Hardcore-Legende Walter Schreifels über deutschen Indie-Rock, seinen Ausstieg aus der männerdominierten Szene, das Älterwerden und das Leben an sich.
Walter Schreifels blickt auf eine lange Karriere im Hardcore bzw. Punkrock zurück. Als Gitarrist und Songschreiber der Gorilla Biscuits wird er von vielen als Held verehrt. Mit den Rival Schools, Quicksand und Walking Concert hat der US-Amerikaner zahlreiche weitere Bands am Start. Derzeit ist er solo mit Olli Schulz auf Deutschland-Tour und bewegt sich dabei in eine ruhigere Richtung. motor.de traf den Songwriter kurz vor seinem Konzert in der Leipziger Moritzbastei auf ein Glas Wein und war überrascht über Schreifels’ umfangreiche Kenntnisse zu deutschem Indie-Rock. Wieso er so viel darüber weiß, was er heute von Punk denkt und warum er sowieso ein ganz cooler Typ ist, lest ihr hier im Interview.
motor.de: Walter, gerade bist du mit Olli Schulz auf Tour. Woher kommt diese Verbindung zu deutschen Künstlern wie ihm oder Tomte?
Walter: Ich glaube, das kommt daher, dass diese Menschen vom Hardcore beeinflusst sind. Soweit ich weiß hat Olli früher Quicksand und sowas gehört. Viel Kram, in dem ich irgendwie drin hing, als die anfingen, sich mit Musik zu beschäftigen. Und dann hat ein Freund meiner Band Walking Concert einen Auftritt als Support von Tomte organisiert. So habe ich diese Leute kennengelernt und irgendwann hat Olli mich eben gefragt, ob ich nicht auch mal für ihn ein Konzert eröffnen möchte. Später habe ich ein paar Jahre in Berlin gelebt und diese Menschen sind meine Freunde geworden. Es ist wirklich schön, in so einer privilegierten Position zu sein. Olli ist (hält inne) ein Geschenk.
motor.de: Was denkst du über diese ganzen deutschen Musiker? Verstehst du irgendwas von den Dingen, die Olli auf der Bühne erzählt oder singt?
Walter: Einiges verstehe ich, ja. Oft frage ich auch einfach, was Olli da singt. Wenn ich aber eine Zeile eines Songs kenne und dazu irgendwie eine Verbindung aufbauen kann, ist das toll. Ich schätze das sehr. Aber an sich ist es ja auch einfach nur Musik. Ich mag zum Beispiel auch „Smells Like Teen Spirit“ von Nirvana unheimlich gern, obwohl ich kein einziges Wort verstehe. Es geht dabei eher um ein Gefühl. Außerdem ist es cool für mich selbst, zu wissen, dass ich mehr über deutschen Indie-Rock weiß, als wahrscheinlich irgendein anderer Amerikaner auf dieser Welt. Ich würde mich wundern, wenn es jemanden gäbe, der es da mit mir aufnehmen könnte.
motor.de: Ich habe gelesen, dass du die deutsche Punkband Oiro magst. Wie siehst du Punk heute? Denkst du, Punk ist tot?
Walter: Ich glaube nicht, dass Punk irgendwann mal tot sein wird, denn Menschen werden immer irgendwie punk sein wollen. Ich habe die Art von Musik zu bestimmten Zeiten sehr viel gehört – eine Zeit lang habe ich nichts anderes getan. Vielleicht habe ich dem ganzen phasenweise sogar zu viel Beachtung geschenkt. Aber Oiro mag ich, denn ein paar meiner Freunde machen da mit und die haben einen lustigen Humor und irgendwie einen coolen Spirit. Die Musik ist auch super, aber halt nicht am Sonntagmorgen nach dem Aufstehen.
motor.de: Hört sich ganz danach an, als würdest du mit den lustigsten Menschen Deutschlands rumhängen?
Walter (lacht): Ja, ich glaube, ich kenne hier viele Leute mit gutem Spirit.
motor.de: Wie sieht’s mit anderen deutschen Punkbands aus? Gibt’s da noch mehr Favoriten?
