Zu wenig Inhalte. Oder die falschen. Popkulturpessimisten konnte dieses 2012 ganz schön nerven. Und besser wird’s wahrscheinlich auch nicht mehr. 

Findet die sieben Unterschiede! 

Ganz am Ende wird’s noch mal so richtig anschaulich. Man kann sich das kombinierte – also vergleichsweise verschärfte – Problem aus Print- und Musikmedien-Krise gerade im Zeitungsladen der Wahl betrachten. Auf den aktuellen Ausgaben von Rolling Stone und Spex stehen groß Tocotronic herum. “Exklusiv” vermeldet die Spex gar und man darf sich dann doch ein wenig wundern, dass uns ausgerechnet das vormalige Leitmedium des kritischen Popjournalismus so – sagen wir einfach mal – verarschen will. “Exklusiv” ist an Tocotronic augenfällig nichts mehr, nicht mal die Coverstory, die sich zwei Musikmagazine teilen, die schon lange nicht mehr an diametral entgegengesetzten Enden der Popkultur agieren. Warum sollte sich jemand noch dafür begeistern, derlei kaufen und lesen, wenn nicht mal mehr diese simple Abgrenzung existiert? Die zwischen langweilig und aufregend, zwischen alt und jung, zwischen rückwärtsgewandt und progressiv?

2013 jedenfalls wird zwei Monate lang unausweichlich im Zeichen von Tocotronic stehen, die inzwischen auch zur Nostalgie taugen, welche an sich ein vieldiskutiertes Thema im letzten Musikjahr war. Es ist 20-jähriges Band-Jubiläum und Ende Januar erscheint das neue Album. Es gehört wenig Kulturpessimismus dazu, ihm jetzt schon, ungehört, breitbandige Begeisterung zu prophezeien. Zu wichtig und zu groß ist das Phänomen Tocotronic inzwischen für die deutsche Musikszene, die gerade wieder nach so etwas wie einhellig geteilter Popmusik-Bedeutsamkeit sucht, auch wenn sich dabei deutlich der Arcade-Fire-Effekt niederschlägt: das vom Publikum immer noch gefühlt ungebrochene Indietum des Herzens, obwohl doch die Band selbst schon lange in den höheren Sphären langfristiger musikwirtschaftlicher Budgetplanungen agiert. Inklusive Coverstorys. Es wird natürlich trotzdem eine Verbesserung sein; zumindest die Erinnerung daran wiederbeleben, dass Popmusik auch einen positiv belegten Inhalt haben kann, der über die Gedankenwelt von Mediengestaltern Anfang zwanzig hinausgehen kann.

Wer sich an dieses deutsche Popmusik-2012 erinnert, wird vor allem über den schier omnipräsenten Blitzaufsteiger Cro stolpern. Dessen smartes Musikmodell perfektionierte, was sich abseits der ganz großen Arenen-Stars schon geraumer Zeit – mit all den Cluesos und Tim Bendzkos – als Erfolgsmodell hiesiger Popmusik etabliert hat. Es ist eine Popmusik, die niemandem weh tut, die mit ein paar Emotionen und Schlagworten auskommt und netter Musik, die nirgendwo aneckt. “Raop” heißt sein Album – schon die krumme Wortkreation aus “Rap” und “Pop” verdeutlicht das vorauseilende Appeasement, den Durchmarsch der Beliebigkeit. HipHop ohne Derbheit in Wort und Sound, Pop mit Gute-Laune-Garantie und Sample-Wiedererkennungsfaktor, sogar das traditionelle symbolische Gefahr-Signal der Identitäts-verschleiernden Maske wurde von Cro ins Süß-Kitschige gedreht. Es ist eindeutig Musik für Teenager – und so gesehen, ist es in gewisser Weise beruhigend, dass sich manche Dinge doch niemals wirklich ändern. Denn am Ende nehmen sich junge Leute immer noch das Recht auf diese Art unbeschwert emotionaler Musik und das Küren von Popstars jenseits der Geschmacks- oder Inhaltsvorgaben ihrer Elterngeneration. Auch wenn – oder gerade weil – die anders als frühere mit und an Popmusik erwachsen geworden ist.

Hat international sogar noch mehr genervt als Cro und Tocotronic zusammen: “Ai Se Eu Te Pego!” 

Die inhaltliche Beliebigkeit, die ideologische Unbestimmtheit hat aber auch eine dunkle Kehrseite. 2012 war das Jahr des endgültigen Durchmarschs eines von der Südtiroler Band Frei.Wild personifizierten und öffentlich kaum angefochtenen rechten Mainstreams. Der wird von den Fans der Band oft genug nicht mal mehr als “rechts” begriffen, sondern vermeint sich in einem Bereich politischer “Neutralität”, die jeglichen Vorwurf des Nationalismus und Völkischen vom Tisch wischt und keinerlei ideologische Bauchschmerzen empfindet, wenn sich die stammtischbiedere “Wir-unten-gegen-die-oben”-Mentalität zunehmend direkt bei Nazi-Rhetorik bedient und dabei die offizielle staatlichen Anti-Extremismus-Formel auf drastische Art privatisiert. Unterdessen wird im mecklenburgischen Nazi-Kernland mit Freie Sahne Fischfilet eine antifaschistische Punkband per Verfassungsschutzbericht unter die Lupe genommen oder der Jenaer Pfarrer Lothar König tatsächlich wegen einer Demo mit Ton-Steine-Scherben-Beschallung in Dresden vor Gericht gestellt. Vor einem Jahr konnte man den Vorwurf des “schweren Landfriedensbruch” noch für schlichtweg abwegig, also lustig, halten.

Nur unweit des Allerschlimmsten verortet wurde die GEMA natürlich seit jeher. In diesem Jahr allerdings, mit dem Streit um die neuen Disco-Tarife, erreichte die Auseinandersetzung eine Dimension, die man wohl vor allem von Seiten der GEMA selbst kaum jemals für möglich gehalten hatte. Demonstrationen, breite Medienresonanz und erstmals so etwas wie eine Aufmerksamkeit von Seiten der Politik – ganz am Ende knickte die GEMA zumindest ein Stück weit ein. Die Einführung der Tarife wurde zwar nicht aufgehoben, aber immerhin verschoben – bis zu einer Schlichtungsregelung. Solche hat es auch schon früher schon gegeben, sie sind aber nienieniemals zu Ungunsten der GEMA ausgegangen. Was sich bei den Protestlern sicher auch bald herumsprechen wird. Dass sich die Diskussion auf beiden Seiten etwas versachlichen wird, ist dabei kaum anzunehmen. Zu ungebrochen arrogant und weltfremd präsentieren sich die GEMA-Gremien, zu wenig argumentativ beschlagen ist der aufgeregte Durchschnitts-Demonstrant, zu disparat sind die Interessen der grundverschiedenen Veranstalter, deren solidarische Einheitsfront von Großraumdisco, Technokeller und Berghain-Adel viel zu fragil scheint. Die GEMA – und der ganze Urheberrechtskladderadatsch insgesamt – wird auch 2013 das dominierende Thema werden. Spätestens, wenn Tocotronic durch sind.

Jörg Augsburg

(Titelfoto: Delia Baum/Chimperator/Groove Attack)