White Lung ist der englische medizinische Terminus für eine Atemwegserkrankung, an der Bäcker aufgrund des Einatmens des Mehls leiden können. Warum die Punk-Kombo um Frontfrau Mish Way sich nach dieser unschönen Krankheit benannt hat, sei dahingestellt. Irgendwie passt es aber. Denn die Querulanten aus dem kanadischen Vancouver sind alles andere als gefällig. Die Songs werden mit derartiger Inbrunst hingerotzt, dass man fast Angst bekommt. Das White Lung stark von Bands wie Hole beeinflusst worden sind, kann man nicht nur hören, sondern auch sehen (Mish Way sieht aus wie die kleine Schwester von Courtney Love).

Am 13. Juni veröffentlichen sie nun ihre dritte Platte "Deep Fantasy". Dies haben wir zum Anlass genommen, mal eine Runde mit Sängerin Mish Way und Gitarrist Kenneth William zu schnacken. Es ging um Feminismus, Musikjournalismus und natürlich ihr neuestes Werk.

Line-up Wechsel

Im Jahr 2006 gegründet, hat die Band seither einige Line-up Wechsel erfahren. Von der Urbesetzung sind nur Sängerin Mish Way und Drummerin Anne-Marie Vassiliou übrig geblieben. Im Jahr 2008 wurde die ehemalige Gitarristin Natasha Reich durch Kenneth William ersetzt, der seitdem die sechs Saiten äußerst gekonnt bearbeitet. Zuletzt gab es 2013 eine Umbesetzung am Bass von Grady Mackintosh zu Hether Fortune. Mit der aktuellen Bandkonstellation scheint man jedoch mehr oder weniger zufrieden zu sein. "Im Vergleich zum letzten Jahr ist das das Paradies", merkt Kenneth an.


White Lung – Drown With The Monster (Official… von domino

Das neue Album "Deep Fantasy"

Die ersten beiden Alben "It's the Evil" (2010) und "Sorry" (2012) sind bei dem Label Deranged Records veröffentlicht worden. Die neue Platte erscheint nun bei Domino Records. "Laut, schnell, gemein und besser, als der ganze andere Müll da draußen" – so beschreibt Mish den neuesten Output der Band. Die ersten zwei Alben waren regerechte Punk-Bretter: roh, brutal und ziemlich 'in die Fresse'. Auf "Deep Fantasy" soll es nun etwas melodiöser und poppiger zugehen. Insbesondere gesanglich ist das neue Album eine Weiterentwicklung- nach diversen Problemen mit ihrer Stimme hat Mish beschlossen, von nun an mehr zu singen als zu shouten. Doch der punkige Grundtenor wurde natürlich beibehalten: "Die Songs sind besser, die Vocals sind catchier und die Gitarren klingen, als wären sie krank", so Kenneth. "Krank wie wahnsinnig und übel", fügt Mish an. Einen Eindruck davon, wie diese Mischung aus kranken Gitarren und catchy Vocals klingt, konnte man schon sehr gut bei der Vorabsingle "Drown With The Monster" bekommen.
 
Das Artwork


 
"Justin Gradin ist verantwortlich für das Artwork. Die schlafende Frau auf dem Foto ist meine Mutter, als sie jung war. Ihre Schwester hat das Foto 1976 gemacht. Ich habe es gefunden, als ich meine Tante in Jersey besucht habe. Ich wusste gleich, dass es auf dem Cover sein müsste und dass Justin etwas Tolles damit machen würde. Er hätte es nicht besser machen können." (Mish Way)

Punk

Mit Punk ist das ja immer so eine Sache; der Begriff allein ist schon ziemlich vorbelastet und weckt bestimmte Assoziationen. Punk Rock hat schließlich eine lange und ziemlich bewegte Historie. Davon scheinen sich White Lung allerdings zu distanzieren: "Über sowas denke ich gar nicht nach. Ich sehe unsere Band nicht als Teil von Etwas, das in der Vergangenheit passiert ist. Wir machen einfach die Musik, die wir mögen.", erklärt Kenneth.

