Man kennt das: Band gründet sich, Band veröffentlich Dinge, Band unterschreibt Plattenvertrag, Band tourt durch die Lande. Deers machen das anders. Die Spanierinnen Ana Garcia Perrote, Carlotta Cosials, Ade Martin und Amber Grimbergen scheinen selbst nicht recht zu wissen, warum sie eigentlich in wenigen Stunden im Antje Öklesund in Berlin auftreten. Schließlich haben sie bisher nur zwei Songs auf Soundcloud geladen, die dann – die Wege des Internets sind schließlich unergründlich – für jede Menge Online-Buzz gesorgt haben. Hype! Aber ist der auch berechtigt? These: Ja, er ist es. Wir haben Deers kur vor ihrem Auftritt in Berlin getroffen und Gründe dafür gesucht. Und gefunden.
Grund 1: Deers haben ziemlich interessante Lyrics.
In ihrem Song Trippy Gum (von der Demo-EP mit dem klangvollen Namen Demo) finden sich wunderbare Zeilen wie beispielsweise: „We’re trippy creepy floating over your land“. Was bedeutet das?
Ana: Wenn ich mir etwas tätowieren lassen würde, dann die Zeile. In Trippy Gum geht es um einen Abend, an dem wir Flyer für eine Bar verteilt haben.
Carlotta: Wir haben da immer gesagt: 'Hey, was hast du heute Abend vor, willst du nicht in diese Bar gehen?!' – 'Nein, danke'.
Ana: Naja, und dann haben wir uns dann wirklich betrunken, denn wir hatten Freigetränke.
Carlotta: Jede Menge Gin-Tonic, vier in einer Stunde! Und wir sind alle komplett wahnsinnig geworden.
Ana: Ja, und wir haben uns halt gefühlt wie „trippy creepy floating over your land“.
Klar, kennt man ja, so fühlt man sich doch öfter. Zumindest wenn man in den (übrigens ein wenig an die Mädels von Haim erinnernden) Köpfen von Carlotta und Ana wohnt.
Grund 2: Deers sind eine Verkettung wunderbarer Zufälle.
Deers sind die Königinnen der Randomness. Es scheint fast so, als habe ein genialer, aber verrückter Wissenschaftler in seinem Labor einen Bandgenerator gebaut und auf shuffle gestellt: Bei Deers scheint sich alles einfach so ergeben zu haben. Das wird bereits bei einem Blick in ihr Tumblr-Profil klar, aber auch an der Art und Weise wie die Rehkitze sich gefunden haben:
Carlotta: Pass auf: Sie [zeigt auf Ana] war die beste Freundin meines Ex-Freundes, der der beste Freund ihres Ex-Freundes war. Und sie [zeigt auf Ade] ist die Ex-Freundin meines besten Freundes. Und sie [zeigt auf Amber] ist blond. Passt super!
Stimmt.
Grund 3: Deers haben Spaß.
Ein Blick in das Video zu Bamboo („I need you to feel like a man when I give you all I am / I know you're not hungover today, you are classifying your cassettes") macht klar, um was es geht: Menschen, die Spaß haben. In diesem Fall Deers, die angeheitert durch einen Tag in ihrer Heimatstadt Madrid zu tanzen scheinen. Das Video sieht so aus, wie Bamboo klingt: Schrammelig, ineinander verwoben, und dabei absolut treffend. Auch wenn man nicht unbedingt weiß, was da getroffen wird, nur, dass es gut ist.
Carlotta: Ich habe gelernt Filme zu schneiden. Das haben wir dann alles an einem Tag in Madrid gemacht.
Ana: Und wir hatten dann noch einen Termin in Barcelona, das war dan alles etwas stressig. Wir mussten es drehen, während sie es geschnitten hat, und waren dann auch zwischendurch einfach mal betrunken (lacht)… Daher ist das halt ein wenig chaotisch, genau wie die Demo [lacht].
Und genau dieses Chaos ist es, das Deers wieder zu einem schlüssigen Gesamtkonzept werden lässt. Die machen einfach was sie wollen! Glaubt man nicht? Ist aber so:
Carlotta: Darum geht es doch. Das Leben ist dazu da, um Spaß zu haben. Wir haben einen Weg gefunden, glücklich zu sein, und dabei auch noch Musik zu machen!