Walter (denkt nach): Nicht so viele. Ich glaube, ich kenne einfach nicht genug. Ich mag den ganzen Krautrock-Kram wie Kraftwerk und so. Notwist mag ich auch unheimlich gerne, die sind zwar nicht unbedingt Punk, haben für mich aber irgendwie auch diesen Geist in sich. Ich bin eher Freund der Hamburger Schule. Würdest du mich nach meinen deutschen Lieblingsbands fragen, würde ich auf jeden Fall Blumfeld und Tocotronic nennen. Auch weil ich nicht mit ihnen befreundet bin, kann ich sie auf andere Art und Weise schätzen als Tomte. Durch Olli habe ich viel gute deutsche Musik kennengelernt. Deichkind hat für mich auch einen unheimlich coolen Spirit. Und Egotronic erst! Das ist für mich Punk. Ich liebe diese Energie, die da rüberkommt. Das ist total kraftvoll und irgendwie ganz neu.
motor.de: Du warst auch an „Kotzen“ von Egotronic beteiligt. Glaubst du, dass Electro-Punk, wie Egotronic ihn machen…
Walter (unterbricht): Oh ich finde das wirklich cool. Ich liebe, was ich tue und ich kann auch gar nichts anderes machen, aber wenn ich nochmal ganz von vorne anfangen könnte, würde ich etwas in die Richtung tun. Das macht soviel mehr Spaß. Jeder tanzt und man kann etwas auf eine sehr coole Art und Weise ausdrücken. Das ist ein bisschen so wie beim Hardcore früher. Da hat jeder im Pit körperlich hundert Prozent gegeben. Wenn ich in einem Moshpit war, habe ich manchmal ernsthaft gedacht, dass ich sterbe. Die Musik war mir so wichtig und das musste ich auf körperliche Weise ausdrücken. Aber heute denke ich, dass das irgendwie immer nur Jungs gemacht haben und man nicht unbedingt alles so gewaltvoll ausdrücken muss. Electro-Punk oder Dance-Musik geben dir oft dasselbe Gefühl wie ein Pit auf einer Hardcore-Show, aber es ist irgendwie… (hält inne) …positiver. Da sind Mädchen und Jungs und alle haben einfach nur Spaß. Hardcore hingegen ist wie ein Fahrrad, das extra für Jungs gebaut wurde. Mädchen könnten zwar auch darauf fahren, dürfen aber irgendwie nicht.
Walter Schreifels – “Arthur Lee’s Lullaby”
motor.de: Du hast auch eine ziemlich lange Punkrock/Hardcore-Geschichte hinter dir. Könntest du nochmal kurz die wichtigsten Punkte deiner Vergangenheit erklären? Wie hast du angefangen, Musik zu machen und wo siehst du dich jetzt?
Walter: Ich glaube, eine Soloplatte aufgenommen zu haben ist bisher das befriedigendste, was ich seit einer sehr sehr langen Zeit getan habe. Einfach nur, weil ich meinen Namen draufschreiben konnte. Das war alles echt harte Arbeit, durfte gleichzeitig aber nicht nach harter Arbeit klingen. Das war schon ziemlich schwierig und ich bin sehr sehr froh, das jetzt geschafft zu haben. Aber ich denke, das alles, was ich bis jetzt getan habe, nicht immer nur reflektiert, was war, sondern auch irgendwie zukunftsweisend ist. So war es zum Beispiel auch mit den Rival Schools. Bevor ich die kennengelernt habe, hab ich auch irgendwie gelebt. Dann traf ich die Rival Schools und mein Leben veränderte sich in mehrere Richtungen. Und so ähnlich verhielt es sich mit jedem Album und jeder Band, in der ich gespielt habe. Ich finde, diese kleinen Schritte sind alle sehr wichtig.
motor.de: Was würde der „alte“ Walter denken, wenn er dich heute sehen könnte?