Feminismus

Feminismus ist kein unwichtiges Thema bei den Songs der Band. Mish hat sogar einen Abschluss in Gender Studies mit Schwerpunkt auf feministischer Philosophie. Angesprochen auf den negativen Beigeschmack, den der Begriff 'Feminismus' heutzutage für viele Menschen zu haben scheint, entgegnet sie:

"Für manche ignorante Menschen, ja, und das ist lächerlich. Ich meide Männer und Frauen, die so voreingenommen sind. Wenn ich sowas sehe… Weißt du, ich verstehe es einfach nicht. Ich bin eine Feministin und werde es immer sein und meine Art von Feminismus ist nicht befremdlich, denke ich. Dieses Thema betrifft nicht nur Frauen. Ich bin gerade versucht, Bell Hooks (afroamerikanische Literaturwissenschaftlerin und Verfechterin feministischer und antirassistischer Ansätze, Anm.d.Red.) zu zitieren, aber dann komme ich wahrscheinlich als totaler Snob rüber (lacht). Ich kann jetzt leider nicht in aller Ausführlichkeit auf dieses komplexe Thema eingehen. Ich meine, ich habe soviel darüber geschrieben. Google am besten meinen Namen zusammen mit „feminism“ und du findest Unmengen an Artikeln, die ich zu der Thematik verfasst habe."

Kanadische Wurzeln

Als Band aus Kanada hat man es nicht so einfach. Wer den Dokumentarfilm "No Fun City" von Melissa James und Kate Kroll aus dem Jahr 2010 über die Musikszene in Vancouver gesehen hat, weiß, dass die Stadt nicht unbedingt ein Paradies für aufstrebende junge Bands ist. Mit dem Schließen zahlreicher Clubs wurde die kreative Szene der Stadt stark eingeschränkt. White Lung haben sich davon offenbar nicht entmutigen lassen und trotz der suboptimalen Umstände knallhart ihr Ding durchgezogen. Doch auch abgesehen von den ungünstigen Begleitumständen, hat man es als jemand mit kanadischen Wurzeln nicht unbedingt leicht. Besonders das Nachbarland, die USA, setzt den Kanadiern gern mit Witzen und Stereotypen zu. "Das meiste, was diese Leute sagen, stimmt eigentlich- die Menschen dort sind viel zu nett", sagt Kenneth nüchtern. Auch Mish nimmt derartige Sticheleien mit Humor: "Mein Freund ist Amerikaner, aus dem Süden, und er amüsiert sich die ganze Zeit darüber, wie ich rede. Ich weiß, ich sage „sorry“ wie ein Canuck. Kanada zu verarschen ist eigentlich ziemlich lustig- so wie in TV Shows wie Trailer Park Boys oder Wheels Ontario."

Musikjournalismus

Mish Way ist nicht nur der Kopf von White Lung, sie ist auch als Musikjournalistin tätig, u.a. für die Vice (welche ja ursprünglich auch aus Kanada stammt). Zu dem Hin- und Hergerissensein zwischen dem Künstler- und Kritikerdasein äußert sie sich wie folgt:

"Ja, es ist komisch- nicht viele Leute befinden sich in so einer Situation. Doch dadurch bin ich als Musikerin cleverer im Umgang mit der Presse und dem ganzen Medienbusiness geworden. Ich weiß genau, wie es funktioniert. Ich würde eine Band niemals so heruntermachen, wie jemand, der noch nie die Eier hatte, einen Song zu schreiben und zu veröffentlichen, sodass ihn jeder kritisieren kann, es tun würde. Deshalb ist The Talkhouse (Online-Musikmagazin, wo Musiker über Musik sprechen, Anm.d.Red.) ein brillanter Schritt im Bereich Musikkritik und Musikjournalismus."

„Deep Fantasy“ erscheint am 13.06.2014 auf Domino Records (Goodtogo)

(Fotos: Piper Ferguson)

Juliane Haberichter