Daraus folgt Grund 4: Deers sind ein guter Fehler in der Matrix.
Und genau das macht sie interessant.
Ana: Ich glaube das liegt auch daran, dass wir nie gedacht hätten, dass das passieren könnte.
Carlotta: Wir geben nicht vor, irgendetwas zu sein. Gerade unsere Demo-EP, das sind einfach wir. Das ist Transparenz: Wenn es dir gefällt, ist das schön, wenn nicht, auch okay. Ich denke, das ist der Grund.
Ana: Wir haben uns nicht überlegt, dass irgendetwas zu merkwürdig für die Leute sein könnte. Wir haben die Songs für unsere Freunde hochgeladen, das war nunmal das, was wir gespielt haben.
Carlotta: Das ist einfach unsere Musik.
Ana: Das ist wohl der Unterschied. Vielleicht. Keine Ahnung.
Man hat selbst keine Ahnung, warum diese Mädels plötzlich auf der Bühne stehen. Ist das ein Fehler in der Matrix? Es scheint einfach so sein zu müssen, und es funktioniert. Wenn es also ein Fehler ist, dann ein guter. Manchmal fallen gute Bands eben doch noch vom Himmel.
Grund 5: Deers können Musik machen.
Das kann man zunächst einmal einfach feststellen, wenn man sie live erlebt. Die vier Mädels haben keine Probleme damit das Publikum zu unterhalten. Das ist umso wertvoller, da es sich bei ihrem Konzert in Berlin erst um ihren fünften Auftritt zu viert handelt. Trotzdem halten sie ihre Gitarren nicht gerade erst seit gestern in Händen, denn der Ausgangspunkt der Band ist niemand Geringeres als der gute alte Herr Dylan:
Ana: Bob Dylan, It Ain’t Me, Babe. Mit dem Song hat eigentlich alles angefangen.
Carlotta: Der Song hat die Band eigentlich gestartet.
Ana: Ja, so vor drei Jahren.
Wollte man sich da etwa an den ganz Großen orientieren?
Ana: Der Grund war eigentlich nur, dass es einfach zu spielen war [lacht].
Carlotta: A-D-A-E, das sind die Akkorde…Das war einfach für uns [lacht]! [nerdige Anm. d. Red.: A-D-A-E sind nicht die Akkorde von It Ain’t Me, Babe, wahrscheinlich meinte Carlotta Pledging My Time, auch ein toller Dylan-Song.]
Grund 6: Deers sind schon durch die Hölle gegangen.
Ana: Deers wurde vor zwei, drei Jahren von uns beiden gegründet. Zuerst hatten wir einen Gig nur mit Covern, das war eigentlich ganz nett. Aber der zweite Gig war der Grund, dass wir dann ein Jahr lang pausiert haben…
Carlotta: Das war wirklich schlimm…
Ana: Du würdest uns hassen…
Carlotta: Wir haben wirklich geprobt! Wir waren vorbereitet! Und dann sollten wir an Weihnachten sechs Songs in Barcelona spielen. Wir dachten, das würde klappen, schließlich waren wir ja schonmal aufgetreten. Aber dann… Nicht ein Akkord hat gestimmt, nicht eine Note war richtig gesungen… Wir haben gezittert.
Ana: Das hat sie.
Carlotta: Und dann war erstmal ein Jahr lang Pause.
Wir stellen fest: Die Feuerprobe sollte überstanden sein. Zwei Tage nachdem wir sie getroffen haben, werden Deers in Berlin ihre zweite Single aufnehmen – ein Preis, den sie bei einem Bandcontest in Spanien gewonnen haben, der übrigens ihr erster Auftritt zu viert war. Für 2015 ist eine EP, oder ein Album geplant, da sind sie sich noch nicht ganz sicher. Im Zweifel einfach das, was Spaß macht.
Vergiss die blaue Pille, nimm Deers.
(Foto oben: Cover zu Demo / Foto unten: Deers auf Tumblr / Text: Carsten Brück)
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