Walter: Gerade im Moment würde er sagen: „Oh Mann, der Typ ist so cool. Schade, dass er nicht mehr Geld verdient, aber er ist soooo cool!“ (lacht)
motor.de: Viele Musiker fangen in einer Punkband an und gehen später in Richtung Indie-Rock oder sogar noch softeren Songwriter-Kram. Was hat dich dazu gebracht, dich weg vom Hardcore in ruhigere Gefilde zu bewegen? Hat das irgendwas mit “Erwachsen werden” zu tun?
Walter: Ich glaube, das ist eine ganz natürliche Sache. Als ich in Punkbands gespielt habe, lernte ich, wie ich besser an einem Instrument werde und wollte andere Arten des Songwritings kennenlernen. So kam ich irgendwie an einen anderen Punkt. Und an diesem Punkt habe ich dann mehr Tricks gelernt und hatte immer unterschiedliche Einflüsse: eine andere Freundin oder ein anderes Buch, das ich las. Das waren so Dinge, die mein Leben verändert haben und es ist immer noch alles in Bewegung.
Außerdem ist eine Akustikgitarre einfach toll. Sie ist immer bei dir, du kannst immer mit ihr rumhängen und sie überall mit hinnehmen. In den letzten fünf bis zehn Jahren habe ich begonnen, mich damit sehr wohl zu fühlen. Ich weiß nicht, ob ich damit die coolste Sache der Welt mache, aber ich mag es. Ich glaube aber nicht unbedingt, dass das etwas mit dem Alter zu tun hat, sondern denke einfach, dass es zu mir passt. Ich finde, Herumspringen zu Hardcore steht mir irgendwie nicht.
motor.de: Aber in welcher Hinsicht beeinflusst dein Hardcore-Hintergrund deine Musik auch heute noch?
Walter: Hardcore hat bei mir einen bestimmten Standard kreiert und beeinflusst in gewisser Weise immer noch mein Denken und mein Arbeiten. Hardcore ist eben die Uni, an der ich ausgebildet wurde. Auf der einen Seite ist das großartig, andererseits schränkt es einen aber auch ein. Manchmal baust du da einen produktiven Druck auf und manchmal schneidet es dir aber auch alle Wege ab. Ich kann nichts dafür, aber es hat mich auf jeden Fall geprägt und beeinflusst mich auch heut noch: Wenn die Menschen auf meinen Konzerten nicht moshen, denke ich immer, irgendwas läuft falsch (lacht).
Gorilla Biscuits – New Direction (live)
motor.de: Du bist Teilhaber des Labels „Some Records“ und machst sonst nur Musik. Kannst du davon leben?
Walter: „Some records“ existiert gar nicht mehr wirklich. Und ehrlich gesagt, bin ich da zudem so gut wie gar nicht mehr integriert. Das hat niemals Geld gebracht, sondern war immer eher belastend für die Kasse. Aber da ich mein Leben lang in all diesen Bands gespielt habe und ich allgemein auch sehr wenig Geld ausgebe, kann ich vom Musikmachen leben seit ich ein Teenager bin. Das war immer so und ich kann mir auch gar nicht vorstellen, was ich anderes tun könnte. Vielleicht Boxen von einem Ort zum Nächsten tragen… (lacht).
motor.de: Was steht denn noch so an in nächster Zeit an? Hast du irgendwelche neuen Projekte am Start oder arbeitest schon an einem neuen Solo-Album?
Walter: Ja, ich arbeite gerade an meiner nächsten Solo-Platte. Die sollte auch eigentlich schon diesen Winter erscheinen, wird sich aber wahrscheinlich etwas verspäten, denn da kommt auch schon die neue Rival Schools-LP. Meine nächste Soloscheibe wird also wohl erst im Sommer 2011 am Start sein, vielleicht sogar erst im frühen Herbst. Bis dahin ist es noch ganz schön lange und ich finde das ein wenig traurig, aber dafür wird das Album dann auch ausgefeilter und besser. Zur neuen Rival Schools-Platte wird es auch eine Tour geben. Zwischendurch werde ich dann noch am neuen Material und an meinem aktuellen Solo-Album arbeiten. Außerdem würde ich gerne in allen Städten, in denen ich bisher war, noch einmal auftreten.
Interview: Lydia Meyer
No Comment