzeln zurück.

(Foto: Robert Yager)

Edward Lodewijk van Halen wird 1955 in den Niederlanden geboren. Die Musik wird ihm gewissermaßen in die Wiege gelegt, da sein Vater selbst ein begabter Pianist war. Nicht umsonst erhielt Edward seinen Beinamen vom großen Idol Ludwig van Beethoven. Also versuchte sich der kleine “Eddie” zunächst am Piano, doch erweist sich das Tasten-Instrument für ihn als wenig bühnentauglich. Denn Edward sucht seine Bestimmung im aggressiven Aufbegehren, nicht in filigraner Ästhetik. Um sich seinen Traum vom Rockstar-Dasein zu erfüllen, beginnt Eddie schließlich Schlagzeug zu spielen; allerdings lebt er im ständigen Schatten seines Bruders Alex, der ihm in jeder musikalischen Disziplin überlegen scheint. Ihm bleibt nur eine letzte Alternative: die elektrische Gitarre.

Wir schreiben das Jahr 1984: Inmitten der neuen Blütezeit der zweiten Generation von großen Rockbands im Sinne von AC/DC, Aerosmith oder Kiss, erobert ein Song weltweit die Charts. Es ist ein bescheidener, eingängiger Popsong, dessen Melodie noch für viele Jahre nach seiner Veröffentlichung im Hinterkopf schwirren sollte. Im Musikvideo sieht man ihn von einer wildgewordenen Gruppe mit langen Haaren und sonderbarer Kleidung voller Leidenschaft – wie man sie heute fast vergessen glaubt – performen. Der Sänger ist ein junger Blondschopf mit einer unglaublich charakteristischen Stimme. Dann gibt es einen Schlagzeuger mit Stirnband, der zum Takt nickt und einen charismatischen Bassisten, der die Füße einfach nicht stillhalten kann. Zu guter Letzt wäre da noch der sympathische Mann mit der schwarz-rot-weiß gestreiften Gitarre, der entgegen aller Erwartungen plötzlich ein Gitarren-Solo schreddert, das in seiner Spielweise keinerlei Ordnung zu unterliegen und dennoch an Perfektion vollendet scheint.

Van Halen – “Jump”


“Jump” ist die bis heute erfolgreichste Single der Band Van Halen. Der Song wurde erstmals auf dem Album “1984” veröffentlicht, das sich allein in den US-Staaten über zehn Millionen Mal verkaufen konnte. Die Formation um Sänger David Lee Roth ist zu diesem Zeitpunkt längst kein unbeschriebenes Blatt mehr: Bereits ihr selbstbetiteltes Debütalbum ließ sechs Jahre zuvor die Herzen der Musikliebhaber höher schlagen. Denn unter den Songs befand sich mit “Eruption” eines der besten Gitarrensolos aller Zeiten, gespielt mit schnellen Läufen, präzisen Tappings und von jeglichen Richtlinien befreit – das unverkennbare Markenzeichen des Eddie van Halen. Selbst Michael Jackson ist von soviel Power angetan und lädt den Ausnahme-Gitarristen ins Studio, um für seinen Megahit “Beat It” ein Solo einspielen zu lassen.

Mit “1984” unterzog sich die Musik von Van Halen erstmals einer Kommerzialisierung – weg von den harten Riffs der früheren Werke, hin zu radiotauglichen Rhythmen, die sich zwischen Synthie-Pop und dem typischen Arena-Rock präsentierten. Allerdings wechselte mit Sammy Hagar auch der Gesangspart, sodass der Band für vier weitere Alben ein kontrovers diskutierter Marathon bevorstand. Nichtsdestotrotz erzielten “5150”, “OU812”, “For Unlawful Carnal Knowledge” und “Balance” allesamt Platin-Status und konnten die Spitze der US-Billboard-Charts für sich beanspruchen.

Van Halen – “Panama”

Die Ablösung Hagars im Jahr 1998 durch Gary Cherone wird von vielen Theorien umrankt, bleibt bis heute jedoch ungeklärt. Sicher ist, dass “Van Halen III” das erste und letzte Album mit dem neuen Sänger sein soll, denn bereits ein Jahr darauf trennt man sich vom ehemaligen Extreme-Frontmann. Was folgt: Rausschmiss aus dem Label Warner Bros. Records und Eddies Krebs-Diagnose – ein schwerer Schicksalsschlag für den Gitarristen, von dem er sich erst 2002 vollständig erholen kann. Auch bleibt es trotz der kurzzeitigen Wiedervereinigung mit Sammy Hagar für viele Jahre ruhig um Van Halen.

Nach 14 Jahren ohne Album-Veröffentlichung und zwischenzeitlicher Aufnahme in die “Rock And Roll Hall Of Fame” ist es endlich wieder soweit: Van Halen melden sich mit ihrem neuen Langspieler “A Different Kind Of Truth” zurück. Mittlerweile hat Eddies Sohn Wolfgang – benannt nach Wolfgang Amadeus Mozart – Michael Anthony am Bass ersetzt und auch David Lee Roth singt erstmals wieder nach dem Megaseller “1984”. Schon die erste Single “Tattoo” entpuppt sich als geschmackssicherer Opener – rockige Riffs, Synchrongesang im Refrain und rücksichtslose Gitarrenarbeit von Eddie, wie man sie kennt und liebt. Dazu finden sich dreckige Rock’n’Roll-Rhythmen à la “Stay Frosty” oder auch ein “Eruption”-esker Einstieg in “China Town” – ein facettenreicher Rückgriff in den reichhaltigen Fundus von Van Halen, der beweist, dass sie nichts von ihrer charakteristischen Dynamik verloren haben.

Van Halen – “Tattoo”

Der Kreis schließt sich endlich wieder: Mit “A Different Kind Of Truth” haben Van Halen zu jugendlicher Spielfreude und neuer Stärke gefunden und lassen sich nichts anmerken: Dabei verkörpern die neuen Songs den Charme ihrer großen Hits, könnten gar zu ebenbürtiger Größe emporsteigen.

Tim Schedler

Van Halen: “A Different Kind Of Truth”

VÖ: 03.02.2012

Label: Interscope/Universal

Tracklist:

01. Tattoo
02. She’s The Woman
03. You and Your Blues
04. China Town
05. Blood And Fire
06. Bullethead
07. As Is
08. Honeybabysweetiedoll
09. The Trouble With Never
10. Outta Space
11. Stay Frosty
12. Big River
13. Beats Workin’